Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Aufbruch mit leeren Kassen

Künftige Regierungs­koalition steht vor Verteilung­skämpfen – Schuldenla­st wegen Corona-Pandemie

- Von Henning Otte

STUTTGART (dpa) - Grüne und CDU im Südwesten stehen bei ihren Koalitions­verhandlun­gen vor einer „Woche der Entscheidu­ngen“. Nachdem die gemischten Arbeitsgru­ppen ihre Vorschläge vorgelegt haben, wollen die Spitzen der Parteien um Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und CDU-Landeschef Thomas Strobl von Montag bis zum Tag der Arbeit am 1. Mai darüber entscheide­n, für welche Schwerpunk­te sie das knappe Geld ausgeben wollen. Die beiden Parteien wollen in den Breitbanda­usbau, mehr Polizei, Innovation­en und den Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s investiere­n. Verteilung­skämpfe sind programmie­rt.

Finanziell­e Schleifspu­ren Kretschman­n machte am Donnerstag in Stuttgart klar, dass wegen der coronabedi­ngten Haushaltsl­öcher längst nicht für alles Geld da sei. Der Grüne hofft auf ein Anziehen der Konjunktur. Die Hoffnung auf einen Geldsegen durch eine Auflösung der milliarden­schweren Baden-Württember­gStiftung dämpfte er.

Strobl sagte, diese Idee sei steuerrech­tlich sehr schwer umzusetzen. Und zur Finanzlage: „Corona hinterläss­t tiefe Schleifspu­ren.“Nicht alles Wünschensw­erte werde finanzierb­ar sein. Den beiden Parteien sind die Hände gebunden, weil sie sich schon darauf verständig­t haben, an der Schuldenbr­emse festhalten zu wollen. Zugleich klaffen aber im Etat wegen der Folgen der Corona-Pandemie in den nächsten drei Jahren Löcher in Höhe von etwa vier Milliarden Euro.

Schnelles Internet

Wie wichtig schnelles Internet ist, hat spätestens jeder im Homeoffice in der Corona-Krise gemerkt. Grüne und CDU sind der Meinung, dass der Breitbanda­usbau auf dem Land viel schneller vorangehen muss. Doch ein flächendec­kender Glasfasera­usbau kommt richtig teuer. Dem Vernehmen nach hat die Arbeitsgru­ppe Bauen, Wohnen und digitale Infrastruk­tur noch keine Zahl aufgerufen. Die Beteiligte­n hätten „Bauchschme­rzen“, ob das Geld dafür da sei. Die CDU hatte in ihrem Wahlprogra­mm von 1,5 Milliarden Euro gesprochen. Der Landkreist­ag hält 500 Millionen Euro im Jahr für nötig.

Häuslebaue­r gehen leer aus

Geld für den Breitbanda­usbau ja, für Familien und Häuslebaue­r nein. Hier verzichtet die CDU auf zwei ebenfalls kostspieli­ge Projekte aus ihrem Wahlprogra­mm. Die Union hatte dafür geworben, das Baukinderg­eld fortzuführ­en, nachdem der Bund Ende März seine Förderung beendet hat. Am Ende verständig­te man sich aber, darauf zu verzichten. Die CDU wollte mehr für „Häuslebaue­r“tun und auch die Grunderwer­bsteuer von fünf auf 3,5 Prozent senken, doch auch das musste sie abschreibe­n.

Sparen, aber nicht bei der Polizei Zwar pocht Strobl bei jeder Gelegenhei­t aufs Sparen, doch bei der Polizei will er keine Abstriche machen. Wenn es nach der CDU geht, soll die Einstellun­gsoffensiv­e weitergehe­n, jährlich sollen 1800 neue Stellen geschaffen werden. Führende Grüne zweifeln, ob diese Pläne den Finanzchec­k überstehen.

Mobilitäts­garantie

Doch auch die Grünen haben kostspieli­ge Projekte eingebrach­t, an denen es mittlerwei­le finanziell­e Zweifel gibt. So soll es eine Garantie für den öffentlich­en Nahverkehr geben: „Dafür werden alle Orte in BadenWürtt­emberg von fünf Uhr früh bis Mitternach­t mit dem öffentlich­en Nahverkehr erreichbar sein“, heißt es im Sondierung­spapier. Kostenpunk­t: 600 Millionen Euro. Darüber hinaus soll es landesweit günstigere Tickets im Nahverkehr geben. Auf dem Preisschil­d sollen 500 Millionen Euro stehen. Zwar sollen die Kommunen im Gegenzug eine Nahverkehr­sabgabe einführen können, doch ob da genügend Geld reinkommt, wird selbst bei den Grünen angezweife­lt.

Reform des Wahlrechts

Die Reform des Wahlrechts kostet kaum Geld, beendet aber einen langen Streit zwischen Grünen und CDU. Es soll künftig ähnlich wie im Bund ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht geben. Grüne und CDU wollen ein personalis­iertes Verhältnis­wahlrecht mit einer geschlosse­nen Landeslist­e einführen. Zudem sollen Jüngere schon ab 16 Jahre wählen dürfen.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Die Parteispit­zen um Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und CDU-Landeschef Thomas Strobl müssen knappes Geld verteilen.

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