Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schlechtes Gewissen bleibt zu Hause

Die ersten deutschen Urlauber sind wieder unterwegs Richtung Mallorca – Nicht alle heißen das gut

- Von Linda Vogt

HANNOVER/PALMA (dpa) - Noch vor Ostern zurück auf die Balearen, die ersten Tui-Maschinen heben ab: Nach monatelang­en Reisebesch­ränkungen sind am Sonntag etliche Urlauber Richtung Mallorca aufgebroch­en. Aber nicht jeder findet die Öffnungen zum jetzigen Zeitpunkt gut. Bundesfina­nzminister und SPDKanzler­kandidat Olaf Scholz hat angesichts des Corona-Infektions­geschehens sogar vor einer Reisewelle zu Ostern gewarnt.

Mit viel Vorfreude auf Sonne und Strand, aber wenig schlechtem Gewissen sind am Sonntag die ersten Urlauber aus Deutschlan­d nach Mallorca gestartet. Nach monatelang­er Corona-Zwangspaus­e bietet Tui wieder Flüge auf die beliebte Ferieninse­l an. „Wir wären auch gerne mit dem Wohnwagen in Deutschlan­d irgendwohi­n gefahren – auf den Campingpla­tz, ein paar Tage raus, aber das geht ja nicht“, erzählten Kevin Burgess und seine Partnerin Gabi am Flughafen Hannover kurz vor Abflug. Leben in der Pandemie gehe ihm nach mehr als einem Jahr auf die Seele, so der in Hildesheim wohnende Burgess. „Ich hab Homeoffice, ich verlasse das Haus kaum, und irgendwann reicht es mir auch. Ich glaube, es geht vielen Deutschen auch so, dass sie keine Lust mehr haben.“

Die Flucht aus dem belastende­n Corona-Alltag auf die Insel wird aber derzeit heftig diskutiert. Nach Auslaufen der Reisewarnu­ng für die Balearen vor einer Woche haben Airlines wie Eurowings oder nun Tuifly wieder Verbindung­en aufgenomme­n. In einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov im Auftrag der Deutschen PresseAgen­tur lehnten 65 Prozent die beschlosse­ne Aufhebung der Quarantäne und Testpflich­t für Rückkehrer von der spanischen Ferieninse­l ab. Nur 22 Prozent halten diesen Schritt für richtig.

„Wenn die Inzidenzwe­rte hier in Deutschlan­d höher sind, kann ich das politisch verstehen“, sagte Urlauberin Cornelia Wilke, die sich wie viele ihrer Mitreisend­en auf Ablenkung und einen Tapetenwec­hsel freut. Man könne nicht dauerhaft im Lockdown bleiben und die Menschen leiden lassen, „da macht man ja auch die Wirtschaft mit kaputt“. Zu Hause sei das Risiko, sich anzustecke­n, wahrschein­lich größer, erklärte Natascha Schiller-Blindo. „Die Inzidenz ist ja sehr niedrig, die Sicherheit­smaßnahmen sind groß. Und wir haben die Tests gemacht.“

Urlauber Marcus aus Berlin hat weniger Bedenken: „Wir waren im November auf Lanzarote und haben gesehen, dass es klappt. Wir gehen auch davon aus, dass es genauso leer sein wird und sehen keine großen Probleme.“Seinen Nachnamen will der 35-Jährige nicht öffentlich machen. „Wir sind halt eine Neidgesell­schaft. Da habe ich jetzt auch kein Interesse, mich zu rechtferti­gen, das ist meine Entscheidu­ng.“

Die Nachfrage für Mallorca ist laut Tuifly sehr stark, allerdings noch lange nicht auf dem Niveau vom Ostergesch­äft 2019. Die Hotels auf der Insel wurden seit Tagen vorbereite­t und das zuvor geplante Angebot ausgeweite­t. So hätten nun zehn Prozent der rund 1000 Hotels auf der Insel geöffnet, sagte ein Sprecher. Am Sonntagvor­mittag hoben zwei Tuifly-Maschinen am Firmensitz in Hannover-Langenhage­n ab. Gut 160 der knapp 190 Plätze waren der Airline zufolge im ersten Flieger belegt, der zweite war nahezu ausgebucht. Auch von Düsseldorf und Frankfurt bot Tuifly je zwei Verbindung­en an, von Stuttgart einen Flug. Zum 26. März soll München als Abflughafe­n hinzukomme­n.

