Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie jeder zum Schutz der Artenvielfalt beitragen kann
Viele Tiere und Pflanzen im Kreis Ravensburg sind gefährdet – Wieso die Förderung der Biodiversität so wichtig ist
RAVENSBURG - Das Interesse der Bevölkerung am Gärtnern im öffentlichen und privaten Raum sowie an Gartengestaltung in den vergangenen Jahren wieder zu, teilt der Landschaftserhaltungsverband Ravensburg (LEV) mit. „Dieser positive Trend führt jedoch nicht zwangsläufig zu mehr biologischer Vielfalt auf privaten Gartenflächen. Das soll sich ändern“, sagt Moritz Ott, stellvertretender Geschäftsführer und Biodiversitätsmanager des LEV. Denn auch im Landkreis Ravensburg seien viele Tier- und Pflanzenarten teils stark gefährdet.
Der Goldene Scheckenfalter ist beispielsweise ein Insekt, welches nur noch sehr selten zu beobachten sei. Einst in Deutschland weit verbreitet, sei der Falter durch die Intensivierung der Landwirtschaft und die Trockenlegung von Wiesen stark gefährdet, berichtet Ott. So wie zahlreiche andere Tierund Pflanzenarten. Dies betreffe nicht nur den Landkreis, sondern weltweit seien Arten und Lebensräume in großem Ausmaß bedroht, so Ott. „Der Erhalt und die Förderung der biologischen Vielfalt, auch Biodiversität genannt, ist wichtig, denn sie ist eines der wichtigsten Güter der Erde, sie ist überlebenswichtig.“
Der Landkreis Ravensburg hat daher als erster Landkreis bundesweit eine eigene Biodiversitätsstrategie entwickelt. Ziel dieser Strategie ist es, ganz konkret einen Beitrag zur Erhöhung der Artenvielfalt zu leisten und die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, um für nachfolgende Generationen die wertvolle Artenvielfalt der hiesigen Natur und Landschaft zu erhalten. „Für eine erfolgsversprechende Umsetzung der Strategie ist die Beteiligung von Bürgern, Kommunen, Landwirten, Naturschutzverbänden, Schulen und Vereinen ein wesentlicher Faktor“, meint Ott.
„Man stelle sich vor, in den Gärten gäbe es keine Kohlmeisen oder Rotkehlchen mehr. Das wäre nicht nur traurig, sondern dramatisch“, sagt Ott. Denn Biodiversität sei Voraussetzung für Leben und Überleben. „Wir Menschen sind unmittelbar von der biologischen Vielfalt abhängig. Biodiversität bedeutet biologische Vielfalt. Sie umfasst die verschiedenen Lebensformen wie Arten von Tieren und Pflanzen, die unterschiedlichen Lebensräume, in denen Arten leben wie beispielsweise der Wald oder Gewässer, sowie die genetische Vielfalt innerhalb der Arten“, erklärt Ott.
Es gebe Tier- und Pflanzenarten, die auch hier im Landkreis selten geworden sind und vom Aussterben bedroht sind. Deshalb sollen konkrete Maßnahmen getroffen werden, um die Artenvielfalt im Landkreis zu schützen und zu fördern. In der Biodiversitätsstrategie des LEV wurden hierfür Maßnahmen, Aufgaben und Projekte festgelegt.
Landschaftserhaltungsverbände (LEV) im Allgemeinen sind Kooperationen zwischen Landnutzern, Naturschützern und Kommunen. Sie sind als gemeinnützige Vereine auf Landkreisebene organisiert und verstehen sich als Brückenbauer zwischen Mensch und Natur. Der Landschaftserhaltungsverband des Landkreises Ravensburg wurde im Dezember 2014 gegründet und hat unter anderem zum Ziel, die Kulturlandschaft mit ihren schützenswerten Lebensräumen insbesondere im Landkreis Ravensburg zu erhalten und zu entwickeln und die Artenvielfalt zu schützen und zu fördern.
Die Biodiversitätsstrategie und deren Umsetzung ist eines der Aufgabenfelder des LEV. „Dabei stehen der Erhalt und die Entwicklung von Ökosystemen, die Aufwertung strukturverarmter Flächen sowie die Vernetzung von Biotopen im Fokus“, erklärt Moritz Ott. Ziel der Strategie sei, die Artenvielfalt aktiv zu erhalten und zu fördern. Auf einer Webseite
(www.naturvielfalt-rv.de) werden die unterschiedlichen Projekte im Rahmen der Biodiversitätsstrategie erläutert. Ein Beispiel ist die Aktion „1000 schnittige Obstbäume“, bei der Eigentümer von Streuobstbeständen tatkräftig und finanziell bei der Pflege ihrer Bestände unterstützt werden.
