Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der letzte Bohemien der Kunstszene
Markus Lüpertz wird 80 Jahre alt – Der ehemalige Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie ist keiner für die gefällige Kunst
DÜSSELDORF/KARLSRUHE (dpa/epd) - Er gilt als einer der wichtigsten lebenden Künstler und polarisiert wie kaum ein anderer. Macht nichts. Kunst muss nicht gefallen, sagt Markus Lüpertz. Und zeigt sich doch überraschend harmoniebedürftig.
Samt-Sakko, Einstecktuch, Krawatte, Stock mit Silberknauf, eine gewisse Eleganz muss sein für den „letzten Bohemien“, wie Markus Lüpertz sich selbst bezeichnet. Und meint damit weniger seine Herkunft. Zur Bohème gehört nun einmal ausgestelltes Anderssein. Sein Auftreten brachte Lüpertz den Titel „Malerfürst“ein, den er aber selbst ablehnt. Er verstehe die Aufregung nicht, sagte er in einem Interview zu seiner letzten großen Museumsausstellung im Münchner Haus der Kunst Ende 2019: „Ich bin einfach ein gut gekleideter älterer Herr.“Am 25. April wird der 1941 in Böhmen geborene Maler, Bildhauer und langjährige Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie 80 Jahre alt.
Lüpertz zählt neben Gerhard Richter, Sigmar Polke, Georg Baselitz und Anselm Kiefer zu den „Big Five“der deutschen zeitgenössischen Kunst. Bekannt wurde er seit den 1960er-Jahren mit seiner kraftvollen, häufig als neo-expressiv bezeichneten Malerei, darunter monumentale Werke wie „Lüpolis“und „Westwall“. In seinen Bildern verschwimmen die Grenzen von Abstraktion und Figuration. Seine Skulpturen stehen auf vielen öffentlichen Plätzen. So hat es die 2,50 Meter hohe „Philosophin“ins Kanzleramt geschafft, sein „Bundesadler“in den Bundesgerichtshof nach Karlsruhe. Und Lüpertz dehnt seine künstlerische Arbeit weit über die Grenzen der Leinwand und der Skulptur aus, entwirft auch Bühnenbilder und Kostüme, schreibt Gedichte und tritt als Free-Jazz-Pianist auf.
Der 1941 im böhmischen Reichenberg (heute Liberec) geborene Lüpertz wollte nach eigener Aussage von klein auf Maler werden. Er wurde das auf Umwegen. Als Kind mit seiner Familie 1948 von Böhmen ins nordrhein-westfälische Rheydt geflüchtet, scheiterte Lüpertz mit ersten Ambitionen: Aus der Lehre zum Maler für Weinflaschen-Etiketten
flog er wegen „mangelnden Talents“. Er war an einer Werkkunstschule und bei der Fremdenlegion, er malochte unter Tage in der Kohlenzeche und wurde als Student an der Düsseldorfer Kunstakademie wegen einer Schlägerei exmatrikuliert. Er arbeitete als freischaffender Künstler, bekam 1974 eine Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Und 25 Jahre nach seinem Rausschmiss kehrte er als Professor an die Düsseldorfer Akademie zurück. Ab 1988 war er dort 20 Jahre lang Rektor.
Lüpertz’ künstlerische Karriere begann in den 60er-Jahren, als die abstrakte Malerei die Kunstwelt dominierte. Dennoch hielt er am Gegenstand fest. In seinen frühen Gemälden, die dem Neoexpressionismus zugerechnet werden, stellt er einfache, gegenständliche Formen in den Mittelpunkt: Dachpfannen, Ähren oder Helme. Aufsehen erregte 1968 sein mehr als zwölf Meter breites Gemälde „Westwall“. Das abstrakt wirkende Bild, das aus seriell angeordneten Reihen grünlicher Zacken besteht, nimmt Bezug auf die fast 600 Kilometer lange Befestigungsanlage, die Hitler in der Eifel anlegen ließ.
Obgleich er Gegenstände malt, sieht er sich selbst als abstrakten Künstler. Lüpertz verbinde Abstraktion und Realismus, erklärt Walter Smerling, Direktor des Museums Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg, der den Künstler als Kurator kennt und 2007 einen Film über ihn gedreht hat. „Er ist besessen von der Abstraktion und schafft immer wieder die Gegenüberstellung von Objekt und Form“, so Smerling.
Markus Lüpertz polarisiert, an seiner Kunst wird Anstoß genommen. Vor allem, wenn sie auf öffentlichen Plätzen steht. Beethoven ohne Arme in Wien, Mozart als ZwitterTorso in Salzburg, eine dralle Aphrodite in Augsburg oder der einarmige Herkules in Gelsenkirchen – gefällige Kunst sieht anders aus. Für Lüpertz ist es in Ordnung, wenn Leute seine Arbeiten ablehnen. „Kunst muss nicht gefallen, mit Kunst muss man sich auseinandersetzen.“Manchmal tun dies Gerichte, wie beim Entwurf eines „Reformationsfensters“für die Hannoveraner Marktkirche, angeregt von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). Sie sorgt seit über zwei Jahren für einen Rechtsstreit mit dem Erben des Architekten der Kirche. Dieser sieht die Optik des schlichten Kirchenraums durch das Buntglasfenster beeinträchtigt.
Auch in Karlsruhe stieß das „Genesis“-Projekt für die U-Bahn schon auf Ablehnung, bevor es überhaupt fertig ist. „Keramische Kirchenkunst“passe nicht in eine IT-Metropole, so ZKM-Chef Peter Weibel. In einem Anti-Lüpertz-Blog ätzten andere über Eliten und alte Männer, deren Kunst man nicht wolle. „Genesis“ist dennoch am Werden: „Von 14 Tafeln habe ich zehn fertig. Ich bin sehr gut in der Zeit“, sagt Lüpertz.
Zurückweisung ausgerechnet in der Wahlheimat, aus der seine Frau kommt und wo die Kinder groß geworden sind, schmerzt. Doch diese und andere Enttäuschungen lässt Lüpertz nicht an sich ran. „Ich bin harmoniesüchtig. Vielleicht ist das ein wichtiger Bestandteil des Bohemiens?“Die Realität des Lebens habe relativ wenig Einfluss auf seine Gemütslage.
Dass er wegen Corona seinen 80. Geburtstag nicht groß feiern kann, bedauert er. Doch seine Familie ist ihm ohnehin das Wichtigste. Dann trinkt er eben zu Hause mit seiner Frau Dunja und den fünf Kindern ein Glas Wein. „Mein größter Wunsch? Noch mal 80 Jahre. Es ist schön, zu leben.“Angst vor dem Alter hat er nicht, aber: „Ich habe davor Angst, dass das mal alles zu Ende ist. Ich liebe meine Beweglichkeit, ich liebe meine Schaffenskraft, ich liebe diese Leichtsinnigkeit, mit der ich lebe. Und plötzlich soll das aufhören? Davor habe ich wirklich Schiss.“