Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zwei Zentimeter und eine Entschuldigung
Speerwurf-Olympiasieger Klaus Wolfermann feiert 75. Geburtstag
PENZBERG (SID/dpa) - Die große Party fällt aus. Corona, klar. Doch gemütlich macht es sich Klaus Wolfermann zu seinem 75. Geburtstag am Mittwoch trotzdem. Gemeinsam mit Ehefrau Friederike, seiner Tochter, dem Schwiegersohn und seiner Enkelin wird einer der ganz großen Olympiahelden von München 1972 den Tag genießen. Und wenn die Familie pandemiegerecht in der Nähe des Starnberger Sees zusammensitzt, will Wolfermann nicht gestört werden – Telefon und Handy sollen ausnahmsweise mal ausgeschaltet werden.
Denn auch im fortgeschrittenen Alter ist Wolfermann, der vor 49 Jahren mit seinem Gold-Triumph über Janis Lusis die Zuschauer von den Sitzen riss, ein Tausendsassa. „Mir geht’s gut, ich stehe mitten im Leben, drumherum viele Freunde. Und ich bin immer noch für die Stiftung Kinderhilfe Organtransplantation unterwegs“, sagte Deutschlands Sportler des Jahres von 1972 und 1973 dem „Kicker“. Mehrere Millionen Euro sammelte Wolfermann in den vergangenen Jahren für diverse wohltätige Zwecke.
Der Name Wolfermann öffnet eben viele Türen, schließlich haben sich die Bilder von München ins kollektive Sportgedächtnis der Deutschen gebrannt: Wolfermann, das Kraftpaket aus Altdorf bei Nürnberg, sein Vollbart, der Freudensprung nach dem unwahrscheinlichen Triumph, das dramatische Duell mit dem Letten Lusis – legendär. Mit einem hauchdünnen Vorsprung, den vielleicht berühmtesten zwei Zentimetern der Sportgeschichte, sicherte sich Wolfermann damals Gold (90,48 Meter zu 90,46). „Der Sieg war eigentlich nicht greifbar für mich gewesen. Da bin ich zu Janis Lusis gegangen und sagte: ,Entschuldige, dass ich heute gewonnen habe.‘“Und: „Ich habe nicht nur den Wettkampf, sondern jeden Wurf vor Augen und kann Ihnen schildern, wie der abgelaufen ist, was ich gedacht habe. So nah bin ich da noch dran.“Ein halbes Jahr später übrigens, am 3. Mai 1973, sollte Wolfermann den Weltrekord auf phänomenale 94,08 Meter schrauben.
Auch wenn der Terminkalender immer wieder überfüllt ist, er zwei neue Hüftgelenke hat und ein Paar Problemchen mit der Lendenwirbelsäule sowie dem linken Knie aufgekommen sind, lässt sich Klaus Wolfermann den täglichen Sport im heimischen Fitnessraum nicht nehmen. „Ich ackere täglich eine Stunde, manchmal bin ich verrückt, dann werden es zwei Einheiten“, erzählt er. „Aber das spüre ich dann am nächsten Morgen auch.“
Trotz der Pandemie rechnet Wolfermann damit, dass die Olympischen Spiele in Tokio im Sommer stattfinden werden, auch wenn dies „organisatorisch alles andere als einfach“sei. Johannes Vetter, der im Vorjahr den Weltrekord von Jan Zelezny mit seinen 97,76 Metern nur knapp verfehlte, sei dann der „Favorit schlechthin“, glaubt Wolfermann. In Vetter erkennt sich Wolfermann selbst ein bisschen wieder. „Er ist von der Mentalität her – ähnlich wie ich früher – ein sehr explosiver Typ. Wenn der am Ablauf steht, versprüht der schon ein solches Feuerwerk, dass man merkt, der wird gleich explodieren.“Wie Klaus Wolfermann damals. Am 3. September 1972. In München.