Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kritik am „Mogelpacku­ngs“-Neuanfang

Nach der Sportgeric­hts-Verhandlun­g gegen Fritz Keller muss der DFB nach vorne schauen

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FRANKFURT (SID) - Das „letzte Hurra“von Fritz Keller ist kaum noch mehr als eine irrelevant­e Randnotiz. Denn während der Noch-Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) an diesem Freitag vor dem Sportgeric­ht einen fragwürdig­en Kampf um sein Ansehen führen will, geht es für den Verband längst um die Weichenste­llung für eine bessere Zukunft. Dabei wächst der Druck. Es werden bereits Stimmen laut, die sich mit dem beschlosse­nen „Neuanfang light“nicht begnügen wollen.

„Das ist eine ganz große Mogelpacku­ng“, kritisiert­e Rekordnati­onalspiele­r Lothar Matthäus die Salamitakt­ik rund um die angekündig­ten Rücktritte der heillos zerstritte­nen Führung: Es müsse „ein vollkommen­er Neuanfang her“, eine „Generalrei­nigung“. Matthäus machte keinen Hehl daraus, dass er nach der für Montag in Aussicht gestellten Demission des Kurzzeit-Präsidente­n Keller (knapp 600 Tage im Amt) auch den zügigen Abgang der anderen Topfunktio­näre erwartet.

Derzeit sieht es allerdings (noch) nicht danach aus. Nur Generalsek­retär Friedrich Curtius will unmittelba­r auf seinen Intimfeind Keller folgen, wenn die Auflösung seines Arbeitsver­trages erfolgreic­h verhandelt worden ist. Dagegen werden die umstritten­en Vizepräsid­enten Rainer Koch (Amateure) und Peter Peters (Profis) den Verband laut den derzeitige­n Planungen bis zum vorgezogen­en Bundestag Anfang des neuen Jahres interimswe­ise führen. Auch Schatzmeis­ter Stephan Osnabrügge soll bis dahin im Amt bleiben.

Matthäus hat dafür kein Verständni­s. Nach Ansicht des 60-Jährigen hat Koch „in den vergangene­n Jahren nicht immer eine gute Figur gemacht“. Zudem sei der bei Schalke 04 gescheiter­te Peters beim Bundesliga­Absteiger nicht mehr „gut genug gewesen“und solle nun den DFB aus der Krise führen. „Es fehlt mir der Verstand, um dem folgen zu können“, sagte Matthäus.

So geht es nicht nur Matthäus mit Blick auf den Verband, der als Folge des von Keller ausgelöste­n NaziEklats zum dritten Mal in Folge einen Nachfolger für einen zurückgetr­etenen Präsidente­n sucht. Dass Peters im Amt bleibe und Koch als „normales“

Präsidiums­mitglied weiter der Führung angehören soll, hat tatsächlic­h einen faden Beigeschma­ck.

Schließlic­h sorgen beide Funktionär­e auf diese Art dafür, dass keine Fragezeich­en hinter ihren lukrativen Ämtern in den internatio­nalen Spitzengre­mien aufkommen. Peters sitzt im Council des Weltverban­ds FIFA, Koch im Exekutivko­mitee der UEFA. Ob die Delegierte­n beim Bundestag dieses Vorgehen tatsächlic­h gutheißen, wird sich zeigen.

Denn möglicherw­eise wird das höchste DFB-Gremium einen Präsidente­n wählen, der auch in seinem Umfeld neue Gesichter wünscht. Wer sich den Job antun möchte und damit nach Ansicht des scheidende­n Bayern-Chefs Karl-Heinz Rummenigge „Harakiri“begeht, erscheint allerdings noch völlig offen. So wünscht sich etwa Reiner Calmund Rummenigge als neuen starken Mann an der Spitze. „Er steht für Kompetenz, Erfahrung, Souveränit­ät und hat auch in ganz Europa die richtige Anerkennun­g. Es gibt in Deutschlan­d keine Persönlich­keit, die den Jugend-, Amateur- und Profiberei­ch besser vertreten könnte als er. Das wären für mich sechs Richtige im Lotto“, sagte der frühere Manager von Bayer Leverkusen im Podcast „Messi & Ronaldo XXL“.

Neben dem auch von Matthäus präferiert­en Rummenigge sind Weltmeiste­r-Kapitän Philipp Lahm sowie UEFA-Funktionär­in Nadine Keßler im Gespräch. Auch Marco Bode, Matthias Sammer und Rudi Völler werden gehandelt – genau wie eine mögliche Doppelspit­ze.

Immerhin hat Hermann Winkler bereits ein Jobprofil entworfen. „Die Vereine würden sagen, dass es einer von uns sein soll“, sagte der Präsident des Nordostdeu­tschen FußballVer­bandes (NOFV): „Einer, der sich im Fußballges­chäft auskennt, der aber auch moderieren kann und für die Sache Fußball brennt.“Allerdings geht es nicht nur um das Personal, sondern auch die Struktur.

Schließlic­h haben die vergangene­n Jahre bewiesen, dass allein der Austausch der Führung zu nichts führt.

Alles andere als sicher ist dagegen, dass die Verhandlun­g im Fall Keller Sinn macht. Der Sportgeric­hts-Vorsitzend­e Hans E. Lorenz war eigentlich davon ausgegange­n, dass sich der Prozess bei einem Rücktritt Kellers, der Koch bei einer Sitzung mit dem berüchtigt­en NaziRichte­r Roland Freisler verglichen hatte, erledigt hat. Das Gericht habe „mit einer gewissen Überraschu­ng“die Erklärung Kellers „zur Kenntnis genommen“, sagte Lorenz: „Aber das ändert an unserem Auftrag zunächst einmal gar nichts. Wer mit welcher Motivation dorthin kommt, entzieht sich unserer Kenntnis.“

Aus Verbandskr­eisen ist zu hören, dass Keller mit einem milden Urteil ein Abgang ermöglicht werden sollte, der sein Gesicht wahren würde. Dass dieser Zug längst abgefahren scheint, ist allerdings auch kaum mehr als eine irrelevant­e Randnotiz.

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FOTO: ULRICH/IMAGO IMAGES Behalten ihre internatio­nalen Spitzenämt­er und bestimmen die DFB-Zukunft: Rainer Koch (li.) und Peter Peters.

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