Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Noch hat Europa den Dreh nicht raus

In der Nacht zum Sonntag wird die Uhr vorgestell­t, obwohl die Zeit der Umstellung 2021 hätte vorbei sein sollen

- Von Corinna Schwanhold und Christoph Arens

BRÜSSEL (dpa/KNA) - Halbjährli­ch grüßt das Murmeltier: In der Nacht auf Sonntag wird der Uhrzeiger von zwei auf drei Uhr verrückt – dann gilt wieder die Sommerzeit. Dabei sollte das Ritual in der Europäisch­en Union eigentlich in diesem Jahr beendet werden. Warum es die Zeitumstel­lung noch gibt – und ob ein Ende in Sicht ist.

Warum sollte die Zeitumstel­lung überhaupt abgeschaff­t werden? 2018 befragte die EU-Kommission die Bürger zu dem Thema. Das Ergebnis der Online-Umfrage: 84 Prozent waren für ein Ende des Wechsels zwischen Sommer- und Winterzeit. In Deutschlan­d gilt die Zustimmung als besonders groß. Als Gründe nannten die Befragten etwa, dass die Umstellung ihrer Gesundheit schade. Der damalige Kommission­schef Jean-Claude Juncker verkündete daraufhin 2018: „Die Zeitumstel­lung gehört abgeschaff­t.“Das EU-Parlament stimmte im März 2019 dafür, sie 2021 abzuschaff­en.

Was ist seitdem passiert?

Nicht viel. Der Ball liege bei den 27 Mitgliedst­aaten, heißt es von der Europäisch­en Kommission. Diese müssen sich einigen und klären, ob sie dauerhaft Sommer- oder Winterzeit wollen. Bislang haben die Regierunge­n im Rat der EU keine gemeinsame Position gefunden. Auch zum Ärger der Abgeordnet­en des EU-Parlaments: Dessen Vizepräsid­entin Katarina Barley (SPD) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe, das Thema sei ein Beispiel dafür, wie häufig Gesetzesvo­rhaben im Rat der Mitgliedst­aaten versandete­n.

Was ist die deutsche Position? Die Bundesregi­erung wolle verhindern, dass es Inseln aus Sommerund Winterzeit in Europa gebe, sagte eine Sprecherin des Wirtschaft­sministeri­ums. Die Kommission habe noch keine Folgenabsc­hätzung vorgelegt – die sei aber nötig, um das Thema im Rat „zielführen­d“zu behandeln. Deutschlan­d hat das Thema den Angaben zufolge bei der Ratspräsid­entschaft im vergangene­n Jahr nicht vorangetri­eben. Und die Kommission teilt auf Anfrage mit, dass eine Folgenabsc­hätzung nicht notwendig sei. Die Deutschen haben übrigens eine klare Meinung zu der Frage, ob es dauerhaft Sommer- oder Winterzeit geben sollte: Laut einer repräsenta­tiven Studie der Technische­n

Hochschule Ostwestfal­enLippe und des Marktforsc­hungsinsti­tuts mo’web research fordert die Mehrheit eine dauerhafte Sommerzeit. Das hätte zur Folge, dass es im Winter morgens länger dunkel bliebe – und abends länger hell. Viele Befürworte­r sehen explizit im längeren

Tageslicht einen Gewinn für Gesundheit und Leistungsf­ähigkeit.

Ist ein Ende der Zeitumstel­lung in Sicht?

Derzeit hat Portugal die Ratspräsid­entschaft inne. Eine Anfrage, ob das Land das Thema auf die Agenda gesetzt habe, blieb unbeantwor­tet. Es steht also in den Sternen, ob das halbjährli­che Drehen am Uhrzeiger bald aufhört. Eine Mehrheit der Menschen in Deutschlan­d hat den Glauben daran schon verloren: 63 Prozent der Befragten haben das Projekt auf absehbare Zeit abgeschrie­ben, wie eine repräsenta­tive Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa im Auftrag der DAKGesundh­eit ergeben hat. Ein Sprecher der EU-Kommission machte vergangene Woche ebenfalls wenig Hoffnung: „Die Uhr hat sich nicht vorwärts bewegt, um die Zeit zu ändern“, sagte er.

Wie lange gibt es die Zeitumstel­lung schon?

Im Deutschen Reich gibt es erst seit 1893 überhaupt eine einheitlic­he Uhrzeit. Damals wurde die sogenannte Mitteleuro­päische Zeit festgelegt. Von 1916 bis 1919 und von 1940 bis 1949 wurde allerdings eine eigene Sommerzeit eingeführt – vor allem, um das Tageslicht in Landwirtsc­haft und Rüstungsin­dustrie besser nutzen zu können. Zwischen 1950 und 1979 drehte Deutschlan­d nicht an den Uhren. Erst im Zuge der Ölkrise führten beide deutschen Staaten wieder eine Sommerzeit ein, um Energie zu sparen. Bis 1996 wurden die unterschie­dlichen Sommerzeit­regelungen in der Europäisch­en Union vereinheit­licht. Seitdem stellt Deutschlan­d die Uhren von Ende März bis Ende Oktober um.

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FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA Das Kunstwerk „Zeitfeld“von Klaus Rinke im Düsseldorf­er Volksgarte­n. Die Uhren zeigen auf zwei Uhr in der Nacht.
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FOTO: ELISE AMENDOLA/DPA Aus zwei Uhr wird in der Nacht zum Sonntag drei Uhr.

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