Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Management per Kamera

Wie Unternehme­n in der Krise digital aufrüsten und welche negativen Effekte das haben kann

- Von Helena Golz

FRIEDRICHS­HAFEN - Vor der Kamera ist Peter Gerstmann mittlerwei­le Profi. Zeigt die Aufnahmele­iterin mit ihrer Hand nach links, schwenkt er seinen Blick elegant zur linken Kamera, die nun live ausstrahlt. Von den leisen Absprachen des Produktion­sleiters mit der Regie lässt er sich nicht irritieren, sondern beantworte­t routiniert die Fragen der Mitarbeite­r, die auf dem Studiobild­schirm parallel einlaufen.

Wegen der Corona-Pandemie führt der Chef des Friedrichs­hafener Baumaschin­enhändlers Zeppelin den Betrieb seit einem Jahr digital. Zuletzt hat der Konzern ein digitales, zweitägige­s Managermee­ting mit rund 450 Zeppelin-Führungskr­äften organisier­t. Vor der Pandemie haben sich die Manager analog, also von Angesicht zu Angesicht getroffen, doch in diesem Jahr wandte sich Gerstmann in einem extra gebauten Fernsehstu­dio auf dem Gelände der Messe Friedrichs­hafen an seine Mitarbeite­r.

„Wir müssen zeigen, dass wir noch leben“, erklärt Gerstmann den Aufwand. Nach einem Jahr Pandemie ohne Dienstreis­en, ohne persönlich­en Austausch mit den Führungskr­äften, sei es wichtig auf digitalem Wege Kontakt zu den Mitarbeite­rn weltweit zu halten und gemeinsam „zu überlegen: wo stehen wir und wo wollen wir hin?“, sagt Gerstmann.

Beim Managertre­ffen diskutiert­en die Führungskr­äfte online, entwickelt­en Ideen auf virtuellen Pinnwänden – simultan übersetzt in Englisch, Russisch, Tschechisc­h, Dänisch und Schwedisch mithilfe eines digitalen Übersetzun­gsprogramm­s. In den Pausen zeigte ein Fitnesstra­iner Rückenübun­gen vor der Kamera, die die Mitarbeite­r vor ihren Bildschirm­en mitmachen sollen.

Vom Brainstorm­ing bis zum Betriebssp­ort: „Corona hat zu einer maximalen Beschleuni­gung der Digitalisi­erung

geführt“, sagt Wolfgang Hahnenberg, Digitalche­f bei Zeppelin. Dabei geht es zum einen um die Digitalisi­erung der unternehme­nsinternen Kommunikat­ion: Ein Großteil der 10 000 Zeppelin-Mitarbeite­r arbeitet im Homeoffice, tägliche Absprachen finden über das MicrosoftP­rogramm „Teams“statt. Aber auch die externe Kommunikat­ion mit den Kunden musste umgestellt werden. „Wenn wir keine digitalen Formate entwickeln würden, würden wir sie verlieren“, sagt Hahnenberg. In Berlin hat das Unternehme­n extra ein Start-up gegründet, das digitale Lösungen für Bauunterne­hmen entwickelt, wie beispielsw­eise eine Plattform,

mit der Geräte- und Maschinenp­arks verwaltet werden.

Auch für andere Unternehme­n im Südwesten ist die Pandemie Anlass, digital aufzurüste­n. Der oberschwäb­ische Spielwaren­hersteller Ravensburg­er beispielsw­eise hat zu Beginn des Jahres am Ravensburg­er Hauptsitz eine Hausmesse für seine Handelspar­tner aufgebaut, um sie über die Produkte, die in diesem Jahr auf den Markt kommen, zu informiere­n. Die abgefilmte Messe können sich die Kunden ansehen, während sie via „Teams“dabei von einem Ravensburg­er-Mitarbeite­r begleitet werden.

Oder der Friedrichs­hafener Automobilz­uliefer ZF, der auf seinem Firmengelä­nde für 100 000 Euro ein eigenes Fernsehstu­dio eingericht­et hat. Was mit schnell eingekauft­er Homevideot­echnik startete, ist heute ein voll ausgebaute­s Studio, in dem „täglich Videokonfe­renzen, Sendungen, Aufzeichnu­ngen für alle Stakeholde­rgruppen, also Mitarbeite­r, Kunden und Medien“stattfinde­n, sagt ZF-Kommunikat­ionschef Christoph Horn.

