Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Curevac lässt auf sich warten
Dem Corona-Impfstoff der Tübinger fehlen weiter Daten – Biotech-Spezialist sieht sich aber im Zeitplan
RAVENSBURG/TÜBINGEN - Beim Tübinger Biotech-Spezialist Curevac lassen medizinisch entscheidende Daten zur Zulassung seines CoronaImpfstoffs weiter auf sich warten. Bei der Entwicklung des Vakzins sieht sich der Konzern dennoch „gut im Zeitplan“. Das teilte das Unternehmen am Donnerstag mit. So solle der Antrag auf bedingte Zulassung noch im zweiten Quartal gestellt werden. Ausschlaggebend sind dafür Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit, die ebenfalls im zweiten Jahresviertel erwartet werden. Lassen es die Daten zu, geht Curevac von einer Zulassung seines Impfstoffkandidaten CVnCOV durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA bis Ende Juni aus. Beim Wettbewerber Biontech hatte es vom Antrag bei der EMA bis zur Zulassung rund drei Wochen gedauert.
Seit vergangenem Dezember wird CVnCOV, der wie die bereits zugelassenen Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna auf der mRNATechnologie basiert, in einer großen klinischen Studie mit mehr als 40 000 Probanden in Europa und Lateinamerika getestet. Im Februar war zudem das rollierende Zulassungsverfahren bei der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) gestartet worden, bei dem fortlaufend Daten eingereicht werden, um die Zulassung zu beschleunigen. Aktuell, erklärte Curevac, befinde sich die klinische Entwicklung in der finalen Phase und man sehe sich „gut im Zeitplan“, um die notwendigen Daten bereitzustellen.
Erst am Mittwoch hatte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gefordert, Deutschland solle eine nationale Notfallzulassung für das Vakzin des Tübinger Herstellers vorbereiten und nicht erst auf das Plazet der EMA warten. Dem erteilten CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und der Präsident des RobertKoch-Instituts Lothar Wieler am Donnerstag aber eine Absage. Deutschland habe in den vergangenen Monaten mit den Maßnahmen der Zulassung, mit der genauen Betrachtung eventueller unerwünschter Nebenwirkungen den richtigen Weg gewählt. „Wir sollten immer sichergehen“, sagte Wieler in der Bundespressekonferenz. Und Spahn fügte hinzu, dass die Zulassung des Impfstoffs von Curevac momentan nicht daran hänge, dass die Zulassungsbehörde nicht schnell genug sei, sondern an den Daten. „Wir haben noch nicht die Wirksamkeitsdaten. Ohne Wirksamkeitsdaten ist auch eine Notfallzulassung nicht möglich.“
Curevac hatte ungefähr zur gleichen Zeit wie das Mainzer Unternehmen Biontech oder der US-Wettbewerber Moderna mit der Erforschung eines Corona-Impfstoffes begonnen. Doch während die Produkte von Biontech und Moderna schon seit einigen Monaten verimpft werden, kämpfen die Tübinger noch mit den klinischen Tests und der Zulassung.
Curevac-Chef Haas begründete den Rückstand jüngst unter anderem mit „großen Finanzierungsproblemen“am Anfang der Arbeit. Wäre mehr Geld verfügbar gewesen, wäre der Impfstoff schon am Markt, sagte Haas der „Stuttgarter Zeitung“. Die mangelnden finanziellen Möglichkeiten zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 seien für Curevac ein Problem gewesen. So habe das Unternehmen
zu Beginn nicht die Möglichkeit gehabt, Zulieferer vorweg zu bezahlen und erforderliche Geräte sowie Materialien zu reservieren, sprich große Investitionen zu tätigen. Haas betonte, man hätte „schneller sein können, wenn wir die Mittel früher gehabt hätten“.
Erst in der zweiten Jahreshälfte des vergangenen Jahres besserte sich die finanzielle Situation: Aus einer privaten Finanzierungsrunde, getragen von der Bundesregierung, dem Pharmakonzern Glaxosmithkline (GSK) und dem Emirat Katar, dem Börsengang an der US-Technologiebörse Nasdaq, Einmalzahlungen und Zuschüssen flossen Curevac insgesamt mehr als 1,4 Milliarden Euro zu.
Zuletzt hatten die auftretenden Coronavirus-Mutationen die Entwicklung weiter verzögert. Erste präklinische Daten mit Mäusen zeigen derweil, dass CVnCOV zumindest vor der südafrikanischen VirusMutation (B.1.351) schützt.
In der Erfolgsrechnung bescherte die aufwendige Forschungs- und
Entwicklungsarbeit Curevac ein dickes Minus. Vor Steuern lag der Verlust im vergangenen Geschäftsjahr bei 129,8 Millionen Euro nach 100,1 Millionen Euro 2019, wie Curevac mitteilte. Zum Ergebnis nach Steuern gab es zunächst keine Angaben. Der Umsatz von Curevac stieg 2020 von 17,4 Millionen Euro im Vorjahr auf 48,9 Millionen Euro. Den hohen Anstieg begründete das Unternehmen unter anderem mit der Zusammenarbeit mit Glaxosmithkline.
Unabhängig vom Zulassungsprozess baut Curevac sein Netzwerk zur Impfstoffproduktion weiter aus. Wie Biontech auch, können die Tübinger das Vakzin nämlich nicht allein herstellen. Sie sind auf Produktionskapazitäten und Komponenten anderer Firmen angewiesen – zum Beispiel solche, die Lipide liefern, in denen die mRNA verpackt wird, damit sie ihren Wirkort im Körper schadlos erreicht. Zu den Partnern, die wichtige Fertigungsschritte übernehmen, gehören neben Bayer und GSK unter anderem Wacker Chemie, Fareva,
Novartis, Celonic und Rentschler Biopharma aus dem oberschwäbischen Laupheim.
Mit diesem Partnernetzwerk will Curevac bis zum Ende des Jahres bis zu 300 Millionen Dosen des Impfstoffs herstellen. Für das kommende Jahr erhöhte das Unternehmen seine Prognose von bis zu 600 Millionen auf bis zu eine Milliarde Dosen. Die eigene Großproduktionsanlage will Curevac in der zweiten Jahreshälfte 2022 in Betrieb nehmen. Auch erste mobile Impfstoff-Drucker, die das Unternehmen zusammen mit Tesla entwickelt, sollen 2022 ausgeliefert werden.
Die Europäische Union hat sich als bislang einziger Großabnehmer 225 Millionen Dosen und eine Option auf 180 Millionen weitere Dosen gesichert. In den vergangenen Tagen habe man aber mit weiteren potentiellen Abnehmern, sowohl mit Regierungen als auch mit internationalen Organisationen, über Bestellungen gesprochen. Mit wem genau geredet wird, wollte Curevac-Chef Haas jedoch nicht verraten.