Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Staatseinnahmen erholen sich nur langsam
Steuerschätzung versetzt dem Post-Corona-Optimismus einen kleinen Dämpfer
BERLIN (dpa) - Vieles, sagt der Vizekanzler, spreche dafür, dass es bald geschafft sei: Die Impfzahlen gehen hoch, die Infektionszahlen runter. Finanziell sei Deutschland auch wieder „auf Kurs“, meint Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Doch „auf Kurs“heißt nicht, dass das Ziel schon erreicht ist – auch das wird klar, wenn man auf die am Mittwoch vorgestellten Zahlen der Steuerschätzer blickt. Die Corona-Krise hat ein gewaltiges Loch in die Staatskassen gerissen. Erst 2023 wird der Bund wohl wieder so viele Steuern einnehmen wie vor der Krise im Jahr 2019. In diesem und auch im kommenden Jahr müssen Bund, Länder und Kommunen mit 6,6 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen auskommen, als sie noch im November eingeplant haben.
Scholz zeigt sich trotzdem gewohnt optimistisch: „Deutschland steht wirklich gut da.“Die Schuldenquote sei die niedrigste aller G7-Staaten – und deutlich unter dem Niveau der Finanzkrise vor rund zehn Jahren. „Wir gehen sorgsam mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um“, beteuert der SPDKanzlerkandidat. „Das ist mir persönlich sehr, sehr wichtig.“Jetzt könne man wieder durchstarten.
Doch es besteht die Gefahr, dass dieser Start erst mal nur mit angezogener Handbremse passieren kann. Grund für die niedriger als im November prognostizierten Steuereinnahmen ist die damals noch nicht eingepreiste, jetzt langsam abflauende dritte Corona-Welle mit Ladenschließungen und Konsumzurückhaltung bei den Verbrauchern.
Dazu kommen die massiven Hilfsprogramme der Regierung, die sich auch steuerlich auswirken: etwa der ermäßigte Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie, veränderte Abschreibungsregeln und neue Regeln für das Verrechnen von Unternehmensverlusten. Scholz nennt auch mehr Kindergeld, den Kinderbonus von 150 Euro pro Kind und einen höheren steuerlichen Grundfreibetrag. Allein in diesem Jahr verzichtet der Staat laut Finanzministerium mit den steuerlichen Hilfsmaßnahmen auf Einnahmen von 14 Milliarden Euro, bis 2025 sogar auf 83 Milliarden.
Immerhin: Die Steuerschätzer gehen davon aus, dass Bund, Länder und Kommunen in diesem Jahr zusammen wieder mehr einnehmen werden als im Krisenjahr 2020. Am Ende könnte ein Plus von rund 33,8 Milliarden Euro oder 4,6 Prozent stehen. Für die Zeit bis 2025 sind die Experten dann deutlich positiver gestimmt: In den fünf Jahren sollen zehn Milliarden Euro mehr in die Kassen kommen als im November errechnet.
Grund für den Optimismus gibt vor allem die Wirtschaft. Dieses Jahr werde die Trendwende geschafft, kündigte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kürzlich an. Vor allem in der exportstarken Industrie läuft es gut, weil die Nachfrage aus Asien und den USA bereits kräftig anzieht. Zudem dürfte hierzulande schnell wieder mehr konsumiert werden, sobald Lockdowns aufgehoben werden. Trotzdem will Scholz die Wirtschaftshilfen nochmals verlängern, um den Unternehmen eine „klare Aussage bis Jahresende“zu machen.
Milliardenschwere Hilfen für die Wirtschaft sind der Hauptgrund, warum der Finanzminister in diesem und im kommenden Jahr für den Bund noch einmal hohe Schulden aufnehmen will. Gerade haben Bundestag und Bundesrat ihm für 2020 Rekordkredite von 240,2 Milliarden Euro erlaubt. 2021 sollen es dann 81,5 Milliarden sein. Erneut müsste der Bundestag dafür die Schuldenbremse
im Grundgesetz außer Kraft setzen. Doch davor steht eine Bundestagswahl – und die Schuldenbremse und das Damoklesschwert von Steuererhöhungen sind beliebte Wahlkampfthemen. Die Kanzlerkandidaten Scholz, Armin Laschet (Union) und Annalena Baerbock (Grüne) werden sich zu drei Stellschrauben klar positionieren müssen: Weitere Schulden machen? Steuern erhöhen – und wenn ja, für wen? Oder gar ein Sparprogramm auflegen?
Der Finanzpolitiker der Union, Eckhardt Rehberg, macht bereits jetzt klar: „Es ist kein Ausweis von Stärke, neue Ausgaben mit Schulden zu finanzieren, sondern der denkbar einfachste Weg.“Stattdessen müsse eine Bundesregierung Maß halten und nicht immer neue Ausgaben versprechen. Die Grünen fordern eine Reform der Schuldenbremse, sodass bestimmte Investitionen über Kredite möglich sind. Nach der Pandemie dürfe es nicht zu einer Sparpolitik kommen, betonen sie.
FDP-Fraktionsvize Christian Dürr verurteilt Steuererhöhungen für Wohlhabende, wie Grüne, SPD und Linke sie fordern. Nur wenn die Bürger am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche und Betriebe mehr Spielraum für Investitionen hätten, könne Deutschland nach der Krise aufholen. Für die Linken-Finanzpolitikerin Gesine Lötzsch ist dagegen längst ausgemacht, dass Steuererhöhungen nach der Wahl kommen werden. „Die Frage ist nur, wer mehr zahlen muss.“
Und der Kanzlerkandidat der SPD, Finanzminister Scholz? Er fühle sich in seiner Linie voll bestätigt, sagt er. Investieren in der Krise sei auch im Sinne künftiger Generationen. Er will die Schuldenbremse zwar nicht abschaffen, aber in den kommenden Jahren voll ausnutzen. Einen kleinen Spielraum für Schulden gibt ihm das Grundgesetz ja.