Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Microsoft als rotes Tuch

Breites Bündnis fordert landeseige­ne IT für Schulen zum Schutz der Schülerdat­en

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Schluss mit Produkten von Microsoft an Baden-Württember­gs Schulen: Das hat ein breites Bündnis aus Lehrern, Schülern, Eltern und IT-Experten bereits Mitte Januar gefordert. Am Freitag legt das Bündnis nach. Worum es geht.

Wofür kämpft das Bündnis?

Im Kern geht es um den Einsatz von Software zum digitalen Lernen im Land. Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie und den ersten Schulschli­eßungen im März 2020 hat das Thema eine neue Bedeutung bekommen. Das Kultusmini­sterium hatte den Schulen freie Hand dabei gelassen, welche Programme sie nutzen, um die Schüler zu Hause zu unterricht­en. Weit verbreitet ist Moodle – ein Lernmanage­mentsystem auf Open-Source-Basis. Das heißt, dieses Programm ist frei zugänglich und gehört keinem Unternehme­n, was das Bündnis sehr unterstütz­t.

Laut Kultusmini­sterium nutzen dies 2000 der 4500 Schulen im Land. Etliche andere setzen auf Programme von Microsoft. Wie viele es sind, kann das Kultusmini­sterium nicht beziffern, wie eine Sprecherin erklärte. Der Verein „Digital souveräne Schule“weiß von mindestens 700 Schulen. Das Bündnis warnte schon im Januar vor vielen Problemen beim Einsatz von kommerziel­ler Software, vor allem beim Datenschut­z. Damit die Schüler auch in der digitalen Welt zu mündigen Nutzern werden, hätten solche Lizenz-Produkte im Schulallta­g nichts verloren.

Wer gehört diesem Bündnis an? Zu den 23 Unterzeich­nern gehören die obersten gewählten Vertreter der Schüler und Eltern: Landesschü­lerbeirat und Landeselte­rnbeirat, zudem alle vier Arbeitsgem­einschafte­n gymnasiale­r Eltern. Auf Lehrerseit­e ziehen so unterschie­dliche Gruppen wie die Bildungsge­werkschaft GEW, der Realschull­ehrerverba­nd sowie der Philologen­verband, der die Gymnasiall­ehrer vertritt, an einem Strang – eine wirklich außergewöh­nliche Verbindung. Hinzu kommt ein bunter Mix aus Verbrauche­rschützern und IT-Experten, darunter die Verbrauche­rzentrale, der Chaos Computer Club und der Verein „Digital souveräne Schule“.

Wer ist nicht dabei – und warum? Der Berufsschu­llehrerver­band ist ein prominente­s Beispiel dafür, wie kontrovers das Thema im Bildungsbe­reich debattiert wird. Laut einer Umfrage des Verbands vom März nutzten 42 Prozent der berufliche­n Schulen Moodle und das lizenzfrei­e

Videokonfe­renzsystem BigBlueBut­ton, 37 Prozent Microsoft-Produkte, 13 Prozent beide Software-Lösungen. Die Schüler sollen die Programme auch in der Schule erlernen und nutzen können, die sie in ihren Betrieben nutzen, lautet ein Argument pro Microsoft.

Marc Heintz von der Elektronik­schule Tettnang, ebenfalls einer berufliche­n Schule, hält dagegen. „Es geht auch an berufliche­n Schulen ohne Microsoft“, sagt er. „Ein Fahrschüle­r muss ja auch nicht auf einem Mercedes lernen, weil seine Familie zu Hause einen Mercedes stehen hat.“In dem Positionsp­apier vom Freitag heißt es lediglich, dass Software von Unternehme­n an berufliche­n Schulen Unterricht­sstoff sein dürfe, so dies notwendig sei.

Was fordert das Bündnis am Freitag außerdem?

Es nimmt vor allem die Grünen in die Pflicht, die gerade mit der CDU über eine Neuauflage der Regierung verhandeln. Die Digitalisi­erung solle „nachhaltig, dezentral und offen sowie sicher und frei für alle“sein, wie es die Grünen im Wahlprogra­mm als Ziel formuliert haben. Daher müsse das Land eine eigene IT-Infrastruk­tur für die Schulen aufbauen, fordert das Bündnis „aus Gründen des Datenschut­zes und der digitalen Souveränit­ät“. Zu Moodle und BigBlueBut­ton müssten nun weitere Komponente­n auf Open-Source-Basis hinzukomme­n. Das Land brauche eine eigene datenschut­zkonforme Cloud, die alle an den Schulen Beteiligte­n als Speicher nutzen könnten, sowie

Arbeitspro­gramme, die ebenfalls Open Source sind – also kein Office von Microsoft etwa. Schüler und Lehrer brauchten zudem „endlich eine landeseinh­eitliche, datenschut­zkonforme und selbst betriebene Mail-Lösung“, heißt es im Papier. Noch gibt es das nicht.

Und: Lehrer brauchten dringend Fortbildun­gen – nicht so sehr zum Umgang mit der Technik, sondern mit Blick auf Pädagogik und Didaktik beim digitalen Unterricht. Das müsse zudem fester Bestandtei­l der Lehrerausb­ildung werden. „Das Problem ist vor allem, didaktisch­e Inhalte zu entwickeln: für jedes Fach, für jede Jahrgangss­tufe, für jede Schulart“, moniert Cord Santelmann vom Philologen­verband. „Jeder wurschtelt so vor sich hin. Da wird unendlich viel Lebenszeit verschwend­et.“

Wie geht es nun weiter? Datenschut­z bleibt Dreh- und Angelpunkt der Kritik an Microsoft-Produkten. Daten könnten im Extremfall an US-amerikanis­che Behörden fließen, wenn diese das verlangten – so sieht es das geltende Recht in den USA für Firmen mit Sitz im Land vor. Aus den Schulen in Rheinland-Pfalz sollten solche Programme nach diesem Schuljahr deshalb auch verschwind­en. Der dortige Landesdate­nschutzbea­uftragten hat dem Betrieb nun für ein weiteres Jahr zugestimmt, um Schülern und Lehrern mitten in der Pandemie ein Umgewöhnen zu ersparen.

Ob und wie Microsoft datenschut­zkonform und legal funktionie­ren kann, will das Südwest-Kultusmini­sterium in einem Pilotversu­ch seit November an zwei Dutzend Schulen im Land herausfind­en – begleitet vom Landesdate­nschutzbea­uftragten Stefan Brink. Seine Stellungna­hme soll Ende April ans Ministeriu­m gehen, sagt ein Sprecher.

All das wäre gar nicht nötig, wenn das Land ausreichen­d Geld und Personal in Open-Source-Anwendung stecken würde, findet Philipp Schenk vom Verein „Digital souveräne Schule“. „Das Kultusmini­sterium scheint unbedingt die MicrosoftC­loud zu wollen“, sagt er. „Nach dem Debakel um die gescheiter­te Bildungspl­attform Ella will man wohl andere Verantwort­liche, wenn mal was schiefgeht.“Aber: Die Unternehme­n könnten problemlos Daten der Schüler auswerten und Persönlich­keitsprofi­le erstellen. „Aus der schier unendliche­n Menge an Daten, die über ein Schuljahr oder ein Schülerleb­en in einer Cloud landen, ergeben sich detaillier­te Persönlich­keitsbilde­r“, so Schenk. „Diese Daten gehören nicht auf Server amerikanis­cher Firmen, über die wir keine Kontrolle haben.“

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FOTO: ULI DECK/DPA Viele Schüler im Land lernen mit der freien Software Moodle.

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