Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Anwohner sind verärgert über Müllentsor­gung

Warum der Müll in der Scherzachs­traße nicht mehr abgeholt wird und was die Stadt tun soll

- Von Markus Reppner

WEINGARTEN- Da hat eine Anwohnerin der Scherzachs­traße nicht schlecht gestaunt: An einem Vormittag im Mai vergangene­n Jahres blieb ihre Biotonne voll, anstatt wie gewohnt geleert zu sein. Sie ist nicht alleine mit dem Problem. Auch die Tonnen der anderen Haushalte wurden nicht geleert. Ein Versehen? Mitnichten, wie sich herausstel­lt. Denn auch die kommenden Wochen fährt das Müllauto nicht mehr in die Straße ein. Kurios, aber wahr: Das Müllauto, das den Papiermüll abholt, fährt in die Straße ein. Erst auf Nachfrage beim Abfalldien­stleister, der im Auftrag des Landratsam­ts den Müll abholt, erfahren die Anwohner den Grund.

Da eine Baustellen­absperrung im Weg sei, heißt es in einer E-Mail des Dienstleis­ters Veolia, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, könne das Abfallfahr­zeug nicht in die Straße einfahren, ohne auf den Fußgängerü­berweg zu fahren. Das wäre grob fahrlässig und ein Verstoß gegen die Straßenver­kehrsordnu­ng. Man solle doch künftig die Biobehälte­r vorne an der Brücke abstellen. Ein separates Abfallauto zu schicken sei aus logistisch­en Gründen nicht möglich.

Da scheint es einen plötzliche­n Sinneswand­el gegeben zu haben oder wie die Anwohnerin vermutet, der Fahrer habe gewechselt. Denn die Baustelle gebe es seit Monaten und bislang sei das Müllauto immer bis vor die Tür gefahren. In dem betroffene­n Gebiet würden auch viele ältere Menschen leben, die unmöglich ihre volle Tonne bis zu 50 Meter zur Brücke schleifen könnten.

Immerhin erreichen die Anwohner, dass an Pfingsten ein Außendiens­tmitarbeit­er des Abfallunte­rnehmens

sich die Situation vor Ort ansieht. Doch leider fällt seine Beurteilun­g negativ aus. Die Abfallbehä­lter müssten in Abstimmung mit dem Landratsam­t an die Brücke gebracht werden. Von einem Verstoß gegen die Straßenver­kehrsordnu­ng ist in der E-Mail nichts mehr zu lesen. Vielmehr hat man andere Gründe gefunden. Die Brücke könne das Gesamtgewi­cht der Abfallfahr­zeuge nicht tragen. Und: Es besteht die Gefahr von Gegenverke­hr, wenn man die Schlaufe hinauffahr­e, heißt es in der E-Mail.

Jetzt verstehen die Anwohner die Welt erst recht nicht mehr. Fährt da nicht regelmäßig ein anderes Müllauto in die Straße bis zur Erstunterk­unft hinauf und leert den Container? Ja. Warum kann dieses Auto aber in die Straße hineinfahr­en, das andere aber nicht?

Der Fall entwickelt sich zur Vorschrift­enposse. Auf SZ-Anfrage bestätigt das Landratsam­t die geschilder­te Sachlage. Der Müll werde nur noch an der Einfahrt zu Scherzachs­traße abgeholt, weil die Straße „in den Abschnitte­n 24 bis 36 eine Sackgasse ohne Wendemögli­chkeit ist“, heißt es in der Antwort der Pressestel­le des Landratsam­ts. Dieser Straßenabs­chnitt habe nicht die erforderli­che Breite von 4,75 Meter. Zudem sei beim Rückwärtsf­ahren rechts und links durchgehen­d mindestens ein halber Meter Sicherheit­sabstand zu „ortsfesten Einrichtun­gen“- gemeint sind Häuser - oder abgestellt­en Fahrzeugen einzuhalte­n. Hinzu komme, dass sich im Gefahrenbe­reich soziale Einrichtun­gen befinden, aus denen oft auch Kinder auf die Fahrbahn springen würden. Eine Wendemögli­chkeit im oberen Bereich gebe nicht. Die Straße sei für den Dienstleis­ter im Rahmen der Vorgaben der Berufsgeno­ssenschaft so nicht befahrbar.

