Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ringen ums Lieferkettengesetz
Die Kanzlerin und die uneinigen Minister treffen sich heute zur Schlichtung
BERLIN - Fast sieben Jahre nach dem Zusammenbruch der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mit mehr als tausend Toten entscheidet die Bundesregierung an diesem Mittwoch über das Lieferkettengesetz. Nach der Kabinettssitzung besprechen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU), Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), sowie Arbeitsminister Hubertus Heil und Finanzminister Olaf Scholz (beide SPD). Unklar ist, ob das Gesetz, das hiesige Firmen zum Schutz der Menschenrechte in ihren ausländischen Zulieferfabriken verpflichten soll, dann kommt, oder ob es beerdigt wird.
Das Thema schleppt die Koalition aus Union und SPD seit der vergangenen Bundestagswahl mit sich herum. Bereits im Februar 2019 verfügte Müller über einen fertigen Gesetzentwurf, Heil unterstützte ihn. Das Wirtschaftsministerium dagegen verzögerte das Vorhaben immer wieder. Merkel äußerte sich jüngst ebenfalls skeptisch über zu strenge Regeln.
Im Zentrum des regierungsinternen Konflikts steht die Frage der zivilrechtlichen Haftung. Müller und Heil wollen festlegen, dass geschädigte Zuliefer-Beschäftigte deutsche Unternehmen vor hiesigen Gerichten verklagen können. Das Risiko von Schadensersatzzahlungen würde die Firmen anspornen, die ökologischen und sozialen Bedingungen in den ausländischen Werken zu verbessern, ihnen aber auch zusätzliche
Kosten verursachen. Altmaier sieht darin Belastungen für die Wirtschaft, die er unter anderem wegen der Corona-Krise vermeiden will.
Denkbar ist ein Kompromiss, der die zivilrechtliche Haftung durch eine staatliche Behörde ersetzt, die Menschenrechtsverstöße zumindestens registriert oder auch ahndet. Leichter beizulegen scheint der Disput
über die Größe der Unternehmen, für die das Gesetz gilt. Müller und Heil wollen Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten einbeziehen. Auch größere Mittelständler müssten ihre Zulieferer überprüfen. Altmaier dagegen plädiert für eine deutlich höhere Grenze von vielleicht 5000 Beschäftigten. Das würde den Kreis der betroffenen Firmen reduzieren. Vielleicht einigt man sich in der Mitte und auf Übergangsfristen.
Ebenfalls am Mittwoch wollen sich 70 Ökonomen für das Lieferkettengesetz aussprechen, darunter Elisabeth Fröhlich, Präsidentin der privaten CBS-Management-Hochschule in Köln. Die Regierung solle das Gesetz noch vor der nächsten Bundestagswahl auf den Weg bringen.
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit der Initiative Lieferkettengesetz statt, in der Kirchen, Gewerkschaften und Entwicklungsorganisationen mitwirken. Aber auch Unternehmen wie Adidas, H&M, KiK, Nestlé oder Tchibo haben die Regulierungabsichten unterstützt.
Unternehmensverbände wie BDA (Arbeitgeber), BDI (Industrie), VDMA (Maschinenbau) oder Textil & Mode sprachen sich dagegen aus.