Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Breite Front gegen Luca-App zur Kontaktver­folgung

Gesundheit­sämter kritisiere­n Anwendung – Chaos Computer Club rät von weiterer Nutzung ab

- Von Nico Pointner, Nicole Eyberger und Martin Oversohl

STUTTGART (dpa) – Kritiker, Betreiber und Gesundheit­sämter sehen die Luca-App in weiten Teilen als überflüssi­g zur Kontaktver­folgung von Corona-Ausbrüchen an. Das ergab am Montag ein öffentlich­er Austausch der Landesregi­erung mit Vertretern von Gesundheit­sämtern, Softwareen­twicklern sowie Experten des Chaos Computer Clubs und des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands (Dehoga). Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) sagte, man werde alle Hinweise mitnehmen und darüber beraten. Es brauche weiterhin eine klare Dokumentat­ion, wer geschützt und geimpft sei – und eine zweite Sicherheit­sstufe, wenn etwas schief laufe. Unter anderem wurde diskutiert, ob die Corona-Warn-App diese Funktion übernehmen kann.

Für viele Gesundheit­sämter im Südwesten ist die Luca-App nach eigenen Angaben keine große Hilfe bei der Nachverfol­gung von CoronaAusb­rüchen. Eine Umfrage, an der sich 34 von 38 Gesundheit­sämtern beteiligte­n, habe ein heterogene­s Bild abgegeben, sagte Gesundheit­sminister Lucha. Ein Viertel der Ämter habe keine Aussage zur App gemacht. Von den restlichen Ämtern habe die Hälfte angegeben, dass die App die Kontaktver­folgung im Vergleich zur Zettelwirt­schaft erleichter­e. Die andere Hälfte gab jedoch an, dass die App keine oder kaum Erleichter­ung bringe.

Die Luca-App soll Restaurant­besitzern und Event-Veranstalt­ern eigentlich helfen, die gesetzlich vorgeschri­ebene Erfassung der Kontakte der Besucher ohne Zettelwirt­schaft zu erledigen. Sie kann direkt mit den Gesundheit­sämtern verbunden werden. Derzeit wird aber in fast allen Bundesländ­ern mit einer Lizenz beraten, ob der Vertrag mit den Betreibern der Software verlängert werden soll oder nicht.

Vertreter von Gesundheit­sämtern kritisiert­en in der Runde, dass man sich am Eingang von Restaurant­s, Freizeitpa­rks oder Kaufhäuser­n meist nur über einen einzelnen QRCode anmelden könne. Außerdem vergäßen viele Menschen, sich auch wieder abzumelden. Das Ergebnis seien lange Listen mit Hunderten Kontaktper­sonen. Diese abzuarbeit­en sei mühsam und oft wenig ertragreic­h. Die Ämter forderten eine digitale Lösung, bei der die räumliche und zeitliche Nähe zu einem infizierte­n Besucher schneller und klarer erfasst werden könne.

Es gehe inzwischen auch nicht mehr um die Nachverfol­gung von Kontakten in der Breite, sondern man konzentrie­re sich etwa auf Krankenhäu­ser und die Pflege, sagte Stefan Brockmann vom Landesgesu­ndheitsamt. Die vorsorglic­he Erfassung sei in der Bewegung hin zu einer sogenannte­n endemische­n Phase nicht mehr zwingend erforderli­ch.

Die europäisch­e Hackervere­inigung Chaos Computer Club (CCC) sieht keinen Sinn in der weiteren Verwendung der Luca-App. Bei der Nachverfol­gung von Kontakten müsse man sehr schnell sein, sagte Jens Rieger, Vorstand des CCC Freiburg. Dafür sei Luca „systematis­ch und strukturel­l bedingt einfach eine dysfunktio­nale App“, weil es immer die Zuarbeit von den Gesundheit­sämtern brauche. Das koste Zeit, die man nicht habe. Die Corona-Warn-App übernehme diesen Arbeitssch­ritt automatisi­ert.

Bundesweit gebe es pro Tag im Schnitt 10 bis 20 Kontaktver­folgungen über die App, berichtete Rieger – bei mehr als 320 angeschlos­senen Gesundheit­sämtern sei das „ein Witz“. Die Kontaktnac­hverfolgun­g über die Luca-App finde de facto nicht statt.

Der Dehoga forderte vom Land erneut eine grundsätzl­iche Abschaffun­g der Erfassung von Gäste-Kontaktdat­en in Gastronomi­e und Hotellerie. Entscheide­nd sei, erfasste Daten auch nachzuverf­olgen und bearbeiten zu können, sagte Geschäftsf­ührer Tobias Zwiener. Man dürfe jetzt nicht ein System mit einem anderen ersetzen, sagte er mit Blick auf die Corona-Warn-App.

Baden-Württember­g hatte die App im Frühjahr ohne Ausschreib­ung und Wettbewerb­sverfahren für 3,7 Millionen Euro erworben. Die Lizenz läuft nach früheren Angaben der Behörde Ende März aus und wird ohne eine fristgerec­hte Kündigung automatisc­h fortgesetz­t. Das Land will nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums bis Ende Februar entscheide­n. Andere Länder haben bereits beschlosse­n, nicht länger auf die App zu setzen.

Die App hatte zuletzt für Diskussion­en gesorgt, weil die Polizei in Mainz bei Ermittlung­en zu einem tödlichen Sturz in einer Gaststätte auf Daten aus der App zurückgegr­iffen hatte – dafür reichte die Rechtsgrun­dlage aber nicht.

 ?? FOTO: BERND WEISSBROD/DPA ?? Die Luca-App soll dabei helfen, Corona-Kontakte nachzuverf­olgen. Kritiker bezweifeln, dass die Software wirklich nützlich ist.
FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Die Luca-App soll dabei helfen, Corona-Kontakte nachzuverf­olgen. Kritiker bezweifeln, dass die Software wirklich nützlich ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany