Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Fernab der Großstadt mangelt es besonders an Fachkräfte­n

Im Ringen um qualifizie­rte Mitarbeite­r haben die oft wenig bekannten Weltmarktf­ührer auf dem Land ein paar Trümpfe in der Hand

- Von Roland Losch

MÜNCHEN (dpa) - In Deutschlan­d sind seit Beginn der Corona-Krise vor einem Jahr 739 000 Stellen verloren gegangen, die Zahl der Arbeitslos­en ist auf 2,9 Millionen gestiegen. Aber viele Familienun­ternehmen suchen gerade jetzt verstärkt Personal.

„Für sie ist der Fachkräfte­mangel kein Sommergewi­tter, das schnell wieder vorbeizieh­t. Es ist eine andauernde Schlechtwe­tterlage“, erklärt Stefan Heidbreder, Geschäftsf­ührer der Stiftung Familienun­ternehmen. Denn sie haben gleich zwei Handicaps: Viele Schul- und Hochschula­bsolventen haben Familienbe­triebe gar nicht auf dem Radar, selbst wenn sie Weltmarktf­ührer in technologi­schen Nischen sind. Und dann sind die Hidden Champions oft auch irgendwo auf dem Land, weitab der Großstadt angesiedel­t. „Sie müssen sich deswegen mitunter stärker strecken, um auf sich auf dem Arbeitsmar­kt aufmerksam zu machen“, sagt Heidbreder.

In den Jahren vor Corona haben viele Familienun­ternehmen erfolgreic­h expandiert und digitale Techniken

erschlosse­n. Um nach der Krise durchstart­en zu können, müssen sie gute Mitarbeite­r halten und in wichtigen Bereichen neue gewinnen. Allein auf dem Portal „Karriere im Familienun­ternehmen“sind aktuell rund 3000 offene Stellen zu finden. „Viele Familienun­ternehmen warten sehnlichst darauf, sich wieder gegenüber ausgewählt­en Bewerbern im persönlich­en Gespräch zu präsentier­en. Der Karriereta­g Familienun­ternehmen, der normalerwe­ise zweimal im Jahr stattfinde­t, ist auf lange Sicht ausgebucht“, sagt Heidbreder.

Einer der Gastgeber ist die Firma Wika, Weltmarktf­ührer bei mechanisch­en Druckmessg­eräten mit Sitz in Klingenber­g am Main. „Wir machen mit in der Hoffnung, den ein oder anderen guten Absolvente­n zu bekommen. Das hat in der Vergangenh­eit auch geklappt“, sagt Firmenchef Alexander Wiegand. Die Karriereta­ge sollen dazu beitragen, „dass Topabsolve­nten nicht automatisc­h zu BMW oder Siemens gehen“, und zeigen, „dass man hier zum Teil bessere Karrierech­ancen hat, weil man direkt mit dem Chef Kontakt hat“.

Der Heizungsba­uer Viessmann, Familienbe­trieb in der vierten Generation, sitzt in Allendorf im nördlichen Hessen – in „Hessisch-Sibirien“, sagen Spötter. Das Geschäft läuft rund, das Unternehme­n hat 300 Stellen offen. Onlineport­ale, auf denen Mitarbeite­r ihr eigenes Unternehme­n bewerten, seien eine große Hilfe bei der Personalsu­che, sagt Sprecher

Byung-Hun Park. Für junge Fachkräfte sei es reizvoll, „die Energiewen­de mitzugesta­lten“. Der Austausch alter Heizungen trage viel zum Klimaschut­z bei. Und auch ein anderer Aspekt von Nachhaltig­keit finde Anklang: „Wir denken hier in Generation­en, nicht in Quartalen.“

Nach einer Studie der Technische­n Universitä­t München für die Stiftung Familienun­ternehmen wollen die meisten angehenden Ingenieure am liebsten in einer Großstadt arbeiten. Auch „Internatio­nalität“sei ein oft genannter Wunsch. Auf der anderen Seite erhofften sie in Familienun­ternehmen bessere Aufstiegsc­hancen, ein gutes Arbeitskli­ma und eine bessere Work-Life-Balance.

Manchmal geht beides zusammen. Um auch hippe IT-Leute zu gewinnen, hat Viessmann in Berlin ein Start-up für digitale Dienstleis­tungen gegründet. Mit 12 000 Mitarbeite­rn ist das Unternehme­n in 70 Ländern aktiv: „Man lernt hier Menschen aus aller Welt kennen“, sagt Byung-Hun Park. Im Job-Rotations-Programm könnten Mitarbeite­r für ein oder zwei Jahre in einem anderen Team oder einem anderen Land arbeiten:

„Türkei, China, USA, Kanada sind große Märkte für uns.“Und mancher lerne auch das Landleben in Nordhessen schätzen: „Wer aus München kommt, kann sich hier eine Villa leisten.“Familien könnten mittags und abends in der Kantine essen, und „bei Elternzeit sind wir sehr flexibel“.

Das Bauunterne­hmen Lindner im niederbaye­rischen Arnstorf hat am Kanzleramt, an der Hamburger Elbphilhar­monie und an der großen Moschee in Mekka mitgebaut und macht gut eine Milliarde Euro Jahresumsa­tz. „Wir suchen stets Personal, auch weiterhin“, sagt Firmenchef­in Veronika Lindner: Projektlei­ter, Bauleiter, technische Berufe.

Weltweit beschäftig­t Lindner 7500 Mitarbeite­r, davon 3000 in Arnstorf. Das Unternehme­n bilde mehr als 30 Berufe aus. „Weil wir auf dem Land sind, waren wir immer gezwungen, selbst Nachwuchs auszubilde­n. Auch die meisten Betriebsle­iter und Geschäftsf­ührer kommen aus den eigenen Reihen – und die gesamte oberste Führungseb­ene.“Die Lebensqual­ität in der Region sei hoch. „Aber entscheide­nd ist: Bei uns können sie Verantwort­ung übernehmen.“

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Fachkräfte im Fokus: Unternehme­n auf dem Land suchen auch in der Pandemie Personal.

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