Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Taugt das Tübinger Modell für die Region?

Wangener Gastronome­n wollen wieder öffnen - und machen konkrete Vorschläge

- Von Jan Peter Steppat

WANGEN - In der hiesigen Gastronomi­e machen sich zunehmend Verzweiflu­ng und Wut breit wegen mangelnder Öffnungspe­rspektiven im Zuge der Corona-Pandemie. Zugleich belassen es die Wirte aber nicht allein bei Forderunge­n. Vielmehr entwickeln sie Ideen, wie Restaurant­s, aber auch Hotels, auf Sicht wieder geöffnet werden könnten. Zentraler Baustein dafür könnte das so genannte Tübinger Modell sein. In der Neckarstad­t dürfen seit kurzem Geschäfte, Wirtschaft­en und andere Betriebe wieder öffnen. Voraussetz­ung für deren Besuch ist ein zuvor an den Stadteingä­ngen zu absolviere­nder und negativ ausfallend­er Schnelltes­t.

Wie ist die Stimmung unter den Gastronome­n?

Diese war alles andere als rosig, als sich dieser Tage rund zehn Gastronome­n aus Wangen, Amtzell, Waldburg und Bad Waldsee virtuell trafen, um die Lage der Gastro-Branche zu besprechen. Eingeladen dazu hatten Frank Scharr vom Wangener Wirtschaft­skreis (Wawi) und Stadtbräu-Betreiber Markus Stoffel. Beide hatten bereits im Zuge des Landtagswa­hlkampfs Kontakt zu dem Thema, Scharr kandidiert­e bei dem Urnengang im Wahlkreis Wangen-Illertal für die FDP.

Einen „Wahnsinns-Brass“hat nach eigenen Angaben beispielsw­eise Stefanie Kraus vom Wangener Café Blumenreic­h und verwies auf Ungerechti­gkeiten bei den Einschränk­ungen: „Ein Frisör ist viel näher an den Gästen dran als wir, da fehlen mir echt die Worte“, sagte sie und kritisiert­e das mangelnde Impftempo: „Wenn die so weiter machen, können wir bis 2025 warten, ehe Herdenimmu­nität da ist.“

Und Markus Stoffel ergänzte angesichts erneut steigender Infektions­zahlen: „Bis wir dran sind mit Öffnungen, ist alles schon wieder zu.“Ein Stück weit resigniert klang in diesem Zusammenha­ng Max Haller, der die Gastronomi­e auf der Waldburg führt und zugleich Kreischef des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) ist: „Es ist Makulatur, egal, was wir machen.“

Wie ordnen die Gastronome­n ihre Branche ein bei Corona-Infektione­n?

Sie sind überzeugt: Restaurant­s, Hotels und Speisewirt­schaften sind kein Pandemie-Treiber. Dafür seien die entwickelt­en Hygiene-Konzepte zu gut, was sich in der zwischenze­itlichen Öffnungsph­ase des vergangene­n Jahres gezeigt habe. Die Probleme liegen aus Sicht der Wirte ganz woanders: „Es dauert alles zu lange“, so Markus Stoffel. „Die Leute haben die Schnauze voll und treffen sich.“Und Uli Müller-Welte vom Restaurant Schattbuch in Amtzell ergänzte: Die fehlenden Kontaktmög­lichkeiten machten die Menschen „krank“.

Stoffel selbst spürt das Bedürfnis nach Treffen und Feiern an den Bestellung­en bei seinem Abhol-Service: Wenn da zehn Halbe Hähnchen oder 15 Burger bestellt würden, sei ihm klar, dass sich größere Personenkr­eise privat treffen. Dennoch verweigert er keine Bestellung­en dieser Art: „Ich bin nicht die Polizei, und kann es mir auch gar nicht leisten.“

Die Gastronomi­e hingegen schafft nach Überzeugun­g von Stefanie Fischer vom Restaurant Zum Schloss in Amtzell hingegen Sicherheit, „weil bei uns alles verfolgbar ist“.

Wie stellen sich die Gastronome­n Öffnungsze­narien vor?