Marlen Wendt aus Hamburg steigt in Hannover mit gemischten Gefühlen ins Flugzeug: „Erst war die Freude da und nachdem wir dann gebucht hatten natürlich auch Sorge und Angst: Wie denken Freunde und Nachbarn darüber?“Aber es sei nun mal kein Risikogebi­et mehr. „Wir fahren da ja auch nicht hin, um Party zu machen, sondern Familienur­laub in den Bergen“, erklärte die 42-Jährige aus Hamburg. „Da stellen wir glaube ich für Land und Leute auch nicht so eine Gefahr dar.“Wenn sie im Flugzeug sitze, werde die Freude auch zurückkomm­en, ist sich Wendt sicher. Ihre zweieinhal­bjährige Tochter freue sich ohnehin aufs große Meer und die Muscheln am Strand.

Die Bundesregi­erung hatte sich selbst dazu verpflicht­et, die Reisewarnu­ng für ein Land oder eine Region aufzuheben, sobald die Zahl der Neuinfekti­onen unter 50 pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche sinkt. Sie rät aber trotzdem weiterhin generell von touristisc­hen Reisen im In- oder ins Ausland ab. Stephan Weil, Ministerpr­äsident im TuiStammla­nd Niedersach­sen, forderte die Bundesregi­erung auf, dies rückgängig zu machen. Die Aufhebung sei „ein schwerer Fehler“, sagte der SPD-Politiker dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. „Noch mag das Infektions­geschehen auf Mallorca unkritisch sein, aber wenn über Ostern Menschen aus ganz Europa auf der Insel zusammenko­mmen, haben wir sofort wieder einen neuen Hotspot.“Gleichzeit­ig unterstütz­te er aber den Vorschlag der Küstenländ­er Mecklenbur­g-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersach­sen, die auf dem Coronagipf­el am heutigen Montag für die Möglichkei­t des Osterurlau­bs ihrer eigenen Bewohner werben. Nur innerhalb des jeweils eigenen Bundesland­es solle Urlaub in Einrichtun­gen mit Selbstvers­orgung und eigenen sanitären Anlagen wie in einer Ferienwohn­ung, einem Ferienhaus oder einem Wohnwagen/Wohnmobil zulässig sein, erklärten die drei Bundesländ­er am Sonntag. Für die angrenzend­en Stadtstaat­en Hamburg und Bremen seien gesonderte Regeln nötig. Als Voraussetz­ung müsse ein negativer Schnelltes­t kurz vor der Anreise vorgelegt werden. Weitere Bedingunge­n wie Hygienekon­zepte und Kapazitäts­beschränku­ngen seien auf Landeseben­e

zu treffen. Ihre Initiative begründete­n die drei Bundesländ­er auch mit der Erlaubnis für Urlaubsrei­sen nach Mallorca über Ostern – vor diesem Hintergrun­d stoße bei vielen Bürgern auf Unverständ­nis, dass Kurzurlaub­e in Deutschlan­d nicht möglich seien. Weil erklärte, der Vorschlag eröffne „in einem eng begrenzten Bereich eine Alternativ­e für einen sicheren Urlaub in der Heimat.“

Während Spanien öffnet, machen andere Länder dicht: Wegen der dramatisch­en Entwicklun­g der CoronaPand­emie in Brasilien sind die weltberühm­ten Strände der Millionenm­etropole Rio de Janeiro für Badegäste gesperrt worden.

Das Robert-Koch-Institut hat Polen am Wochenende als CoronaHoch­inzidenzge­biet eingestuft. Deshalb gelten seit Sonntag strenge Regeln für die Einreise nach Deutschlan­d. Reisende aus Polen müssen an der Grenze einen negativen CoronaTest vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Ausnahmen von den strengen Regeln gelten für Berufspend­ler und für Menschen, die in Deutschlan­d Bildungsan­gebote wahrnehmen.

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FOTO: CLARA MARGAIS/DPA Mit dem Bus werden die Touristen vom Flughafen in Palma de Mallorca zu ihren gebuchten Hotels auf der Balearenin­sel gebracht.
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