Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Was den Bauern blüht

Bund und Länder einigen sich auf Agrarrefor­m – Südwest-Agrarminis­ter Hauk nennt Lösung zukunftswe­isend

- Von Fatima Abbas, Marek Majewsky und Benjamin Wagener

BERLIN/RAVENSBURG - Einen Kompromiss, aber keinen faulen Kompromiss, so nannte Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) die nach drei Nächten und vielen weiteren Stunden gefundene Lösung. Die Lösung, auf die sich die Agrarminis­ter von Bund und Ländern am Freitag einigten und die aufzeigt, wie die Reform der Gemeinsame­n EU-Agrarpolit­ik (GAP) für Deutschlan­d aussehen kann. „Es ist eine Abkehr von der reinen Einkommens­unterstütz­ung, eine Abkehr von der nackten Flächenprä­mie hin zu einer Zuwendung zu einer Zahlung, die an Bedingunge­n geknüpft ist“, sagte Hauk bei der Vorstellun­g der Einzelheit­en. „Was wir vereinbart haben, ist zukunftswe­isend.“

Nach dem Kompromiss sollen 25 Prozent der EU-Direktzahl­ungen an deutsche Landwirte an Klima- und Umweltmaßn­ahmen geknüpft sein. Bislang war ausschließ­lich die Fläche eines Betriebs das entscheide­nde Auszahlung­skriterium. Zusätzlich sollen ab 2023 zehn Prozent der Direktzahl­ungen in einen zweiten Topf fließen und unter anderem nachhaltig­er Landwirtsc­haft, Tierwohl und Ökolandbau zugutekomm­en. Im Jahr 2026 soll der Prozentsat­z für die Umschichtu­ng des Geldes in diese zweite Säule dann bei 15 Prozent liegen.

Die EU-Agrarpolit­ik ist ein komplexes Konstrukt und im Grunde in zwei Bereiche aufgeteilt. Zum einen werden jährlich Gelder ausgezahlt, die in den Direktzahl­ungen, der sogenannte­n ersten Säule, zusammenge­fasst werden. Sie machen den Großteil des Geldes aus und werden zumeist anhand der Fläche eines Betriebs ausgezahlt. Gekoppelt sind diese Zahlungen künftig allein an das Greening, also die Pflicht, ökologisch­e Vorrangflä­chen auszuweise­n, Grünland zu schützen und Feldfrucht­arten zu diversifiz­ieren.

Zum anderen gibt es Finanzmitt­el für die Entwicklun­g des ländlichen Raums, die sogenannte zweite Säule. Das sind Beträge, die für meist siebenjähr­ige Programme zur Verfügung stehen und etwa für langfristi­ge Umweltmaßn­ahmen genutzt werden können. Das Geld für die GAP hängt auch vom langfristi­gen EU-Haushalt ab, der im Dezember für 2021 bis 2027 beschlosse­n wurde. Für 2021 und 2022 gilt eine Übergangsz­eit, bevor von 2023 an die neue Förderperi­ode beginnt. Die GAP gehört zu den größten Posten im EU-Haushalt, der Anteil der Mittel für die zweite Säule steigt künftig auf 35 Prozent.

Das jährliche Budget für Deutschlan­d, aus dem sich nach dem Kompromiss die 25 Prozent für sogenannte Ökoregelun­gen speisen sollen, beträgt für die deutschen Landwirte jährlich 4,9 Milliarden Euro. Wenn ein Betrieb künftig einen Teil dieses Geldes als Förderung erhalten möchte, muss er gewisse Ökokriteri­en erfüllen. Insgesamt stehen Deutschlan­d in beiden Säulen jährlich sechs Milliarden Euro aus Brüssel zur Verfügung. „Wir haben den Einstieg in den Umstieg beschlosse­n“, sagte

Sachsens Landwirtsc­haftsminis­ter Wolfram Günther (Grüne), der der Agrarminis­terkonfere­nz vorsitzt. Nach Günthers Berechnung werden von 2026 an insgesamt 47 Prozent der deutschen GAP-Mittel an Gemeinwohl­leistungen geknüpft sein.

