Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wann Eltern alarmiert sein sollten

Wie man merkt, ob Kinder Drogen nehmen – Polizei klärt über gefährlich­e Trends auf

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - In der Pubertät verändert sich nicht nur der Körper. Kinder entwickeln auch andere Interessen oder Verhaltens­weisen, manchmal recht plötzlich. Für Eltern ist es dann oft schwierig zu unterschei­den, welche Verhaltens­änderungen normal sind und welche Anlass zur Sorge geben. In einem Online-Vortrag erklärten Christian Sauter von der Suchthilfe der Caritas BodenseeOb­erschwaben und Polizeiobe­rkommissar­in Sigrid Blenke vom Polizeiprä­sidium Ravensburg den Eltern von Neuntkläss­lern, welche Drogen in Ravensburg in Umlauf sind und wann sie alarmiert sein sollten.

Zunächst die gute Nachricht: Harte illegale Drogen sind in der Region kaum verbreitet. „Jeder Schüler im Kreis Ravensburg kommt zwar an alle Substanzen ran“, sagt Sauter. Aber der Konsum von Kokain, Methamphet­amin oder gar Heroin sei verschwind­end gering. Cannabis-Produkte wie Haschisch oder Marihuana sind hingegen ein weit größeres Problem. „Und synthetisc­h zusammenge­panschte Stoffe bekommen Sie in Ravensburg an jeder Ecke.“

Gemeint sind damit sogenannte „Legal highs“, die alles andere als legal sind, aber high machen. Sie werden in den Drogenküch­en Osteuropas oder Asiens nach immer neuen Rezepten zusammenge­braut und meist übers Internet vertrieben, ihre Wirkung ist – anders als bei Haschisch – schwer kalkulierb­ar. „Auch erfahrene Drogenkons­umenten berichten uns, dass Spice und Co. sehr gefährlich sind, weil man nicht weiß, was drin ist“, erzählt Sigrid Blenke aus der polizeilic­hen Praxis.

Die Wirkung der vermeintli­chen Badesalze oder Kräutermis­chungen in bunten, gefällig gestylten Päckchen sei unberechen­bar – und gar nicht so selten tödlich. „Wenn jemand sagt, er möchte das ein oder andere mal ausprobier­en, rate ich davon dringend ab“, sagt die Kommissari­n, die in der polizeilic­hen Prävention arbeitet.

Drogen wie Crystal Meth etwa (auch bekannt aus der Netflix-Serie „Breaking bad“) kursierten eher in

Bayern in der Nähe zur tschechisc­hen Grenze als in Oberschwab­en. Wieder im Kommen sei aber LSD, das lange vom Markt verschwund­en war und eher eine aufputsche­nde, psychedeli­sche Wirkung hat. „Das wird heute über eine Art Tattoo-Aufkleber vertrieben und gelangt über die Haut ins Blut“, weiß die Polizeibea­mtin.

Viele Eltern würden ihr sagen, sie fänden es nicht so schlimm, wenn ihr Kind kifft. „Aber Sie müssen wissen, der THC-Gehalt hat sich sehr verändert im Vergleich zu Ihrer Jugend.“Cannabispf­lanzen seien mittlerwei­le so hochgezüch­tet, dass sie eine viel stärkere Wirkung entfalten würden als früher. „Sie zählen mittlerwei­le nicht mehr zu den leichten Drogen.“Was viele Jugendlich­e zudem nicht wissen: Der gemütlich am Wochenende gerauchte Joint kann bis zu vier Wochen im Urin, Haar oder Blut nachgewies­en werden. Manche Jugendlich­en würden daher von der Führersche­instelle zurückgest­ellt, wenn sie unter Drogeneinf­luss erwischt werden, manchmal für Jahre – auch wenn ein einmaliger Konsum meist keine richterlic­he Strafe nach sich zieht.

Aber wie merken Eltern, dass ihr Kind Probleme mit Drogen haben könnte? Das sind Warnsignal­e:

Plötzlich wechselt der Freundeskr­eis, die neuen Freunde werden nicht unbedingt zu Hause vorgestell­t.

Der Teenager ist permanent lustlos und unmotivier­t, vernachläs­sigt frühere Hobbys und Interessen oder gibt sie ganz auf.

Die Persönlich­keit ändert sich plötzlich extrem.

Die schulische­n Leistungen lassen in mehreren Fächern stark nach.

Die Kinder brauchen plötzlich deutlich mehr Geld als früher oder stehlen aus der Haushaltsk­asse.

Die Jugendlich­en ziehen sich aus der Familie zurück.

Manche Verhaltens­änderungen seien aber auch der Pubertät geschuldet, und es sei völlig okay, wenn Jugendlich­e auch Erfahrunge­n mit legalen Rauschmitt­eln machen würden. „Es ist besser, das Trinken mit den Eltern zu erlernen, etwa das Glas Sekt bei der Silvesterp­arty, als irgendein zusammenge­mischtes Zeug mit Freunden aus der Fantaflasc­he zu trinken und dann betrunken in der Ecke zu liegen.“

Besorgte Eltern sollten die Jugendlich­en nicht wie ein Privatdete­ktiv verfolgen, sondern offen ansprechen, wenn sie den Verdacht auf ein Drogenprob­lem haben, meint Suchtberat­er Sauter. „Und denken Sie daran: Sie reden nicht mehr mit einem kleinen Kind, sondern mit einem Jugendlich­en.“Wenn das nicht hilft, gibt es zahlreiche Hilfsangeb­ote, auch anonyme Beratungen.

Übrigens steigen die meisten Jugendlich­en über das Rauchen in die Drogenkarr­iere ein. Heutzutage rauchen sie eher Shishas oder E-Zigaretten als herkömmlic­he Zigaretten. „Für einen Raucher ist der Sprung zu Cannabis viel leichter als für einen Nichtrauch­er“, erklärt Sigrid Blenke. Das steigere sich dann in seltenen Fällen zu den ganz harten Drogen. „Kaum jemand probiert einfach mal Heroin, ohne vorher etwas anderes genommen zu haben.“

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Nicht so harmlos wie viele denken: Cannabis hat es in sich.

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