Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Bund zieht die Corona-Notbremse
Das neue Infektionsschutzgesetz sichert die Gleichbehandlung betroffener Kreise und Städte – Bis zur Umsetzung wird es noch dauern
BERLIN - Ein Jahr lang prägten die Treffen der Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Corona-Politik. Das ist in dieser Form vorbei. Die Bundesregierung will künftig ab einer Inzidenz von 100 festlegen, wann welche Maßnahmen gegen die Pandemie greifen. Nach der Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Bundeskabinett muss nun der Bundestag entscheiden.
Was kommt?
Im überarbeiteten Infektionsschutzgesetz wird festgelegt, dass in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt ab einer drei Tage anhaltenden Quote von mehr als 100 Corona-Infizierten pro 100 000 Einwohner eine einheitliche Notbremse greift. Es treten automatisch Beschränkungen in Kraft. Kontakte sind nur noch mit einer haushaltsfremden Person und deren Kindern unter 15 Jahren erlaubt. Ausnahmen gibt es für Ehepartner, Sorgeberechtigte und für Trauerfeiern. Hinzu kommt eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr, ebenfalls mit Ausnahmen. Läden und Restaurants müssen schließen, ebenso Freizeiteinrichtungen und Sportstätten – mit Ausnahme des Berufs- und Leistungssports. In öffentlichen Räumen muss eine FFP2-Maske getragen werden, bei öffentlichen Verkehrsmitteln soll eine Halbierung der Passagierzahl angestrebt werden. Schulen sollen ab einer Inzidenz von 200 geschlossen werden. Für religiöse Zusammenkünfte ändert sich durch die neue Notbremse nichts. Sie bleiben weiter möglich. Aber auch die Religionsgemeinschaften haben Hygienekonzepte mit den staatlichen Stellen abgestimmt. Außerdem wird die Zahl der Kinderkrankengeld-Tage erhöht. Gesetzlich versicherte Eltern können dies künftig für jeweils zehn zusätzliche Arbeitstage in Anspruch nehmen, Alleinerziehende für weitere 20 Tage. Damit ergibt sich insgesamt für Paare ein Anspruch auf Kinderkrankengeld von 30 Tagen, für Alleinerziehende von 60 Tagen. Eltern erhalten das Kinderkrankengeld während der Pandemie auch dann, wenn das Kind nicht krank ist, sondern sie es wegen geschlossener
Schulen zu Hause betreuen, weil die Präsenzpflicht aufgehoben ist.
Wer muss zustimmen?
Nach dem Grundgesetz beschließt der Bundestag die Gesetze, nur in wenigen Ausnahmefällen müssen die Länder zustimmen. Das gilt auch für die nun vom Kabinett beschlossene Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Sie wird zwar vom Bundesrat mitberaten, die Länderkammer kann die Neuerung aber letztlich nicht aufhalten. Sollten die Länder der Regelung nicht zustimmen, müsste der Bundestag einfach nur noch mal dafür stimmen, und das Gesetz wäre beschlossen. Darüber hinaus gibt das neue Infektionsschutzgesetz der Bundesregierung die Möglichkeit, über Rechtsverordnungen weitere Verbote zu erlassen, falls die Inzidenz über 100 steigt. Aber auch Erleichterungen oder Ausnahmen sollen so möglich werden, etwa für Personen, bei denen von einer Immunisierung gegen das Coronavirus auszugehen ist oder die ein negatives Testergebnis vorlegen können. Diese Verordnungen können aber nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Bundesrats in Kraft treten.
Kommt eine Testpflicht?
Ja, für Unternehmen. Und zwar unabhängig davon, was beim Infektionsschutzgesetz passiert. Dafür ändert Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Arbeitsschutzverordnung. Es reicht die Zustimmung des Kabinetts. Zum politischen Streitpunkt wurde dies nur, weil die SPD ihr Ja zum Infektionsschutzgesetz mit der Testpflicht verknüpfte. Nächste Woche soll die Änderung in Kraft treten, mit einer Verlängerung der Homeoffice-Pflicht bis Ende Juni. Alle Arbeitgeber müssen jedem Mitarbeiter einen Schnell- oder Selbsttest pro Woche anbieten, es sei denn, er oder sie arbeitet ausschließlich im Homeoffice. Das gilt auch für den öffentlichen Dienst. In besonders gefährdeten Bereichen oder Gemeinschaftsunterkünften müssen zwei pro Woche zur Verfügung gestellt werden. Die Mitarbeiter sind nicht verpflichtet, dies zu nutzen oder das Ergebnis dem Arbeitgeber mitzuteilen. Die Kosten pro Beschäftigtem von maximal 130 Euro bis Juni muss der Arbeitgeber tragen, es sei denn, er bezieht Überbrückungshilfe III.