„In den letzten Jahren tauchten vielerorts vermehrt monotone Steingärten auf. Sie sind einfach zu pflegen, lästiges Unkrautjäten entfällt. Allerdings sind Steingärten ein Todesurteil für viele Arten“, berichtet Ott. Auch ordentlich aufgeräumte Gärten mit häufig gemähten Kurzrasenflächen, großräumig betonierte und gepflasterte Flächen oder die Pflanzung exotischer oder sonstiger nicht-heimischer Pflanzen sollen sich ungünstig auf die Biodiversität auswirken. „Düngeund Pflanzenschutzmittel werden zudem oftmals unverhältnismäßig häufig eingesetzt. So entstehen insgesamt sehr schwierige Lebensbedingungen für die heimischen Tiere und Pflanzen“, erklärt Ott.
Wichtig für die Förderung der Artenvielfalt seien hingegen naturnah gestaltete Gärten. „Blühflächen bieten blütenbesuchenden Insekten notwendige Nahrung. Hecken können als Gebietsabgrenzung genutzt werden und dienen zugleich Vögeln und anderen Tieren als Unterschlupf.
Nistkästen und Insektenhotels geben Vögeln, Fledermäusen und Wildbienen ein Zuhause. Bodenversiegelungen sollten vermieden werden. In weniger genutzten Ecken des Gartens können Strukturen wie Totholz-, Laub- und Steinhaufen oder Trockenmauern ein wertiges Lebensraumangebot darstellen. Ott: „Unordentliche Gärten sind total in Ordnung, denn Laub oder ein Haufen mit altem Gehölz in einer Gartenecke kann Biodiversität fördern. Bevorzugen Sie bei der Bepflanzung Ihres Gartens heimische Arten und verzichten am besten konsequent auf Pestizide und Substrate aus Torf“, mahnt Ott. Bereits durch diese Maßnahmen könne es zu einer erlebbaren Steigerung des Artenreichtums an Kleintieren und Wildkräutern in den Gärten kommen.
Zur Biodiversitätsstrategie zählt auch, ein Saatgutprojekt, bei dem die Bürger im Landkreis ihre Gärten mit heimischen Kräutern bestücken können. Im vergangenen Jahr engagierten sich mehr als 5000 Haushalte bei der Kampagne und schufen so über 90 000 Quadratmeter Blühfläche und damit wertvollen Lebensraum für Wildbienen, Schmetterlinge und viele anderen, zum Teil auch selten gewordene Insekten.
„Es stehen dieses Jahr zwei Saatgutmischungen zur Verfügung, eine bunte Feld- und Wildblumenmischung und eine Küchen- und Heilkräutermischung, bestehend aus 14 heimischen, mehrjährigen und zum Teil in Vergessenheit geratenen Kräuterarten, die einst in den Bauerngärten beheimatet waren“, erzählt Moritz Ott. Darüber hinaus werde es einen Newsletter geben, der die Teilnehmer Schritt für Schritt von der Bodenvorbereitung bis hin zur Pflege begleiten soll, um den größtmöglichen Blüherfolg zu garantieren sowie Onlineveranstaltungen und detaillierte Pflanzanleitungen bezüglich der Anlage einer Blühfläche. „Erstmals bieten wir 2021 auch Kräuterexkursionen an.“Dieses Onlineangebot soll die Kampagne mit „Do it yourself“-Anleitungen, Ideen und Inspirationen für Gartenliebhaber ergänzen.
Biodiversität umfasst unterschiedlichste Themengebiete. Über das Jahr hinweg wird die „Schwäbische Zeitung“regelmäßig über das Thema Artenvielfalt im Landkreis Ravensburg berichten – von der richtigen Fütterung von Gartenvögeln, über das Anlegen einer Kräuterspirale bis hin zur eigenen Blühfläche im Garten. So könne die Leser Anfang März erfahren, warum es Mehlschwalben zunehmend schwerer haben, ihre Nester zu bauen, und wie es gelingt, diese Vögel mit einem selbst gebauten Nest zu unterstützen. Ferner, welche Schritte in der SaatgutAktion der Kampagne „Blühender Landkreis Ravensburg“anstehen.