Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rad statt Rollstuhl: MS-Kranker will anderen Mut machen

Der Traumberuf ist weg, aber Richard Spieß aus Amtzell lässt sich nicht unterkrieg­en

- Von Katrin Neef

AMTZELL - Schon als Kind mochte er Pferde. Als Erwachsene­r wurde er Reitlehrer und nahm an Turnieren teil. Richard Spieß aus Amtzell hatte seinen Traumberuf gefunden. Doch dann veränderte eine Diagnose sein Leben und nahm ihm den Beruf. Nach dem ersten Schock fasste Richard Spieß einen Entschluss.

„Vor acht Jahren merkte ich, dass etwas mit meinem Körper nicht stimmte. Mein Gang veränderte sich, ein komisches Gefühl in meiner linken Hand kam hinzu, ich fiel immer wieder hin“, erzählt Richard Spieß. 2014 bekam er die Diagnose MS. Multiple Sklerose ist eine chronische Autoimmune­rkrankung, die die Nerven angreift. „Sie kommt unangemeld­et und bleibt ein Leben lang“, sagt Richard Spieß.

„Ich habe nur noch die Hälfte meiner Kraft und keine Feinmotori­k mehr“, beschreibt Richard Spieß die körperlich­en Symptome. Die Krankheit verlaufe bei jedem anders, erklärt er. Daher sei es auch mit den Medikament­en manchmal schwierig. „Cortison schlug bei mir nicht an, und 2015 wurde ich vorzeitig in Rente geschickt. Reiten kann ich gar nicht mehr. Für mich war das ein großer Schock“, sagt der heute 53Jährige. „Schnell wurde mir aber klar, dass ich versuchen möchte, das Beste aus meiner Situation zu machen. Die Krankheit soll sich nach mir richten. Deshalb schwang ich mich auf mein E-Rennrad und fing an zu trainieren.“

„Mein Zustand wird nicht besser werden“, sagt Richard Spieß. „Ich gehe radeln, damit es nicht schlechter wird. Das ist gut für die Muskeln und für den Kopf.“Radfahren sei schon immer sein Hobby gewesen. Auch die Tour de France habe er schon immer begeistert verfolgt. So fasste er 2015 den Plan, einen Teil der Tour-Strecke selbst abzufahren. Weil sein linkes Bein inzwischen sehr schwach ist, nutzt Spieß ein Rennrad mit elektrisch­em Antrieb.

Seither ist der 53-Jährige fast täglich mit dem Rad unterwegs. Er sagt: „Das Leben spielt nicht immer mit. Ich muss mich jeden Tag überwinden.“Dann stelle er im Geist die Ampel von Rot auf Grün, sagt Richard Spieß. Wenn er dann auf dem Rad sitze, spüre er ein Glücksgefü­hl. „Dann kann ich abschalten und meine Krankheit vergessen.“

Der Amtzeller will der Diagnose MS die Stirn bieten. „Rumsitzen und Jammern“kommt für ihn nicht infrage. „Ich brauche ein Ziel“, sagt er. „Und ich habe einen sturen Kopf.“Diese Eigenschaf­t hilft ihm, die Herausford­erung anzunehmen. Vergangene­n Sommer startetet er ein neues Projekt: „Ich hab mir ein Rucksäckle gekauft und bin losgeradel­t Richtung Nordsee.“

Von Amtzell über Reutlingen und Frankfurt, nach Warendorf und Vechta und schließlic­h nach Varel an der Nordsee führte ihn sein Weg. „880 Kilometer in sieben Tagen, insgesamt 40 Stunden Fahrzeit und 6200 Höhenmeter“, lautet seine stolze Bilanz.

„Die Tour war für mich eine Herausford­erung, aber Sport ist meine Cortison-Behandlung“, sagt Richard Spieß. Und fügt hinzu: „Ich bleibe positiv – dabei hilft mir vor allem, dass ich keine Existenzän­gste haben muss, weil ich 2005 eine Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung abgeschlos­sen habe. Von einer regulären Rente hätte ich mit meiner Familie, zwei Kindern und Haus nicht leben können.“

Inzwischen hat er 11 300 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgele­gt. Und er möchte anderen Mut machen, die auch mit der Diagnose MS leben müssen oder mit einer anderen schweren Krankheit. „Ich möchte sie ermutigen, aufzustehe­n, rauszugehe­n, sich zu bewegen an der frischen Luft“, sagt er. „Man kann so viel erreichen, die Ampel von Rot auf Grün schalten.“

Nachdem er viele Jahre allein mit seinem Rad unterwegs war, möchte Richard Spieß nun auch Kontakt zu anderen knüpfen, vielleicht mal gemeinsam auf Tour gehen. Und er hat noch ein Anliegen: Sehr gerne würde er sich für die „Besi & FriendsSti­ftung“engagieren. Diese Stiftung unterstütz­t Menschen mit Autoimmunu­nd neurologis­chen Erkrankung­en. „Ich würde gerne mal eine Spendenakt­ion für die Stiftung machen“, sagt Spieß.

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FOTO: SPIESS „Sport ist meine Cortison-Behandlung“: Richard Spieß iaus Amtzell m Jahr 2019 mit seinem E-Rennrad auf einem Pass in Frankreich.

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