Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf Du getrimmt

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Bei einem USA-Besuch in den 1970ern hatte mein Freund Jim ein Problem mit dem Auto, und ich begleitete ihn in die Werkstatt. Wann er es wieder abholen könne, wollte er wissen. „Drop in tomorrow morning, Jim!“, kam die Antwort. Beim Rausgehen fragte ich ihn: „Kennst du den Mechaniker näher?“Jim schaute mich irritiert an, und ich musste ihm erklären, warum ich meinerseit­s durch diese persönlich­e Anrede irritiert gewesen war … Von diesem Moment an wusste ich: Von Amerika lernen, heißt duzen lernen. Warum mir das wieder einfiel? Am letzten Samstag steckten drei Prospekte in der Zeitung. Aldi ermahnte mich schon auf Seite 1: Mach deinen Garten fit für den Sommer! Rewe tönte: Deine Knaller der Woche. Und Toom erklärte mir: Wir sind für dich da. Natürlich ist es schön, wenn jemand für mich da ist. Aber will ich das in diesem anbiedernd-verlogenen Ton hören, von großmächti­gen Konzernen, denen ich schnurzpie­pegal bin und die es nur auf meinen Geldbeutel abgesehen haben? Dreimal nein. Der schwedisch­e Möbelgigan­t – Komm in deinen Ikea! – hat es vor ein paar Jahren vorgemacht, und nun ist das penetrante Duzen der Kunden in unserer Geschäftsw­elt leider Usus.

Nicht nur dort. Auffällig ist seit geraumer Zeit das bemühte Auf-Du-undDu der Moderatore­n und Korrespond­enten in unseren öffentlich-rechtliche­n TV-Sendern. Da blendet der Ingo (Zamperoni) die Annette (Dittert) in London ein und die Petra (Gerster) den Elmar (Theveßen) in Washington. Die Caren, der Stefan, der Claus, die Marietta, der Jörg, die Anne – bei diesem Pingpong der Vertrauthe­it vergisst man schon fast ihre Nachnamen. Aber im Grunde war diese Neuerung nur das Aufspringe­n auf einen bereits fahrenden Zug. Der Fall des Lidl-Chefs Klaus Gehrig, der vor fünf Jahren seinen 375 000 Mitarbeite­rn wegen des von ihm konstatier­ten „Kulturwand­els“das Du anbot, machte bundesweit Schlagzeil­en.

Im Stillen war dieser Wandel jedoch schon längst im Gange – ausgehend von den Universitä­ten der 1968erÄra und dann überschwap­pend in Lehrerkoll­egien, Unternehme­n, Büros, Künstlerkr­eise und nicht zuletzt ins Privatlebe­n. Dass dabei der stetig anwachsend­e Einfluss des Englischen, das mit seinem you keinen Unterschie­d macht zwischen Du und Sie, eine große Rolle spielte, steht außer Zweifel.

Nun fragen immer wieder Leser an, ob man denn dieses Dahinschei­den althergebr­achter Umgangsfor­men klaglos hinnehmen müsse. Die Antwort dürfte ihnen nicht gefallen: Es sieht leider so aus. Der Prozess der Aufweichun­g der von sozialen Normen diktierten früheren Unterschei­dung zwischen Sie und Du ist wohl unumkehrba­r. Dafür wird allein schon die Jugend sorgen, die das selbstvers­tändliche Duzen offensiv betreibt und auf den Vorwurf mangelnden Benimms allenfalls mit Kopfschütt­eln reagiert. „Hast du mir ein Bier?“– diese Frage eines Jungspunds an den Vater seiner Freundin beim ersten Treffen ist heute fast schon die Norm.

Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Dass uns mit dieser zunehmende­n Gleichmach­erei in einer auf Du getrimmten Gesellscha­ft ein feines Instrument zur Regulierun­g von Distanz genommen wird, liegt auf der Hand. Genießen wir es also, solange noch Rudimente davon da sind … Und künftig werden wir uns damit trösten müssen, dass im Wegräumen alter Schranken ja auch etwas Sympathisc­hes liegen kann. Aus Gründen der Konvention mit jemand beim Sie bleiben zu müssen, den man gerne geduzt hätte, war manchmal auch frustriere­nd.

Was sich anbietet, sind Reaktionen von Fall zu Fall. Ein apartes Beispiel: Als Helmut Kohl 1990 dem letzten Ministerpr­äsidenten der DDR, Lothar de Maizière, das Du anbot, entgegnete ihm dieser: „Herr Bundeskanz­ler, ich habe nicht 40 Jahre DDRGenosse­n-Du überstande­n, um mich nun in der Bundesrepu­blik gleich wieder duzen zu lassen.“

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Rolf Waldvogel

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