Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Taugt das Tübinger Modell für die Region?
Wangener Gastronomen wollen wieder öffnen - und machen konkrete Vorschläge
WANGEN - In der hiesigen Gastronomie machen sich zunehmend Verzweiflung und Wut breit wegen mangelnder Öffnungsperspektiven im Zuge der Corona-Pandemie. Zugleich belassen es die Wirte aber nicht allein bei Forderungen. Vielmehr entwickeln sie Ideen, wie Restaurants, aber auch Hotels, auf Sicht wieder geöffnet werden könnten. Zentraler Baustein dafür könnte das so genannte Tübinger Modell sein. In der Neckarstadt dürfen seit kurzem Geschäfte, Wirtschaften und andere Betriebe wieder öffnen. Voraussetzung für deren Besuch ist ein zuvor an den Stadteingängen zu absolvierender und negativ ausfallender Schnelltest.
Wie ist die Stimmung unter den Gastronomen?
Diese war alles andere als rosig, als sich dieser Tage rund zehn Gastronomen aus Wangen, Amtzell, Waldburg und Bad Waldsee virtuell trafen, um die Lage der Gastro-Branche zu besprechen. Eingeladen dazu hatten Frank Scharr vom Wangener Wirtschaftskreis (Wawi) und Stadtbräu-Betreiber Markus Stoffel. Beide hatten bereits im Zuge des Landtagswahlkampfs Kontakt zu dem Thema, Scharr kandidierte bei dem Urnengang im Wahlkreis Wangen-Illertal für die FDP.
Einen „Wahnsinns-Brass“hat nach eigenen Angaben beispielsweise Stefanie Kraus vom Wangener Café Blumenreich und verwies auf Ungerechtigkeiten bei den Einschränkungen: „Ein Frisör ist viel näher an den Gästen dran als wir, da fehlen mir echt die Worte“, sagte sie und kritisierte das mangelnde Impftempo: „Wenn die so weiter machen, können wir bis 2025 warten, ehe Herdenimmunität da ist.“
Und Markus Stoffel ergänzte angesichts erneut steigender Infektionszahlen: „Bis wir dran sind mit Öffnungen, ist alles schon wieder zu.“Ein Stück weit resigniert klang in diesem Zusammenhang Max Haller, der die Gastronomie auf der Waldburg führt und zugleich Kreischef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) ist: „Es ist Makulatur, egal, was wir machen.“
Wie ordnen die Gastronomen ihre Branche ein bei Corona-Infektionen?
Sie sind überzeugt: Restaurants, Hotels und Speisewirtschaften sind kein Pandemie-Treiber. Dafür seien die entwickelten Hygiene-Konzepte zu gut, was sich in der zwischenzeitlichen Öffnungsphase des vergangenen Jahres gezeigt habe. Die Probleme liegen aus Sicht der Wirte ganz woanders: „Es dauert alles zu lange“, so Markus Stoffel. „Die Leute haben die Schnauze voll und treffen sich.“Und Uli Müller-Welte vom Restaurant Schattbuch in Amtzell ergänzte: Die fehlenden Kontaktmöglichkeiten machten die Menschen „krank“.
Stoffel selbst spürt das Bedürfnis nach Treffen und Feiern an den Bestellungen bei seinem Abhol-Service: Wenn da zehn Halbe Hähnchen oder 15 Burger bestellt würden, sei ihm klar, dass sich größere Personenkreise privat treffen. Dennoch verweigert er keine Bestellungen dieser Art: „Ich bin nicht die Polizei, und kann es mir auch gar nicht leisten.“
Die Gastronomie hingegen schafft nach Überzeugung von Stefanie Fischer vom Restaurant Zum Schloss in Amtzell hingegen Sicherheit, „weil bei uns alles verfolgbar ist“.
Wie stellen sich die Gastronomen Öffnungszenarien vor?
Zunächst: Sie halten nichts davon, irgendwann allein die Außengastronomien wieder öffnen zu können, wie es Bund-Länder-Beschlüsse jüngerer Zeit grundsätzlich perspektivisch ermöglichen. Dies sei betriebswirtschaftlich unsinnig und von den Abläufen her schwierig. Stattdessen fordern sie eine parallele Öffnung auch der Innenräume. Vorbild sind für sie letztjährige Regelungen inklusive entsprechender Hygienekonzepte.
Aber nicht nur das: Frank Scharr und Max Haller brachten das Tübinger Modell ins Gespräch, das derzeit in der Pilotphase ist. Dort gibt es an den Eingängen zur Innenstadt Schnelltests. Fallen diese negativ aus, dürfen Kunden und Gäste Geschäfte betreten und Gastronomien besuchen. Ihnen schwebt Ähnliches auch für Wangen vor, Haller mit Blick auf seine Dehoga-Funktion im Kreis sogar für mehrere Städte in der Region. Wobei Scharr zugibt: Damit wäre nur Geschäftsleuten Wirten in Zentren geholfen, allerdings sei dies allein schon ein Fortschritt.
Darüber hinaus stellten die Gastronomen unter Regie des Wawi bei dem Online-Treffen einen ganzen Ideen-Katalog zusammen. Kernpunkt: Die Inzidenzzahlen dürften nicht mehr allen Maßstab für Öffnungen wie Schließungen sein. Stattdessen sollten unter anderem folgende Aspekte hinzugezogen werden: die Anzahl der Testungen in den vergangenen sieben Tagen, die Anzahl tatsächlich Erkrankter und Verstorbener in diesem Zeitraum sowie die Belegung der Intensivbetten. Für Frank Scharr ist dies nicht nur nötig, um die Situationen vor Ort besser beurteilen zu können, sondern ermögliche der Politik zugleich eine Kursänderung ohne „Gesichtsverlust“- für ihn ein Hauptgrund, warum die Verantwortlichen am bisherigen Kurs festhielten.
Ferner wünschen sich die Wirte beispielsweise die flächendeckende
Einführung der Luca-App zur schnellen Kontaktverfolgung und damit ein weitgehendes Ende der zuletzt herrschenden „Zettelwirtschaft“. Auch schlagen sie vor, geschlossene Veranstaltungen wie Hochzeiten oder Kommunionen in der Gastronomie wieder zuzulassen. Anders als daheim im Familienkreis könnten so ebenfalls Kontakte besser nachvollzogen werden.
Welche Schritte planen die Gastronomen jetzt?
Zunächst wollen sie ihre Ideen und Vorschläge auf eine breitere Basis stellen. Neben Wawi und Dehoga möchten sie in Wangen auch die Leistungsgemeinschaft mit ins Boot holen. Vor allem aber die Stadtverwaltung. Am Montag kündigte Frank Scharr an, dass deren Vertreter sich bei der nächsten Onlinekonferenz von Wawi und Gastronomen zuschalten wollen. Diese ist bereits für Donnerstag dieser Woche anberaumt. Parallel dazu hat sich nach seiner Auskunft die Stadt angeboten, zum Tübinger Modell detaillierte Informationen aus der Neckarstadt und vom Sozialministerium zu besorgen. Grundvoraussetzung für eine mögliche Umsetzung dieses Pilotprojekts auch in Wangen und in der Region ist aus seiner Sicht, in Tübingen zunächst die dortigen Erfahrungen auszuwerten.
Konkrete Vorstellungen gibt es für den Fall aber, wie mögliche Testungen über die Bühne gehen könnten: Die Wirte sprachen sich gegen Tests in den Restaurants und Betrieben aus. Dafür fehlt es an Geld und Personal, so Markus Stoffel. Deshalb schlug Max Haller „zentrale Stellen“dafür vor.