Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Scheitern ist kein Beinbruch
Dass wir als Menschen allzu oft scheitern, liegt ja nur daran, dass wir uns dauernd zu viel vornehmen. Wären wir klug genug, uns nicht so viel aufzubürden, wir würden praktisch nur noch Erfolge feiern. Wenn wir also morgens nach dem Aufstehen nicht auch noch den Entschluss fassten, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen – das Zähneputzen wäre uns bereits ein großartiger Sieg, der nur noch vom anstehenden Frühstück getoppt würde. Irgendwann mal, und nicht eben pünktlich, in der Firma einzuspazieren fühlte sich dann nicht wie Versagen an.
Und während wir dem Vorgesetzten ermutigend ins Antlitz grinsten, schallte er noch in Gedanken, der Satz des Tragödienschreibers Sophokles: „Gerades Scheitern steht höher als ein krummer Sieg.“
Schnurgerade gescheitert sind schon eine Menge Persönlichkeiten. Etwa berühmte Sitzenbleiber. Unter ihnen zu nennen wäre Thomas Mann, der im Gymnasium aufgrund zweier Ehrenrunden nicht eben die hellste Kerze auf der Torte gewesen sein kann. Dass er als unsterbliche Klassenlektüre einstmals an sämtliche Schularten außer den Baumschulen
zurückkehren würde, ahnte der künftige Literatur-Nobelpreisträger selbst am wenigsten.
Ein ehemaliger bayerischer Ministerpräsident blieb in der siebten Klasse sitzen. Nicht wegen des Fachs Deutsch, sondern es gebrach am Lateinischen. Wer nun also Edmund Stoibers berühmten Reden vor diesem Hintergrund lauscht, kann sich glücklich schätzen, dass er sie nicht auf Latein vorgetragen hat. Jedenfalls zeigen Mann und Stoiber: Scheitern ist kein Beinbruch. (nyf)