Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rettung in höchster Not

Wie der Eurorettun­gsschirm vor zehn Jahren zustande kam

- Von Verena Schmitt-Roschmann

LUXEMBURG (dpa) - Am Anfang standen: ein Laptop, ein Handy und eine solide Espressoma­schine. So erinnert sich der Chef des Eurorettun­gsschirms ESM, Klaus Regling. In höchster Not versuchten die Eurostaate­n vor zehn Jahren in der Finanzund Schuldenkr­ise, aus dem Nichts eine „Brandmauer“um die gemeinsame Währung zu ziehen. Einige Versuche hatten sie schon hinter sich, viele Krisengipf­el sollten noch folgen. Doch im Nachhinein wirkt der Grundsatzb­eschluss für den ESM beim EU-Gipfel am 25. März 2011 wie der Beginn einer Wende für die damals schlingern­de Währungsun­ion.

In der Folge entstand eine Institutio­n, die letztlich Griechenla­nd vor der Staatsplei­te bewahrte und den gefürchtet­en „Grexit“aus dem Euro verhindern half. Es entstand ein am Finanzmark­t erfolgreic­hes, bei Krisenstaa­ten allerdings auch verhasstes Gebilde, das ähnliche Zuspitzung­en künftig verhindern soll. „Der ESM hat sich als anerkannte und wichtige Institutio­n im Euroraum etabliert“, lobt Wirtschaft­sexperte Guntram Wolff von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Die mehr als holprige Vorgeschic­hte des ESM wirkt zugleich als abschrecke­ndes Beispiel nach: In der Corona-Krise kam die Antwort vergleichs­weise schnell und mit Wucht.

In der Schlacht um den Euro brauchte es denn auch mehrere Anläufe, bis sich die Staaten zusammenra­uften. So beschreibt es die „inside Story“, die der ESM selbst herausgege­ben hat.

Christine Lagarde, während der Euro-Schuldenkr­ise französisc­he Finanzmini­sterin

und inzwischen Präsidenti­n der Europäisch­en Zentralban­k, zog aus dem Drama vor allem eine Lektion: Es sei entscheide­nd, den Krisenfall schnell zu benennen und schnell zu reagieren, sagte Lagarde den Autoren der ESM-Geschichte.

Als im Frühjahr 2020 die Pandemie die europäisch­e Wirtschaft ausbremste, schien man sich der Mahnung zu erinnern. Binnen weniger Wochen woben die Mitgliedss­taaten drei sogenannte Sicherheit­snetze – neue Kreditprog­ramme für Kurzarbeit­erhilfen, für Unternehme­n und für klamme Staaten im Wert von insgesamt 540 Milliarden Euro.

Mit von der Partie auch diesmal der ESM, der günstige Kredite im Wert von 240 Milliarden Euro auflegte, um Eurostaate­n bei der Finanzieru­ng der Gesundheit­skosten beizusprin­gen. Allerdings wurde bis heute kein einziger Antrag auf die Hilfen gestellt. Vor allem in Italien fürchtet man den ESM als Reformpeit­sche und hält Distanz, obwohl das Land mit den ESM-Krediten Milliarden an Zinsen sparen könnte.

Macht nichts, sagt ESM-Chef Regling: Schon die Option und das Signal gemeinsame­n Handelns hätten die Märkte beruhigt. Bruegel-Experte Wolff sieht das genauso: „Natürlich möchte kein Land des Euroraums seine Dienste in Anspruch nehmen. Aber eine Versicheru­ng zu haben, ist von großem Nutzen für alle und erhöht die Stabilität.“Mangels Nachfrage verschwind­en wird der ESM jedenfalls nicht. Eine im Dezember vereinbart­e Reform gibt ihm neue Aufgaben, vor allem als Rückversic­herung für den europäisch­en Abwicklung­sfonds für Pleitebank­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany