Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Erlebnis am Strand führt zurück zu den Wurzeln
Ein junger Fronreutener pendelt zwischen türkischer Tradition und oberschwäbischer Moderne
FRONREUTE - Ein Erlebnis am Strand in der Türkei war für einen jungen Fronreutener schicksalsträchtig. Denn an diesem Sommertag vor gut sieben Jahren wusste Atakan Celik plötzlich, welche Leidenschaft seine berufliche Zukunft prägen wird. Heute beschäftigt er im Heimatland seiner Großeltern Weber, die auf traditionelle Weise Tücher herstellen. Atakan Celik ist inzwischen selbstständiger Unternehmer und Bindeglied zwischen zwei Welten.
Atakan Celik, geboren in Weingarten, liebt seine Heimat, insbesondere Ravensburg, mit allem, was dazu gehört. „Das Rutenfest, die Altstadt, ich fühle mich dieser Stadt einfach tief verbunden“, erzählt der 30-Jährige. So zog es ihn nach seinem VWL-Studium in Freiburg wieder zurück nach Oberschwaben.
Celik bezeichnet sich selbst als einen absoluten Familienmenschen. Seine Großeltern kamen in den späten 60er-Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Ravensburg. „Wir hatten das Glück, in einem Mehrgenerationenhaushalt zu leben, mit Geschwistern, Eltern und Großeltern. Oma hat immer frisch und traditionell gekocht. Am Esstisch wurden Geschichten ausgetauscht, es wurden ständig Freunde und Gäste eingeladen.“
Atakan Celik empfinde Dankbarkeit für diese familiäre Geborgenheit. Seine Affinität zu Oldtimern, wie beispielsweise dem VW-Käfer von 1974 als Werbemobil, verdanke er seinem Schwiegervater, Ahmet Yardimci, der sich in Weingarten und Umgebung unter anderem durch das Umgestalten alter VW Käfer einen Namen machte.
„Durch meine türkischen Wurzeln habe ich seit jeher eine enge Verbindung in die Türkei und habe dort schon immer viele Urlaube verbracht“, berichtet Atakan Celik. So auch im Jahr 2013. Celik ist mit Freuden im Urlaub an der Riviera. Am Strand erlebt er einen Moment, der seine berufliche Zukunft fortan bestimmen soll. Ein junger Mann, braun gebrannt, rast mit einem weißen Fahrrad die Dünen herab zum Strand und bremst abrupt ab. Sand wirbelt hoch. Der junge Mann wickelt sich seinen Turban vom Kopf, das Tuch weht im Wind, er legt es sich als Badetuch in den heißen Sand.
„Ich war von dem Bild total gefesselt. Diese Geschwindigkeit, der Sand, das wunderschöne Tuch. Ein Pestemal, so heißen die Tücher auf Türkisch, ist für uns in der Türkei ein Alltagsgegenstand. Wir verwenden es als Schal, Badetuch oder Poncho. Dieser Moment war für mich aber ein Schlüsselerlebnis“, berichtet er, immer noch fasziniert.
Die Idee, Hamamtücher auf traditionelle Weise herstellen zu lassen und zu vertreiben, reift. Im November 2016 gründet der damals erst 26-Jährige ein eigenes Unternehmen, drei Jahre später wagt er den Schritt in die volle Selbständigkeit. Hamamaniac heißt es und hat seinen Sitz in Blitzenreute
in der Gemeinde Fronreute. Atakan Celik ist zielstrebig, will traditionelles Handwerk mit modernem Design vereinen. In der Ägäis-Region der Türkei, in Denizli, wo seine Familie herkommt, beschäftigt er Weber, die an mehr als 80 Jahre alten JaquardWebstühlen Tücher auf traditionelle Weise weben. Mittlerweile hat Celik sein Sortiment um Interieur- und Leinenware erweitert.
Atakan Celik erklärt, ihm sei wichtig, dass alles an einem Ort stattfindet. Deshalb werde auch anatolische Baumwolle vom Ort Denizli verwendet. „Vom Feld in die Spinnerei und von dort auf die Webstühle. Er bemühe sich um einen nachhaltigen Anbau, kurze Transportwege und eine faire Verarbeitung, so Celik. „Ich lege sehr viel Wert auf Nachhaltigkeit. Wir in unserer Generation müssen mehr darauf achten und das Thema ernst nehmen.“
Celik vertreibt seine Textilwaren über einen Onlineshop und auf Messen, aber auch Händler können die Waren beziehen. „Man muss sich stets der Zeit anpassen. Ohne einen Online-Vertrieb geht es heutzutage kaum noch. Ich denke, die Zukunft besteht aus einem Mix aus On- und Offline-Vertrieb. Die Digitalisierung ist auch ein wichtiger Punkt, den ich versuche, voranzutreiben.“Celik ist stolz, dass seine Textilwaren bei mittlerweile 120 Händlern in Deutschland, im europäischen Ausland
und sogar in Japan erhältlich sind.
„Ich kümmere mich gerne persönlich um Angelegenheiten“, sagt er. So reise er mehrmals im Jahr nach Denizli. Ein direkter, privater Austausch mit seinen Mitarbeitern liege ihm sehr am Herzen. Da er fließend türkisch spreche, könne er sich der Sorgen und Problemen der Weber besser annehmen, aber auch schöne Momente wie beispielsweise Hochzeiten intensiver teilen.
Neben seiner beruflichen Leidenschaft engagiert sich Celik auf vielen Ebenen. „Ich setze mich für einen interreligiösen Dialog, für Integration und gegen Rassismus ein. Diversität tut gut“, sagt Celik überzeugt. Er beschreibt sich selbst als offen und freundlich mit seiner Umwelt. „Ich bin absolut kein Konkurrenztyp, lieber miteinander, statt gegeneinander.“
In seiner Freizeit fährt Celik seit zwei Jahren begeistert Rennrad, ins Allgäu oder in die Bodenseeregion. Jede Tour führe ihn und seine Ehefrau anschließend zu einem kulinarischen Ziel, ein gutes und ausgewähltes Restaurant. Er genieße das Leben bewusst. Um mehr Bewusstheit und Wertschätzung gehe es ihm auch gerade in dieser herausfordernden Zeit der Corona-Pandemie. „Die Geborgenheit der eigenen vier Wände gewinnt gerade so viel an Bedeutung“, sagt Atakan Celik.