Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Tüftler, Draufgänger, Insulaner
Meinhard Nehmer war im Bobsport ein Quereinsteiger und prägte ihn, als Flachländer, dennoch wie kaum ein anderer – Jetzt wird der dreimalige Olympiasieger 80 Jahre alt
VARNKEVITZ (SID) - Wo das Land flach ist und die Wiese grün, wo die Wellen der Ostsee gegen die Steilküste klatschen, da ist Meinhard Nehmer zu Hause. Auf Wintersport muss man erst mal kommen am nordöstlichsten Zipfel Deutschlands, und doch brachte die Insel Rügen einen der größten Bobfahrer der Geschichte hervor. Diesen Mittwoch begeht der dreimalige Olympiasieger seinen 80. Geburtstag.
Wobei die Feierlichkeiten entfallen müssen, natürlich, Corona, die Kinder können nicht dabei sein, „aber wir holen das nach“, sagt Nehmer. Sonst aber kann er der Pandemie ganz gut aus dem Weg gehen, „ich kriege von all dem nicht so viel mit. Ich bin ja hier quasi am Ende der Welt.“
Gerade mal sieben Grundstücke zählt Putgartens Ortsteil Varnkevitz,
Meinhard Nehmers elterlicher Hof gehört dazu – und hält ihn auf Trab. „Mehr als 5000 Quadratmeter zu bewirtschaften, da kommt keine Langeweile auf“, sagt er lachend. Der Garten, die Handwerkerarbeiten, die Kaninchen – irgendwas ist immer.
Der Bobsport nimmt da nur noch eine Nebenrolle ein, eine ziemlich kleine sogar. Zwar sehe er seine alten Kollegen jedes Jahr („das ist immer schön“), aber das ist die persönliche Ebene. Der Sport selbst sei „anders geworden. Die Spannung ist raus. Die
Deutschen machen eigentlich alles unter sich aus.“Die Seriensiege von Francesco Friedrich seien aber zweifellos „toll, ich kenne ihn, seit er 16 ist“, sagt Meinhard Nehmer. Und Friedrich ist damit einer der würdigen Nachfolger des Mannes, der als der Franz Beckenbauer des Bobsports gilt.
Dabei ist Meinhard Nehmer eher hineingestolpert in diese Sache: „Das war Zufall.“Ein ambitionierter Speerwerfer war er in der DDR, doch die Schulter machte nicht mit, und da ging er eben zum Probetraining: Der ASK Vorwärts Potsdam hatte gerade eine Sektion Bobsport gegründet und suchte geeignete Athleten. Im Frühjahr 1973 war das. Quasi aus dem Nichts betrat der Mann von der Insel eine Bühne, die bis dahin den Alpenländern gehörte. Und dominierte den
Sport auf Anhieb. Doppel-Gold bei Olympia 1976 in Innsbruck, der Sieg im Vierer 1980 in Lake Placid, insgesamt vier WM-Titel. Dieser Flachländer brachte eben vieles mit: „Ich hatte den Willen, war ein Draufgänger, getüftelt habe ich auch gerne.“
So schnell wie er gekommen war, verließ Meinhard Nehmer den Bobsport auch wieder. Zumindest war das der Plan. „Ich wollte weg aus dem Leistungssport, hatte mein Studium gemacht“, sagt er, „aber dann kam ja alles anders.“Die Wende machte diesen Ausnahmesportler, der in seinem Leben auch schon Landwirt, Wetterdiensttechniker, Ingenieur für Landmaschinentechnik und Fregattenkapitän der Volksmarine gewesen war, plötzlich erwerbslos. Und so nahm er 1991 eher aus der Not heraus das Angebot
des US-Verbands für den Cheftrainerposten an. Es folgten Stationen in Italien und auch beim deutschen Verband. Dabei wollte er diese Laufbahn ja „eigentlich gar nicht mehr. Es war schön, mit jungen Leuten zu arbeiten, aber für die Familie war das nicht gut. Meine Frau war hier mit den Kindern, und ich war wieder fast die ganzen Winter weg.“
Erst 2006 beendete Meinhard Nehmer diese Karriere nach der Karriere. Und konnte endlich dauerhaft nahe der Küste leben. Zu tun gibt es dort schließlich genug. Auch noch mit 80.