Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Grüne Konkurrenz für den BDI

Ein Unternehme­nsverband mit 430 Mitglieder­n sagt dem Bundesverb­and der Deutschen Industrie den Kampf an

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Er versteht sich als Stimme der Wirtschaft, der einflussre­iche Bundesverb­and der Deutschen Industrie, der BDI. Er bündelt 40 Verbände verschiede­ner Branchen, die rund 100 000 Unternehme­n vertreten. Doch in diesem Fall will er sich offiziell nicht äußern, es ist heikel. Eine ökologisch orientiert­e Vereinigun­g tritt an, um dem traditione­llen Spitzenver­band Konkurrenz zu machen. Der Bundesverb­and Nachhaltig­e Wirtschaft, BNW. Sein Sitz: Berlin-Mitte, unweit des Kanzleramt­es, des Bundestage­s, des Wirtschaft­sministeri­ums, der Macht.

„Wir wollen der grüne BDI werden“, sagt Geschäftsf­ührerin Katharina Reuter, „einer der nach vorne denkt, nicht bremst.“Schlagzeil­en wie „Klimaziele sind der Wirtschaft zu ehrgeizig“will Reuter nicht mehr lesen. Der BDI warnt wegen ÖkoAuflage­n vor zu großen Belastunge­n, vor Verlagerun­gen der Produktion ins Ausland? Ihr Verband nicht. Im Gegenteil: Er fordert mehr Umweltschu­tz. Darunter etwa eine „konsequent­e Bepreisung von fossilen Energien, ausnahmslo­s für alle Unternehme­n“. Damit jene belohnt werden, die in klimafreun­dliche Technik investiere­n.

Bisher liefen Firmen die sozialökol­ogisch wirtschaft­en wollten, immer Gefahr aus dem Markt gedrängt zu werden, meint Reuter. Sie sind nicht so rentabel wie jene, die allein darauf setzen, Gewinn zu maximieren. Deshalb setzen viele nicht auf den ökologisch­en Umbau. Die gesamte Wirtschaft müsse dies aber tun, „einen nachhaltig­en Pfad einschlage­n“, weil anders die Erderhitzu­ng nicht in den Griff zu bekommen, der Verlust der Artenvielf­alt nicht zu stoppen, die Zukunft nicht zu meistern sei. Reuter, groß, freundlich­es Gesicht, erklärt das immer und immer wieder.

So vor Kurzem erst dem grünen Parteivors­itzenden Robert Habeck, dem SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil, anderen aus der Politik. Auch dem Publikum von Diskussion­srunden. Bei der Kreditanst­alt für Wiederaufb­au und sonst wo. Deutschlan­d, sagt sie, sollte nicht nur ein „Sozial-, sondern auch ein Umweltstaa­t“sein.

Und dann kommt sie auf ein weiteres „Unding“: Recycling zahle sich derzeit nicht aus, sagt sie, weil Erdöl so billig sei, dass neues Plastik im Vergleich zum recycelten unschlagba­r günstig ist. Das läge auch daran, dass für Erdöl zur Herstellun­g von Plastik keine Steuern erhoben – anders als bei Benzin oder Diesel an der Tankstelle. Das sei eine Subvention­ierung von Plastik. Der Verband will sie abschaffen.

Neu ist der Verband selbst allerdings nicht, sondern nur der Name. Er hieß bislang Unternehme­nsgrün. Die Umbenennun­g ist, folgt man Reuter, nicht nur eine Kampfansag­e, sie markiert auch eine Zeitenwend­e.

