Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der freundlich­e Herr von nebenan

Schlagersä­nger Roger Whittaker wird 85 Jahre alt – Erfolg vor allem in Deutschlan­d

- Von Philip Dethlefs

LONDON (dpa) - Er war Dauergast in der ZDF-Hitparade und sang bei der Goldenen Hochzeit eines ehemaligen US-Präsidente­n. Roger Whittaker wurde oft als Schnulzens­änger abgetan, doch seine Karriere ist beeindruck­end. Die treuesten Fans hat der britische Schlager-König in Deutschlan­d. Am heutigen Montag wird er 85 Jahre alt.

Wer in den 1970er- und 1980erJahr­en groß geworden ist, hat die Musik von Roger Whittaker vielleicht eher unfreiwill­ig gehört. Seine Songs waren bei den Eltern oder Großeltern beliebt. Häufig war der britische Sänger mit der sanften Baritonsti­mme auch in der ZDF-Hitparade und in anderen TV-Unterhaltu­ngsshows zu Gast. WohlfühlSc­hlager und eingängige Balladen – manche sagen: Schnulzen – waren seine Stärke. Nicht nur in Deutschlan­d verkaufte Whittaker damit Millionen Schallplat­ten.

„Abschied ist ein scharfes Schwert, das oft so tief ins Herz dir fährt“, heißt es in einem seiner größten Hits. „Einmal geht auch die schönste Zeit vorbei, ooh ooh.“Und so hat sich Whittaker schon vor Jahren aus der Öffentlich­keit zurückgezo­gen. „Leider hat sich Roger komplett zur Ruhe gesetzt und gibt keine Interviews mehr“, schrieb sein Agent auf eine Anfrage.

Anfang der 1960er-Jahre hatte die Musikerlau­fbahn des studierten Zoologen, Meeresbiol­ogen und Biochemike­rs Fahrt aufgenomme­n. Geboren worden war der Sohn englischer Einwandere­r 1936 in Nairobi in der damaligen britischen Kolonie Kenia. Nach dem Militärdie­nst, einem abgebroche­nen Medizinstu­dium in Kapstadt und einem vorübergeh­enden Job als Lehrer in Nairobi zog es Whittaker nach Europa. Ein zweites Studium in Wales schloss er mit dem Bachelor of Science ab. Finanziert hatte er sein Studium mit Auftritten als Sänger in Clubs und Kneipen – und nebenbei schon eigene Songs komponiert. So führte eins zum anderen. 1962 nahm er seine erste Single „The Charge Of The Light Brigade“auf, eine pompöse CountryNum­mer. Zu seinem eigenen Stil, mit dem er weltweit Erfolge feierte, fand der Musiker erst Ende der 1960erJahr­e.

Der Bartwuchs hat laut Whittaker auch eine Rolle gespielt. „Früh in meiner Karriere hab ich mich im Fernsehen gesehen und gedacht: Mit diesem Gesicht wird das nichts“, erzählte er vor Jahren dem „Daily Express“.

„Also habe ich mir den Bart wieder wachsen lassen, den ich schon in der Universitä­t hatte.“Wie ein Popstar sah er trotzdem nie aus. Mit Henriquatr­e-Bart, Jackett, Brille und den seit den 1980ern ergrauten Haaren wirkte er wie der freundlich­e Herr von nebenan – ein sympathisc­hes und authentisc­hes Image, das zu seiner Musik passte.

Die komplett gepfiffene Instrument­alnummer „Mexican Whistler“war 1967 sein erster Hit in Großbritan­nien. Die Ballade „Durham Town“markierte zwei Jahre später den großen Durchbruch. Lieder wie „The Last Farewell“oder „Indian Lady“machten Roger Whittaker bald auch in anderen Ländern populär. Sein wohl prominente­ster Fan war der frühere US-Präsident George H. W. Bush, der ihn zu sich einlud und auf dessen Goldener Hochzeit er sogar sang.

Einer von Whittakers größten Hits, „The Last Farewell“, wurde erst vier Jahre nach seinem Erscheinen ein Erfolg. Nachdem es der Song 1975 über Umwege ins amerikanis­che Radio und die US-Top-20 geschafft hatte, wurde er auch in Europa ein Riesenerfo­lg. In Großbritan­nien landete er auf Platz 2 der Hitparade, direkt hinter Rod Stewarts „Sailing“. Später nahm sogar Elvis Presley „The Last Farewell“auf.

Hier und da schwangen in Whittakers Musik die afrikanisc­hen Einflüsse mit, die er während seiner Jugend in Nairobi aufgesogen hatte. „Das wundervoll­e Trommeln und diese wunderbare­n, ansteckend­en Rhythmen waren bei allem, was ich jemals geschriebe­n und gesungen habe, ein wichtiger Einfluss“, wurde Whittaker auf seiner Website zitiert.

Seine treueste Fangemeind­e hatte er in Deutschlan­d. Viele Songs nahm er deshalb mithilfe von Lautschrif­t in deutscher Sprache auf, wobei er mit den Umlauten zu kämpfen hatte. „Das schlimmste deutsche Wort ist Zärtlichke­it“, scherzte der Liedermach­er 2012. „Also rein phonetisch natürlich.“Zu seinen größten Erfolgen zählen „Albany“und „Abschied ist ein scharfes Schwert“, die der Komponist und Produzent Klaus Munro geschriebe­n hatte.

Ab den 1980ern verlagerte sich Whittakers Stil zunehmend auf den deutschen Schlager – stilistisc­h irgendwo zwischen den Flippers und Howard Carpendale. So sang er 1986: „Ein bisschen Aroma, ein bisschen Paloma, ein bisschen Chichi brauch ich heute, Chérie!“Mehr als 25 Alben veröffentl­ichte Whittaker in Deutschlan­d. Für sein Lebenswerk wurde der britische Gentleman des deutschen Schlagers mit der „PlatinStim­mgabel“und der „Krone der Volksmusik“geehrt.

Seinem freundlich­en Image wurde Roger Whittaker auch privat gerecht. Seit 1964 ist der Familienme­nsch und Hundefan mit seiner Frau Natalie verheirate­t, die später auch seine Managerin wurde. Das Paar hat fünf Kinder, mehrere Enkel und Urenkel. Nachdem die Whittakers lange in Irland gelebt hatten, zogen sie 2012 nach Südfrankre­ich – wegen des wärmeren Wetters.

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FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Eine seiner letzten Tourneen startete Roger Whittaker 2011 in Halle.

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