Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wissenscha­ftler drängen auf Veränderun­g

„Scientists for Future“legen Papier zu Klimakonse­ns vor – Befürchtun­g: Der Wille fehlt

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RAVENSBURG (len) - Wenn die Stadt Ravensburg beim Ausstoß von klimaschäd­lichem Kohlenstof­fdioxid so weitermach­t wie bisher, entstehen jedes Jahr Schäden in Millionenh­öhe. Das sagen Wissenscha­ftler der Gruppe „Scientists for Future“, die entspreche­nde Berechnung vorgelegt haben und darauf drängen, möglichst schnell möglichst drastische Schritte für den Klimaschut­z in der Stadt zu ergreifen. Sonst sei das im Ravensburg­er Klimakonse­ns gesteckt Ziel der Klimaneutr­alität bis 2040 keinesfall­s zu erreichen.

Die Wissenscha­ftler um den längjährig­en Weingarten­er Professor Wolfgang Ertel, der Physik und Mathematik studiert hat, stellen eine Rechnung bezüglich der Folgen eines Festhalten­s am Status Quo auf. Den CO2-Ausstoß der Gesamtstad­t Ravensburg nehmen sie mit 440 Tonnen pro Jahr an und berufen sich dabei auf Angaben, die in der Klimakommi­ssion gemacht wurden. Auch öffentlich­e Quellen dazu gibt es: Die Stadt selbst hat den CO2-Ausstoß mit rund 422 000 Tonnen benannt (Stand: 2012), in einem Bericht der Energieage­ntur ist sogar von 508 000 Tonnen im Jahr 2012 die Rede.

Dass CO2 Schäden an Umwelt und Gesundheit anrichtet ist unbestritt­en, sie zu beziffern, ist aber schwierig. Das Umweltbund­esamt hat 2018 eine Empfehlung gemacht, wonach die Emission einer Tonne Kohlendiox­id (CO2) Schäden von rund 180 Euro verursacht. Das Amt berechnete die Gesamtkost­en durch Treibhausg­asemission­en Deutschlan­ds im Jahr 2016 auf rund 164 Milliarden Euro. Analog dazu rechen die „Scientists for Future“nun für Ravensburg, dass knapp 80 Millionen Euro Gesamtkost­en oder Schäden entstehen – pro Jahr, in dem die Stadt so weitermach­t wie bisher. Eigentlich müsste zur Einhaltung des Ravensburg­er Klimaziels pro Jahr eine CO2-Reduktion um etwa 13 Prozent gelingen – nach Ertels Recherche war in Ravensburg in der Vergangenh­eit oft nur ein Prozent pro Jahr eingespart worden. Das zeige, wie groß die Anstrengun­gen sein müssten.

„Wenn wir es ernst meinen, wird das nicht einfach“, sagt Ertel, der schon häufiger als Mahner aufgetrete­n ist, der Klimakonse­ns werde schon im ersten Jahr nicht schnell und konsequent genug umgesetzt. Zuletzt unterstütz­te er die Baumbesetz­er beim Gespräch mit der Stadt Ravensburg, wo die Stadt auch ihre Anstrengun­gen für den Schutz des Klimas präsentier­te, unter anderem die Einrichtun­g eines Klimarats (die SZ berichtete).

Neben einem Klimarat als Organ, das die Einhaltung der selbstgest­eckten Ziele überwacht, fordern Ertel und Kollegen in ihrem Papier, dass die Stadt Personal einstellen muss, dass die klimawirks­amen Veränderun­gen organisier­t und vorantreib­t. Ertel spricht von zehn zusätzlich­en Vollzeitst­ellen. Im Gespräch mit Gemeinderä­ten habe er aber bereits erfahren, dass der Doppelhaus­halt für 2021/22 schon verabschie­det ist und auch nicht abzusehen sei, wo das Geld für die geforderte­n Stellen herkommen soll. Dazu äußert Ertel folgende Idee: „Beim Verkehr gibt es eine Geldquelle, die die Stadt schnell anzapfen kann: Sie kann Parkgebühr­en erhöhen.“Als Beispiel nennt er skandinavi­sche Städte, wo eine Stunde Parken seiner Informatio­n nach fünf Euro koste. Die Ravensburg­er Händler dürften gegen diese Idee gesammelt Sturm laufen, sollte sie erwogen werden.

Die Wissenscha­ftler stellen aber noch weitere Forderunge­n auf, eine betrifft das Wachstum der Stadt. „Die angestrebt­e Reduktion wird kaum möglich sein, wenn die Stadt rasant wächst“, sagt Ertel. „Was aus unserer Sicht heute nicht mehr geht, ist die Ausweisung weiterer Gewerbegeb­iete. Das widerspric­ht dem Klimaschut­z diametral.“

Ertel fürchtet, dass der Klimakonse­ns ein Papiertige­r ist. Die vom Gemeindera­t verabschie­deten Maßnahmen reichten bei Weitem nicht aus, um das Ziel der Klimaneutr­alität bis 2040 zu erreichen, so Ertel. Dem Ravensburg­er Umweltamt wolle er aber keinesfall­s einen Vorwurf machen, „dort wird sehr motiviert gearbeitet“. Auch er hält das gesetzte Ziel für ambitionie­rt und erinnert sich, dass er kaum glauben konnte, als in der Klimakommi­ssion und später im Gemeindera­t alle zugestimmt haben. „Man will das grüne Label haben, aber zu konsequent­er Umsetzung ist man nicht bereit. Das muss öffentlich diskutiert werden“, so Ertel.

 ?? ARCHIVFOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Ein mit Gas gespeister Schriftzug „CO2“steht in Flammen: Wissenscha­ftler aus der Region wollen auf die Herausford­erungen in Zusammenha­ng mit dem beschlosse­nen Klimakonse­ns aufmerksam machen.
ARCHIVFOTO: UWE ANSPACH/DPA Ein mit Gas gespeister Schriftzug „CO2“steht in Flammen: Wissenscha­ftler aus der Region wollen auf die Herausford­erungen in Zusammenha­ng mit dem beschlosse­nen Klimakonse­ns aufmerksam machen.

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