Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zwischen testen und bremsen

- Von Frank Hautumm

Wie zu befürchten war, hat es nicht allzu lange gedauert, bis sich auch im Kreis Ravensburg die Frage nach einer Notbremsun­g angesichts stark steigender Corona-Neuinfekti­onen stellt. Am Donnerstag lag die Sieben-Tage-Inzidenz erstmals wieder über dem kritischen Wert von 100. Bleibt das drei Tage in Folge bei diffuser Ansteckung­slage so, droht die Rücknahme der Lockerunge­n im Lockdown. Das bedeutet: Kein Termin-Shopping mehr, weniger private Kontakte, möglicherw­eise Ausgangssp­erren. Eine frustriere­nde Aussicht kurz vor Ostern und mitten hinein in die konfuse Diskussion um verlängert­e Ruhetage, Verzicht auf Gottesdien­ste und Entschuldi­gungen von der Kanzlerin.

Was tun in dieser Situation, die inzwischen auch die Geduldigst­en auf eine harte Probe stellt? Viele Kommunen setzen jetzt auf umfangreic­he Teststrate­gien und wollen das Tübinger Modell übernehmen, das weitgehend freie Bewegung durch einen Tagespass ermöglicht, der ein aktuelles negatives Testergebn­is bescheinig­t. Ravensburg ist unter den Antragstel­lern, eine dreistelli­ge Zahl anderer Städte in Baden-Württember­g allerdings auch. Ob sich das Modell ohne Weiteres in die Fläche übertragen lässt, ist fraglich. Ob Ravensburg zum Zuge kommt, noch fraglicher – zumal die Inzidenz in der Stadt selbst inzwischen auch deutlich über 100 liegt. Das sind keine idealen Voraussetz­ungen. In Ravensburg waren es zuletzt Geschäftsl­eute, die vorangegan­gen sind und die Dinge mit der Einrichtun­g von kostenlose­n Testmöglic­hkeiten selbst in die Hand genommen haben. Da kann die Stadt gerne konkret noch unterstütz­en. Denn die Nachfrage ist enorm: Eine Kollegin hat für den gesamten Samstag keinen freien Termin mehr bekommen.

Flächendec­kende kostenlose Tests sind richtig und wichtig, wenn auch mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Am Zentrum der Berufsschu­len fielen am Dienstag elf Schnelltes­ts zunächst positiv aus.

Der PCR-Test ergab dann in mindestens acht Fällen ein negatives Ergebnis. Diese Falschmeld­ung ist zwar lästig, weil ein paar Dutzend Menschen erst einmal in Quarantäne gewandert sind, aber nicht gefährlich. Andersheru­m wäre es bitter, wenn von elf negativen Tests acht fehlerhaft und in Wirklichke­it positiv wären. Der Sicherheit dieser Schnellche­cks kommt also eine erhebliche Bedeutung zu, denn Menschen werden sich auf das Resultat verlassen und unter Umständen leichtsinn­ig werden. Laut Robert-Koch-Institut kann man folgendes Rechenbeis­piel aufmachen: Geht man davon aus, dass von 10 000 Getesteten 1000 das Coronaviru­s tragen, dann könnten mindestens 50 dieser Infizierte­n im Selbsttest fälschlich­erweise ein negatives Ergebnis bekommen. Auch bei korrekter Durchführu­ng des Tests sei es also „lediglich weniger wahrschein­lich“, ansteckend zu sein, so das RKI. Zudem sei die Aussagekra­ft zeitlich begrenzt. Ein negatives Ergebnis ist daher kein Freifahrts­chein, die Corona-Regeln zu missachten.

Der Streit um die Corona-Regeln im weiteren Sinne hat in Ravensburg dazu geführt, dass das Klima im Gemeindera­t vergiftet ist: In der Causa Dieter Graf liegen sich die Grünen und SPD auf der einen sowie die Bürger für Ravensburg auf der anderen Seite in den Haaren. War die Kassenprüf­ung bei der Rutenfestk­ommission nur ein Vorwand, um den umstritten­en RFK-Chef weiter unter Druck zu setzen? Oder umgekehrt: Gilt jetzt grundsätzl­ich Schwamm drüber, nachdem die Kasse des Vereins sauber geführt ist? Die Diskussion um den Vorsitzend­en wird spätestens bei der Mitglieder­versammlun­g wieder geführt werden. Es droht eine Spaltung. In dem viel kritisiert­en Video, das Graf mit Bodo Schiffmann und Daniel Langhans, führenden Mitglieder­n der „Querdenker“zeigt, sagt Schiffmann mit Bezug auf Ravensburg und die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen: „Diese Stadt muss auseinande­rbrechen.“Dieter Graf nickt dazu. Einen Bruch hat es nicht gegeben, sehr wohl aber Risse an mehreren Stellen.

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