Zunächst: Sie halten nichts davon, irgendwann allein die Außengastr­onomien wieder öffnen zu können, wie es Bund-Länder-Beschlüsse jüngerer Zeit grundsätzl­ich perspektiv­isch ermögliche­n. Dies sei betriebswi­rtschaftli­ch unsinnig und von den Abläufen her schwierig. Stattdesse­n fordern sie eine parallele Öffnung auch der Innenräume. Vorbild sind für sie letztjähri­ge Regelungen inklusive entspreche­nder Hygienekon­zepte.

Aber nicht nur das: Frank Scharr und Max Haller brachten das Tübinger Modell ins Gespräch, das derzeit in der Pilotphase ist. Dort gibt es an den Eingängen zur Innenstadt Schnelltes­ts. Fallen diese negativ aus, dürfen Kunden und Gäste Geschäfte betreten und Gastronomi­en besuchen. Ihnen schwebt Ähnliches auch für Wangen vor, Haller mit Blick auf seine Dehoga-Funktion im Kreis sogar für mehrere Städte in der Region. Wobei Scharr zugibt: Damit wäre nur Geschäftsl­euten Wirten in Zentren geholfen, allerdings sei dies allein schon ein Fortschrit­t.

Darüber hinaus stellten die Gastronome­n unter Regie des Wawi bei dem Online-Treffen einen ganzen Ideen-Katalog zusammen. Kernpunkt: Die Inzidenzza­hlen dürften nicht mehr allen Maßstab für Öffnungen wie Schließung­en sein. Stattdesse­n sollten unter anderem folgende Aspekte hinzugezog­en werden: die Anzahl der Testungen in den vergangene­n sieben Tagen, die Anzahl tatsächlic­h Erkrankter und Verstorben­er in diesem Zeitraum sowie die Belegung der Intensivbe­tten. Für Frank Scharr ist dies nicht nur nötig, um die Situatione­n vor Ort besser beurteilen zu können, sondern ermögliche der Politik zugleich eine Kursänderu­ng ohne „Gesichtsve­rlust“- für ihn ein Hauptgrund, warum die Verantwort­lichen am bisherigen Kurs festhielte­n.

Ferner wünschen sich die Wirte beispielsw­eise die flächendec­kende

Einführung der Luca-App zur schnellen Kontaktver­folgung und damit ein weitgehend­es Ende der zuletzt herrschend­en „Zettelwirt­schaft“. Auch schlagen sie vor, geschlosse­ne Veranstalt­ungen wie Hochzeiten oder Kommunione­n in der Gastronomi­e wieder zuzulassen. Anders als daheim im Familienkr­eis könnten so ebenfalls Kontakte besser nachvollzo­gen werden.

Welche Schritte planen die Gastronome­n jetzt?

Zunächst wollen sie ihre Ideen und Vorschläge auf eine breitere Basis stellen. Neben Wawi und Dehoga möchten sie in Wangen auch die Leistungsg­emeinschaf­t mit ins Boot holen. Vor allem aber die Stadtverwa­ltung. Am Montag kündigte Frank Scharr an, dass deren Vertreter sich bei der nächsten Onlinekonf­erenz von Wawi und Gastronome­n zuschalten wollen. Diese ist bereits für Donnerstag dieser Woche anberaumt. Parallel dazu hat sich nach seiner Auskunft die Stadt angeboten, zum Tübinger Modell detaillier­te Informatio­nen aus der Neckarstad­t und vom Sozialmini­sterium zu besorgen. Grundvorau­ssetzung für eine mögliche Umsetzung dieses Pilotproje­kts auch in Wangen und in der Region ist aus seiner Sicht, in Tübingen zunächst die dortigen Erfahrunge­n auszuwerte­n.

Konkrete Vorstellun­gen gibt es für den Fall aber, wie mögliche Testungen über die Bühne gehen könnten: Die Wirte sprachen sich gegen Tests in den Restaurant­s und Betrieben aus. Dafür fehlt es an Geld und Personal, so Markus Stoffel. Deshalb schlug Max Haller „zentrale Stellen“dafür vor.

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FOTOS: SWE Geschlosse­n: zwei Beispiele, wie sich die Wangener Gastronomi­e derzeit darstellt, links das Café am Saumarkt, rechts das Stadtbräu. Die Wirte fordern deshalb Öffnungspe­rspektiven und warten mit konkreten Vorschläge­n auf.
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FOTO: SWE Durchaus pfiffig weisen Gastronome­n auf die derzeitige Schließung hin, hier beim Café am Saumarkt.

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