Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Neue Flick-Töne vor der Stolperfalle
Die letzte Pokal-Blamage der Bayern stammt aus dem Jahr 2004 – nun geht es gegen Kiel
MÜNCHEN (dpa) - So ein Satz war vom Allesgewinner Hansi Flick in München auch noch nicht zu hören. „Mein Job ist es, Ruhe zu bewahren. Mein Job ist es, mich auf die Mannschaft zu konzentrieren – und alles andere muss ich ausblenden“, sagte der Triple-Coach. Keine Frage: Die verstörende 2:3-Niederlage in Mönchengladbach nach einem 2:0-Vorsprung, die inzwischen chronische Verwundbarkeit in der Defensive sowie die Kritik an einzelnen formschwachen Akteuren sowie den kaum hilfreichen Neuzugängen kratzen vor der Pflichtübung des Titelverteidigers FC Bayern im DFB-Pokal (20.45 Uhr/ARD und Sky) beim Zweitliga-Topteam Holstein Kiel am Nervenkostüm. „Man hat die letzten Tage gesehen, was auf einmal alles losgetreten wird“, bemerkte Flick.
„Wo geklatscht wird, wird auch gepfiffen“, sagte er zur Kritik nach der erst vierten Niederlage in seiner Amtszeit. Aber Vorwürfe gegen einzelne Akteure wie den gegen Gladbach wirkungslosen Douglas Costa oder Nachwuchsakteur Tiago Dantas wies Flick ungewöhnlich scharf im Ton zurück: „Dann werde ich richtig sauer, wenn es unfair ist.“
Einstellung und Professionalität stimmten bei allen Akteuren im Kader. „Jeder versucht in der Situation, die aktuell ist, möglichst vieles zu geben. Viele gehen voraus. Es ist schön, den Prozess zu sehen“, betonte Flick. Und er hakte darum auch das 2:3 in Gladbach als Bundesliga-Unfall ab: „Es ist nichts passiert, wir sind immer noch Tabellenführer.“
Im Pokal bedeutet eine Niederlage dagegen den sofortigen K. o. Darum wird auch erwartet, dass Flick – anders als beim Erstrundensieg gegen die Amateure des 1. FC Düren – in Kiel nicht groß rotieren wird. Trotzdem hat der Kurztrip in den Norden, den die Bayern ausnahmsweise erst am Spieltag antreten, plötzlich eine übergeordnete Bedeutung, wie Nationalspieler Leon Goretzka sagte: „Wir müssen gucken, dass wir uns wieder in die Spur bringen.“
Die Kieler wollen aus der Rolle des unbelasteten Außenseiters ihr Glück suchen. „Logischerweise ist es so, dass wir der Underdog sind“, sagte Trainer Ole Werner: „Aber das ist nichts, was zu anderen Abläufen und zu vollkommen anderen Gesprächsthemen führt, die wir für gewöhnlich auch haben.“Immerhin darf sich die Mannschaft dank der TV-Übertragungen in der ARD und bei Sky gegen die ÜberMannschaft aus dem Süden endlich einmal einem MillionenPublikum präsentieren. „Wir wollen unsere
Haut so teuer wie möglich verkaufen“, meinte der mit 32 Jahren jüngste Trainer im deutschen Profi-Fußball. Die starke Saison seines Teams wurde bislang eher beiläufig registriert. Dabei entwickelt sich an der Förde nicht erst seit dem Zweitliga-Aufstieg 2017 fernab des Fußball-Hotspots Hamburg etwas – und das mit bescheidenen Mitteln. Der Umsatz von etwa 24 Millionen Euro ist auch im Zweitliga-Vergleich nicht üppig.
Dennoch baute der Club professionelle Strukturen auf. Ein modernes Nachwuchsleistungszentrum und sehr gute Trainingsplätze sind entstanden, auch personell sind die „Störche“bestens aufgestellt.
Längst gilt Holstein nicht mehr als Geheimtipp, wenn es um den Aufstieg geht. Was wäre da also prestigeträchtiger als ein Sieg gegen den Branchenprimus? Doch liegt der letzte Pokal-K.o. der Bayern gegen ein klassentieferes Team 17 Jahre zurück (1:2 in Aachen).
Allerdings hat der Aufstiegsaspirant in dem Südkoreaner Jae-sung Lee und dem bundesligaerfahrenen Routinier Fin Bartels Offensivakteure, die in der Lage sind, die BayernMängel im Rückwärtsgang auszunutzen und ebenfalls vor Nationaltorhüter
Ole Werner
Manuel Neuer aufzutauchen.
Flick fordert mehr Kompaktheit, explizit „mehr Druck auf den Ball“und eine größere Absicherung der Tiefe. Die gesamte Abwehrkette vor dem immer häufiger machtlosen Torwart Neuer wackelt bedenklich. Auch David Alaba funktioniert aktuell als Abwehrchef nicht. „Es geht darum, dass wir unser Optimum ausschöpfen“, mahnte Flick.
Das Toreschießen muss derweil ohne Kingsley Coman und Eric Maxim Choupo-Moting (Rückenprobleme) gelingen. Flügelstürmer Coman hat erneut muskuläre Probleme. Flick will bei dem wertvollen Franzosen „kein Risiko“eingehen. Zumal er in Kiel wieder mit Serge Gnabry planen kann. Der Nationalspieler ist nach einer Schienbeinprellung fit und auch „fest eingeplant“. So wie der Einzug ins bereits ausgeloste Achtelfinale gegen den Zweitligisten SV Darmstadt 98.
„Wir wollen unsere Haut so teuer wie möglich verkaufen.“