Ist es den zumeist älteren Anwohnern zumutbar ihre Mülltonne bis zur Brücke zu bringen? Nach Ansicht des Landratsam­t, ja. Im Rahmen der Rechtsprec­hung sei es durchaus zulässig, dass Mülltonnen bis zu 50 Meter an die Straße geschoben werden müssen, schreibt das Landratsam­t. Auf die privaten Umstände wie Alter oder Krankheit müsse der Landkreis als öffentlich-rechtliche­r Entsorger keine Rücksicht nehmen. Den Personen sei zuzumuten, sich private Hilfe zu holen. Dazu gebe es sogar einen Beschluss des Verwaltung­sgerichts München vom 29. Oktober 2018. Aktenzeich­en 20 ZB 18.957.

Dass der Müll der Erstaufnah­me weiterhin vor Ort abgeholt werde, liege schlicht an der Tatsache, dass es sich um deinen anderen Dienstleis­ter handele, dessen Autos leichter seien, schreibt das Landratsam­t.

Immerhin ein Lichtblick: Der Müll könne dann wieder vor der Haustür abgeholt werden, wenn es eine Wendemögli­chkeit

gebe. Eine solche zu bauen, liegt in der Zuständigk­eit der Stadt Weingarten.

Die Lösung ist also ein städtische­r Wendeplatz. Oder doch nicht? Wie die städtische Pressestel­le auf SZ-Anfrage schreibt, sei der Stadtverwa­ltung die „zutiefst unbefriedi­gende Situation in der Scherzachs­traße bekannt.“Allerdings erschließe sich die vorgebrach­te Argumentat­ion des Dienstleis­ters, die Tonnen nicht direkt vor der Tür abholen zu können, sich der zuständige­n Abteilung auf den ersten Blick fachlich nicht. „Die Tragfähigk­eit der sich vor Ort befindlich­en Brücke hält dem Gewicht des Mülltransp­orters problemfre­i stand“, sagt Pressespre­cherin Sabine Weisel. „Auch gibt es vor Ort mit Falschpark­ern kein Problem, die die Fahrbahn verengen könnten.“Selbst die Fahrbahnbr­eite und Länge der Strecke dürften keine Einschränk­ungen verursache­n. Ein vermeintli­cher Verstoß gegen die Straßenver­kehrsordnu­ng lasse sich auch ausschließ­en, da die Fahrzeuge nach Paragraf 35 der Straßenver­kehrsordnu­ng entspreche­nde Sonderrech­te haben.

Bis heute wird der Müll in der Scherzachs­traße 24 bis 36 nicht abgeholt. Die Anwohner müssen ihre Tonnen zur Brücke bringen. Ergebnis: Vor ein paar Wochen mussten sie eine Biotonne aus der Scherzach fischen.

Dennoch kam jetzt noch einmal Bewegung in die Sache: Am Mittwoch, 11. März, gab es es einen VorOrt-Termin mit allen Beteiligte­n geben: Landratsam­t, Stadt, Dienstleis­ter und dem Fahrer. Auch die Anwohner waren dazu eingeladen. Nach langer Diskussion gibt es es nun einen Kompromiss: Das Müllauto fährt bis zur Hälfte in die Straße ein. Ein Wendeplatz wird nicht gebaut.

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FOTO: MARKUS REPPNER Die Anwohner der Scherzachs­traße 24 bis 36 in Weingarten verstehen die Welt nicht mehr. Von heute auf morgen wird ihr Müll nicht mehr vor der Haustür abgeholt.

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