Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Irgendwas über Weltklasse“
Warum Lewandowski nach dem Dreierpack gegen Stuttgart nichts vom Rekord wissen möchte
MÜNCHEN - Robert Lewandowski musste lachen – über sich selbst. Er schmunzelte, weil er wusste, dass er diesen Ball auf groteske Art und Weise, geradezu schalkemäßig, über den Kasten geschusselt hatte. Nach Pass des diesmal bärenstarken Leroy Sané stand der Pole in der 63. Minute völlig frei vor Stuttgarts Torhüter Gregor Kobel, der rote Teppich für das 5:0, für seinen vierten Treffer, war bereits ausgerollt, das Tornetz schien sich schon zu biegen. Doch dann geschah das Unglaubliche, das Menschliche: Lewandowski schoss sich selbst an und die Kugel aus acht Metern drüber. Der unerbittliche Torjäger, mehr Maschine als Mensch, kann also auch Slapstick.
Den Stuttgartern ging es in diesem Stadium des Spiels, beim 0:4Rückstand gegen den FC Lewandowski München, längst nur noch um Schadensbegrenzung. Nur nicht in irgendwelchen Geschichtsbüchern landen, hatten sie doch in Folge der Roten Karte für Bayerns Linksverteidiger Alphonso Davies nach nicht einmal zwölf Minuten knapp 80 Minuten in Überzahl gespielt. Ein Mann mehr gegen diese Bayern, die dadurch erst recht angestachelt wurden und in den Turbo schalteten – dieser Vorteil verpuffte völlig. Vor allem gegen den Fabeltorrekord-Jäger, gegen den nimmersatten Polen, der den Schwaben im ersten Durchgang einen Dreierpack (18./23./39. Minute) verpasst hatte und dabei das gesamte Sortiment seines Könnens zeigte: ein Tor mit rechts, eins mit dem Kopf, das dritte mit links – fertig war der elfte Dreierpack seiner Bundesliga-Karriere. Aufsteiger VfB zog den Hut in Person von Thomas Hitzlsperger, dem Vorstandsvorsitzenden, der den Weltfußballer so einordnete: „Irgendwas über Weltklasse. Die Chancen, die er nutzt, wie er sich bewegt – besser geht es einfach nicht.“
Zum neunten Mal in dieser Spielzeit traf Bayerns Torgarant Lewandowski mindestens doppelt, hat nun insgesamt 35 Tore auf seinem Konto. 35! Nach dem 26. Spieltag! Und damit die erste persönliche Marke gerissen: Die 35 sind Lewandowskis eigener Saisonrekord. Lediglich der legendäre Gerd Müller traf noch öfter in einer Saison – und das dreimal: 36 Tore in 1972/73, 38 in 1969/70 und die magischen 40 in 1971/72. Die 40 erschien in den vergangenen Jahrzehnten unerreichbar und ist nun plötzlich in Reichweite. Nur noch fünf Treffer bis zur Einstellung des Saisonrekordes vom einstigen Bomber der Nation, aufgestellt vor 49 Jahren. Darauf angesprochen sagte Serge Gnabry, am Samstag selbst einmal Torschütze (22.), einmal Vorlagengeber: „Hauptsache, er knackt den Rekord.“Aber wann? Rückfrage Gnabry: „Wie viele Tore braucht er noch? Fünf? Ja, dann ist es fix.“Intern zweifelt niemand an der Bestmarke. Außer Mister Vorsicht, Lewandowski selbst. „Es ist eine große Herausforderung, im Kopf immer bereit zu sein und immer hungrig auf die Tore zu sein. Ich will nicht zu viel darüber nachdenken“, meinte der 32-Jährige. „Ich muss geduldig bleiben, gesund bleiben und meinen Job machen.“Macht er weiter einfach nur so weiter (bei einem verpassten Spiel kommt er auf eine aktuelle Quote von 1,4 Toren pro Partie), stünde er am Saisonende bei außerirdischen 47 Toren. Nicht auszuschließen.
Dass Lewandowski mit nunmehr 271 Treffern den Ex-Schalker Klaus Fischer (268) in der ewigen Bundesliga-Torschützenliste überholt hat, war nur eine Frage der Zeit und daher ein Randaspekt. Viel wichtiger für die Bayern: Der Pole erhielt die Freigabe für das Länderspiel seiner Nationalmannschaft in England (31. März), muss nun nach der Rückreise nach Deutschland nicht in Quarantäne
dank einer Ausnahmeregelung in den Corona-Verordnungen zur Berufsausübung. Somit kommt kein Frust beim Kapitän der Polen auf, dem der FC Bayern ansonsten die Reise verweigert hätte wegen des Showdowns im Titelrennen am Ostersamstag bei RB Leipzig. Vier Punkte beträgt Bayerns Vorsprung. „Wir haben den Abstand wiederhergestellt und deswegen fahren wir guten Mutes nach Leipzig“, sagte Trainer Hansi Flick.
Und weil sie Lewandowski haben. Hauptsächlich dank ihm hat Bayern übrigens nun im 61. Pflichtspiel in Folge getroffen, was die Einstellung des Vereinsrekordes (2013/2014 unter Trainer Pep Guardiola) bedeutete. Letztmals ohne eigenen Treffer blieben die Münchner im Februar 2020 – beim 0:0 gegen Leipzig.