Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Anwohner sind verärgert über Müllentsorgung
Warum der Müll in der Scherzachstraße nicht mehr abgeholt wird und was die Stadt tun soll
WEINGARTEN- Da hat eine Anwohnerin der Scherzachstraße nicht schlecht gestaunt: An einem Vormittag im Mai vergangenen Jahres blieb ihre Biotonne voll, anstatt wie gewohnt geleert zu sein. Sie ist nicht alleine mit dem Problem. Auch die Tonnen der anderen Haushalte wurden nicht geleert. Ein Versehen? Mitnichten, wie sich herausstellt. Denn auch die kommenden Wochen fährt das Müllauto nicht mehr in die Straße ein. Kurios, aber wahr: Das Müllauto, das den Papiermüll abholt, fährt in die Straße ein. Erst auf Nachfrage beim Abfalldienstleister, der im Auftrag des Landratsamts den Müll abholt, erfahren die Anwohner den Grund.
Da eine Baustellenabsperrung im Weg sei, heißt es in einer E-Mail des Dienstleisters Veolia, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, könne das Abfallfahrzeug nicht in die Straße einfahren, ohne auf den Fußgängerüberweg zu fahren. Das wäre grob fahrlässig und ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Man solle doch künftig die Biobehälter vorne an der Brücke abstellen. Ein separates Abfallauto zu schicken sei aus logistischen Gründen nicht möglich.
Da scheint es einen plötzlichen Sinneswandel gegeben zu haben oder wie die Anwohnerin vermutet, der Fahrer habe gewechselt. Denn die Baustelle gebe es seit Monaten und bislang sei das Müllauto immer bis vor die Tür gefahren. In dem betroffenen Gebiet würden auch viele ältere Menschen leben, die unmöglich ihre volle Tonne bis zu 50 Meter zur Brücke schleifen könnten.
Immerhin erreichen die Anwohner, dass an Pfingsten ein Außendienstmitarbeiter des Abfallunternehmens
sich die Situation vor Ort ansieht. Doch leider fällt seine Beurteilung negativ aus. Die Abfallbehälter müssten in Abstimmung mit dem Landratsamt an die Brücke gebracht werden. Von einem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung ist in der E-Mail nichts mehr zu lesen. Vielmehr hat man andere Gründe gefunden. Die Brücke könne das Gesamtgewicht der Abfallfahrzeuge nicht tragen. Und: Es besteht die Gefahr von Gegenverkehr, wenn man die Schlaufe hinauffahre, heißt es in der E-Mail.
Jetzt verstehen die Anwohner die Welt erst recht nicht mehr. Fährt da nicht regelmäßig ein anderes Müllauto in die Straße bis zur Erstunterkunft hinauf und leert den Container? Ja. Warum kann dieses Auto aber in die Straße hineinfahren, das andere aber nicht?
Der Fall entwickelt sich zur Vorschriftenposse. Auf SZ-Anfrage bestätigt das Landratsamt die geschilderte Sachlage. Der Müll werde nur noch an der Einfahrt zu Scherzachstraße abgeholt, weil die Straße „in den Abschnitten 24 bis 36 eine Sackgasse ohne Wendemöglichkeit ist“, heißt es in der Antwort der Pressestelle des Landratsamts. Dieser Straßenabschnitt habe nicht die erforderliche Breite von 4,75 Meter. Zudem sei beim Rückwärtsfahren rechts und links durchgehend mindestens ein halber Meter Sicherheitsabstand zu „ortsfesten Einrichtungen“- gemeint sind Häuser - oder abgestellten Fahrzeugen einzuhalten. Hinzu komme, dass sich im Gefahrenbereich soziale Einrichtungen befinden, aus denen oft auch Kinder auf die Fahrbahn springen würden. Eine Wendemöglichkeit im oberen Bereich gebe nicht. Die Straße sei für den Dienstleister im Rahmen der Vorgaben der Berufsgenossenschaft so nicht befahrbar.
Ist es den zumeist älteren Anwohnern zumutbar ihre Mülltonne bis zur Brücke zu bringen? Nach Ansicht des Landratsamt, ja. Im Rahmen der Rechtsprechung sei es durchaus zulässig, dass Mülltonnen bis zu 50 Meter an die Straße geschoben werden müssen, schreibt das Landratsamt. Auf die privaten Umstände wie Alter oder Krankheit müsse der Landkreis als öffentlich-rechtlicher Entsorger keine Rücksicht nehmen. Den Personen sei zuzumuten, sich private Hilfe zu holen. Dazu gebe es sogar einen Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29. Oktober 2018. Aktenzeichen 20 ZB 18.957.
Dass der Müll der Erstaufnahme weiterhin vor Ort abgeholt werde, liege schlicht an der Tatsache, dass es sich um deinen anderen Dienstleister handele, dessen Autos leichter seien, schreibt das Landratsamt.
Immerhin ein Lichtblick: Der Müll könne dann wieder vor der Haustür abgeholt werden, wenn es eine Wendemöglichkeit
gebe. Eine solche zu bauen, liegt in der Zuständigkeit der Stadt Weingarten.
Die Lösung ist also ein städtischer Wendeplatz. Oder doch nicht? Wie die städtische Pressestelle auf SZ-Anfrage schreibt, sei der Stadtverwaltung die „zutiefst unbefriedigende Situation in der Scherzachstraße bekannt.“Allerdings erschließe sich die vorgebrachte Argumentation des Dienstleisters, die Tonnen nicht direkt vor der Tür abholen zu können, sich der zuständigen Abteilung auf den ersten Blick fachlich nicht. „Die Tragfähigkeit der sich vor Ort befindlichen Brücke hält dem Gewicht des Mülltransporters problemfrei stand“, sagt Pressesprecherin Sabine Weisel. „Auch gibt es vor Ort mit Falschparkern kein Problem, die die Fahrbahn verengen könnten.“Selbst die Fahrbahnbreite und Länge der Strecke dürften keine Einschränkungen verursachen. Ein vermeintlicher Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung lasse sich auch ausschließen, da die Fahrzeuge nach Paragraf 35 der Straßenverkehrsordnung entsprechende Sonderrechte haben.
Bis heute wird der Müll in der Scherzachstraße 24 bis 36 nicht abgeholt. Die Anwohner müssen ihre Tonnen zur Brücke bringen. Ergebnis: Vor ein paar Wochen mussten sie eine Biotonne aus der Scherzach fischen.
Dennoch kam jetzt noch einmal Bewegung in die Sache: Am Mittwoch, 11. März, gab es es einen VorOrt-Termin mit allen Beteiligten geben: Landratsamt, Stadt, Dienstleister und dem Fahrer. Auch die Anwohner waren dazu eingeladen. Nach langer Diskussion gibt es es nun einen Kompromiss: Das Müllauto fährt bis zur Hälfte in die Straße ein. Ein Wendeplatz wird nicht gebaut.