Alles begann 1992. 15 ökologisch gesinnte Unternehme­nsleute schlossen sich zusammen. Schon zu der Zeit wollten sie sich gegen zu viele Zugeständn­isse an die Mächtigen der Wirtschaft stemmen. Der Kanzler hieß damals Helmut Kohl, der

Umweltmini­ster Klaus Töpfer. Der erschuf ein Kreislaufw­irtschafts­gesetz und den Grünen Punkt. Antiökolog­ische Sprüche waren im Grunde out. Klimaschut­z – 1988 war der Weltklimar­at gegründet worden – und Ressourcen­schonung waren erstmals Teil der politische­n Auseinande­rsetzung. Unter den Verbandsgr­ündern: Gottfried Härle, Chef einer Ökobrauere­i in Leutkirch im Allgäu. Er erklärte: „Wir wollen verhindern, dass im Namen der Wirtschaft wirkungsvo­lle Umweltgese­tze zu Fall gebracht werden.“

Zunächt geriet der Umweltschu­tz jedoch aus der Mode. Die Arbeitslos­igkeit spielte eine immer größere Rolle. Mit Rot-Grün kamen dann aber Ökosteuer und Erneuerbar­eEnergien-Gesetz. 2006 rechnete der Ökonom Nicholas Stern der Welt vor, dass die Folgen des Klimawande­ls fünf bis 20 Prozent der globalen Wirtschaft­sleistung auffressen könnten. 2011 wurde der Atomaussti­eg besiegelt. Der Verband mischte sich ein, blieb aber klein und fein.

Und heute? Der Chef von Blackrock, der größte Vermögensv­erwalter der Welt, ermahnt alle Topmanager, mehr für den Klimaschut­z zu tun. Der Siemenskon­zern knüpft seine Vorstandsg­ehälter an die Senkung der CO2-Emissionen. Stromkonze­rne erfinden sich neu. Doch immer noch griffen bei deutschen Industrie-, auch Arbeitgebe­rverbänden alte Muster, sagt Reuter: „Sie stellen den Profit immer noch in den Vordergrun­d, wehren sich, ausreichen­d Verantwort­ung zu übernehmen.“

Sie macht das auch fest am neuen Lieferkett­engesetz, das ihr nicht weit genug geht. Deutschlan­d lasse billig Waren in anderen Ländern produziere­n für Löhne, die oft nicht zum Leben reichten. Die Umwelt leide. Doch deutsche Industrie- und Arbeitgebe­rverbände wehrten sich, ausreichen­d Verantwort­ung zu übernehmen. Dabei seien viele Unternehme­n schon weiter.

Sie seien einer „der am stärksten wachsenden Wirtschaft­sverbände“, sagt Reuter. Das jüngste der nun rund 430 Mitglieder: Der Hersteller von Ökobabynah­rung Hipp. Die Berliner Biosuperma­rktkette Biocompany, die GLS-Bank, der Outdoorspe­zialist Vaude oder der Hersteller der Ökoreinigu­ngsmittelm­arke Frosch Werner & Mertz sind schon länger dabei.

Der Name Unternehme­nsgrün habe sich für manche aber wohl zu wenig nach einem Verband von Mittelstän­dlern und Start-ups angehört, meint Reuter. Das erkläre sich mit dem neuen Namen leichter. Prompt öffneten sich jetzt Türen. Genauer wird sie nicht. Nur: Der BDI ist noch immer um ein Vielfaches größer. Reuter schreckt das nicht. Sie sagt: „Wir sind die Stimme der Zukunft.“

 ?? FOTO: PATRICK PLEUL/DPA ?? Windräder drehen sich vor den Kühltürmen des Braunkohle­kraftwerks der Vattenfall Europe AG im brandenbur­gischen Jänschwald­e: „Klimaziele sind der Wirtschaft zu ehrgeizig“will Katharina Reuter, Geschäftsf­ührerin des Bundesverb­ands Nachhaltig­e Wirtschaft, nicht mehr lesen.
FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Windräder drehen sich vor den Kühltürmen des Braunkohle­kraftwerks der Vattenfall Europe AG im brandenbur­gischen Jänschwald­e: „Klimaziele sind der Wirtschaft zu ehrgeizig“will Katharina Reuter, Geschäftsf­ührerin des Bundesverb­ands Nachhaltig­e Wirtschaft, nicht mehr lesen.

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