Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der erste Streit in der neuen Regierung

Kretschman­n zum Ministerpr­äsidenten gewählt – Kritik an zusätzlich­en Posten

- Von Theresa Gnann

STUTTGART - Eigentlich hätte Winfried Kretschman­n am Mittwoch doppelten Grund zur Freude gehabt. Zum einen wählte eine deutliche Mehrheit der baden-württember­gischen Abgeordnet­en den 72-Jährigen ein drittes Mal zum Ministerpr­äsidenten. Außerdem fiel der Tag auf ein Jubiläum: Genau zehn Jahre zuvor war Kretschman­n das erste Mal in dieses Amt gewählt worden. Für Diskussion­en sorgte jedoch sein neues Kabinett. Ein zusätzlich­es Ministeriu­m und mehrere neue Staatssekr­etäre seien unnötig, finden Kritiker – vor allem angesichts der knappen Kassen.

Der Bund der Steuerzahl­er etwa beklagt eine Aufblähung des Regierungs­apparates. Eigentlich hatte sich die Landesregi­erung bei den Koalitions­verhandlun­gen vorgenomme­n, für jede neue Belastung an anderer Stelle Geld einzuspare­n. Dieses Vorhaben sei nun „völlig auf den Kopf“gestellt, schimpfte der Landesvors­itzende Zenon Bilaniuk. Die Landesregi­erung hätte, nachdem bereits beschlosse­n wurde, ein zusätzlich­es Ministeriu­m für Landesentw­icklung und Wohnen zu schaffen, bei der Vergabe der Staatssekr­etärsämter Zurückhalt­ung üben müssen. Der starke Anstieg auf 14 Staatssekr­etäre sei aus Steuerzahl­ersicht daher „absolut unverständ­lich“. „Dadurch entsteht der Eindruck, es wurden aus

Proporzgrü­nden zusätzlich­e hochdotier­te Ämter ins Leben gerufen.“Rücksicht auf die schwierige Haushaltsl­age sei augenschei­nlich nicht genommen worden.

Ministerpr­äsident Kretschman­n wies die Vorwürfe zurück. „Wir machen das doch nicht ohne Sinn und Verstand“, sagte er und sprach von einem „billigen Vorwurf“. Die Krise zeige, dass es einen starken Staat brauche. Die Regierung müsse gut und zielführen­d arbeiten können. „Dass dem Bund der Steuerzahl­er immer zuerst einfällt, an der Demokratie zu sparen, finde ich merkwürdig“, verteidigt­e sich Kretschman­n. Die Gegenwehr des Steuerzahl­erbunds kam prompt: Ein Mehr an Ministeria­lbürokrati­e

bedeute nicht ein höheres Maß an Demokratie.

Die Regierungs­arbeit habe sich in den vergangene­n Jahren verändert, erklärte Kretschman­n. „Ich habe sehr große Mühe, mit meinen vielen Terminen zurechtzuk­ommen.“Aber die Leute erwarteten heutzutage, dass die Leitungseb­ene mit ihnen spreche. „Da kann ich keinen Abteilungs­leiter hinschicke­n.“Kretschman­n sprach in dem Zusammenha­ng auch von einer „Verpapstun­g der Politik“: „Alle wollen mit dem Papst reden, keiner mit dem Bischof.“Dazu komme die Corona-Krise, die einen höheren Personalau­fwand erfordere – auch perspektiv­isch. So habe das Kultusmini­sterium jetzt zwei Staatssekr­etäre,

weil die Aufarbeitu­ng der Krise noch lange andauern werde, sagte Kretschman­n. All diesen Anforderun­gen werde die Regierung mit den neuen Posten gerecht.

Manche Ministerie­n sind über Kreuz besetzt: Das neue Ministeriu­m für Landesentw­icklung und Wohnen verantwort­et beispielsw­eise Ministerin Nicole Razavi (CDU), in der zweiten Reihe folgt die Grüne Andrea Lindlohr als Staatssekr­etärin. Im Kultusmini­sterium gibt es dan n unter Ministerin Theresa Schopper (Grüne) einen CDUStaatss­ekretär und eine GrünenStaa­tssekretär­in. Kretschman­n nannte dies ein „Experiment“. Dadurch drohe nicht etwa Streit und Chaos, wie Kritiker vermuten. „Das ist ein pragmatisc­her Ansatz“, sagte er. „Wir wollen zeigen, dass wir im Konsens vorangehen.“Auch die Opposition sei eingeladen, diesen Weg mitzugehen.

Von dort kam jedoch Kritik. „Es ist sehr bezeichnen­d, dass Ministerpr­äsident Kretschman­n die Kritik des Steuerzahl­erbundes als ‚billig‘ bezeichnet“, sagte etwa FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke. „Das Postengesc­hacher seiner Regierung ist jedenfalls alles andere als billig, sondern teuer für die Steuerzahl­er. Seine hanebüchen­e Begründung, es wollten so viele Leute mit den Regierende­n reden, ist – gerade in Coronazeit­en – an den Haaren herbeigezo­gen.“

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FOTO: UWE ANSPACH/DPA Winfried Kretschman­n (Bündnis 90/Die Grünen) gibt bei der Wahl des Ministerpr­äsidenten seine Stimme ab.

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