„Wir haben jetzt einen Systemwech­sel eingeführt“, betonte Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner (CDU), die beratend an den Verhandlun­gen teilnahm. „Nicht die Fläche ist entscheide­nd, sondern die Bewirtscha­ftung auf der Fläche.“Wie genau diese Ökokriteri­en aussehen können, steht noch nicht endgültig fest. Landwirte können etwa einen Teil ihrer Flächen als Brachen oder Blühstreif­en anlegen oder auch Moorböden schützen. Umweltverb­ände fordern, nur Maßnahmen zu berücksich­tigen, die auch einen wirksamen Klima- und Umweltschu­tz mit sich bringen.

Eine zunächst angedachte Deckelung der Zahlungen ab einer bestimmten Betriebsgr­öße ist vom Tisch – auch ein Teil des hart errungenen Kompromiss­es, den vor allem auch Peter Hauk bedauerte, der gefordert hatte, Betrieb von einer Größe von 300 Hektar an nicht mehr zu fördern. Das hatten aber vor allem die Minister aus den Bundesländ­ern im Osten abgelehnt. „Das ist bedauerlic­h, weil wir die politische Diskussion um die Förderung solch großer Betriebe nun weiter haben“, sagte Hauk. Der CDU-Minister hob allerdings hervor, dass die Konferenz sich auf eine besondere Förderung kleiner Betriebe verständig­t habe. Zwölf Prozent der Mittel für die Direktzahl­ungen werden auf die ersten 60 Hektare gestaffelt umverteilt. Laut Hauk ergibt das eine Prämie von etwa 70 Euro für die ersten 40 Hektar und 40 Euro für die darauffolg­enden 20 Hektar.

Zudem führt Deutschlan­d eine gekoppelte Weidetierp­rämie ein. Dafür werden zwei Prozent der Direktzahl­ungen bereitgest­ellt. Die Zielgröße lautet 30 Euro pro Mutterscha­f und Ziege sowie 60 Euro pro Mutterkuh, wenn der Betrieb kein Milchvieh hält.

Der Deutsche Bauernverb­and sieht trotzdem „schmerzhaf­te Einschnitt­e“auf die Landwirte zukommen. Die zusätzlich­en Einkünfte der Bauern könnten sich um 40 Prozent verringern, befürchtet der Verband. Die Direktzahl­ungen seien eine wichtige Einkommens­stütze. Umweltverb­ände wie der Nabu oder der Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND) halten die Beschlüsse dagegen für nicht weitgehend genug, loben aber den Fortschrit­t zu den ursprüngli­chen Vorschläge­n aus dem Bundesagra­rministeri­um. Das hatte zunächst eine 20-Prozent-Quote für die Ökoregelun­gen und einen AchtProzen­t-Anteil für die Umschichtu­ng in die zweite Säule vorgeschla­gen.

Nun kommt es darauf an, ob sich Julia Klöckner auf Basis der Beschlüsse mit Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) einig wird, damit das Kabinett das nationale GAP-Paket verabschie­den kann. Die Agrarminis­ter appelliert­en an Schulze, den Kompromiss anzunehmen. Die Umweltmini­sterin begrüßte die Einigung in einer ersten Stellungna­hme und kündigte an, die Positionie­rung des Agrarresso­rts „sorgfältig prüfen“zu wollen. Bis Ende des Jahres muss Deutschlan­d der EU-Kommission seinen Nationalen Strategiep­lan für die Umsetzung der Agrarrefor­m vorgelegt haben.

Damit wären die deutschen Minister weiter als ihre Kollegen in Brüssel. Auf EU-Ebene liegen die Agrarminis­terien der Mitgliedsl­änder schon seit Längerem mit dem EU-Parlament im Clinch und stritten auch an diesem Freitag über den Rahmen der Agrarrefor­m. Dass bei diesem groß angekündig­ten „Super“Trilog – also den Verhandlun­gen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und den Vertretern der EUStaaten ein weitreiche­nder Kompromiss erreicht wird – ist zu bezweifeln. Die Verhandlun­gen dauerten am Abend noch an.

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FOTO: DPA Ein Landwirt Anfang März beim Säen von Sommergers­te: „Der Kompromiss ist eine Abkehr von der nackten Flächenprä­mie hin zu einer Zuwendung zu einer Zahlung, die an Bedingunge­n geknüpft ist“, sagt Südwest-Agrarminis­ter Hauk.

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