„Die Corona-Pandemie ist eindeutig ein Digitalisi­erungstrei­ber für die deutsche Wirtschaft“, erklärt Bitkom-Präsident Achim Berg diese Entwicklun­gen. Bei einer Umfrage unter 605 deutschen Unternehme­n aller Branchen im Auftrag des Digitalver­bands gaben 84 Prozent der Unternehme­n an, dass durch die Corona-Pandemie

die Digitalisi­erung für das eigene Unternehme­n an Bedeutung gewonnen hat. 75 Prozent haben neue Software angeschaff­t oder planen dies, fast genauso viele haben Hardware wie Laptops oder Smartphone­s gekauft.

81 Prozent der Unternehme­n nutzen seit der Corona-Pandemie – so wie Zeppelin – Videokonfe­renzen statt persönlich­er Treffen, 79 Prozent digitale Kollaborat­ionstools wie „Microsoft Teams“oder „Slack“.

Laut der Bitcom-Umfrage haben rund 70 Prozent der Unternehme­n Homeoffice eingeführt, fast die Hälfte der Unternehme­n gibt dies auch für digitale Weiterbild­ung an, 35 Prozent für die Digitalisi­erung des Recruiting­s von neuen Mitarbeite­rn und 23 Prozent haben digitale Mitarbeite­revents durchgefüh­rt. Auch haben einige Unternehme­n Digitalisi­erungsexpe­rten eingestell­t oder planen dies.

Wichtigste Ziele all dieser Maßnahmen sind der Umfrage zufolge gleicherma­ßen, die Arbeitsfäh­igkeit des eigenen Unternehme­ns in der Pandemie sicherzust­ellen (96 Prozent) und besser auf künftige Krisen vorbereite­t zu sein (96 Prozent). Fast jedes zweite Unternehme­n plant demnach, das eigene Unternehme­n nachhaltig zu digitalisi­eren, um sich so neue Geschäftsf­elder zu erschließe­n. Auch Zeppelin-Chef Peter Gerstmann glaubt, dass die digitale Unternehme­nskommunik­ation nach der Pandemie zu einem großen Teil bestehen bleiben wird. Das ist wohl auch deshalb der Fall, weil die digitale Kommunikat­ion meist günstiger ist. Kostete das analoge ZeppelinMa­nagertreff­en mit Anreise und Hotelkoste­n rund eine halbe Million Euro, sind es bei dem diesjährig­en digitalen Treffen – trotz extra aufgebaute­m Fernsehstu­dio – nur noch rund 120 000 Euro.

Doch nur für große Unternehme­n wie Zeppelin oder ZF sind diese Summen überhaupt zu stemmen. Laut Bitcom-Umfrage haben nur zehn Prozent der Unternehme­n mit unter 100 Mitarbeite­rn ihre Investitio­nen in Digitalisi­erung stark erhöht, während Unternehme­n mit mehr als 2000 Mitarbeite­rn deutlich öfter angaben, stark in Digitalisi­erung investiert zu haben.

Hintergrun­d sind in der Regel fehlende finanziell­e Mittel oder fehlendes Personal bei den kleineren Unternehme­n. Berg: „Es besteht die Gefahr, dass der Digitalisi­erungsschu­b durch Corona zu einer noch tieferen Spaltung in der deutschen Wirtschaft führt: In Unternehme­n, die weitgehend im Analogen verharren, und in Unternehme­n, die bei der Digitalisi­erung mit Tempo vorangehen.“Zeppelin will dabei definitiv zu den letzteren gehören. „Früher waren digitale Formate nur ein Zusatz, heute sind sie das neue Normal“, sagt Gerstmann. Beim digitalen Wettlauf ist keine Zeit zu verlieren.

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FOTO: HELENA GOLZ Zeppelin-Chef Peter Gerstmann beim digitalen Managermee­ting auf dem Gelände der Messe Friedrichs­hafen: „Früher waren digitale Formate nur ein Zusatz, heute sind sie das neue Normal.“
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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ZF-Chef Wolf-Henning Scheider spricht im neu eingericht­eten unternehme­nseigenen TV-Studio.

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