Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Breite Front gegen Luca-App zur Kontaktverfolgung
Gesundheitsämter kritisieren Anwendung – Chaos Computer Club rät von weiterer Nutzung ab
STUTTGART (dpa) – Kritiker, Betreiber und Gesundheitsämter sehen die Luca-App in weiten Teilen als überflüssig zur Kontaktverfolgung von Corona-Ausbrüchen an. Das ergab am Montag ein öffentlicher Austausch der Landesregierung mit Vertretern von Gesundheitsämtern, Softwareentwicklern sowie Experten des Chaos Computer Clubs und des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) sagte, man werde alle Hinweise mitnehmen und darüber beraten. Es brauche weiterhin eine klare Dokumentation, wer geschützt und geimpft sei – und eine zweite Sicherheitsstufe, wenn etwas schief laufe. Unter anderem wurde diskutiert, ob die Corona-Warn-App diese Funktion übernehmen kann.
Für viele Gesundheitsämter im Südwesten ist die Luca-App nach eigenen Angaben keine große Hilfe bei der Nachverfolgung von CoronaAusbrüchen. Eine Umfrage, an der sich 34 von 38 Gesundheitsämtern beteiligten, habe ein heterogenes Bild abgegeben, sagte Gesundheitsminister Lucha. Ein Viertel der Ämter habe keine Aussage zur App gemacht. Von den restlichen Ämtern habe die Hälfte angegeben, dass die App die Kontaktverfolgung im Vergleich zur Zettelwirtschaft erleichtere. Die andere Hälfte gab jedoch an, dass die App keine oder kaum Erleichterung bringe.
Die Luca-App soll Restaurantbesitzern und Event-Veranstaltern eigentlich helfen, die gesetzlich vorgeschriebene Erfassung der Kontakte der Besucher ohne Zettelwirtschaft zu erledigen. Sie kann direkt mit den Gesundheitsämtern verbunden werden. Derzeit wird aber in fast allen Bundesländern mit einer Lizenz beraten, ob der Vertrag mit den Betreibern der Software verlängert werden soll oder nicht.
Vertreter von Gesundheitsämtern kritisierten in der Runde, dass man sich am Eingang von Restaurants, Freizeitparks oder Kaufhäusern meist nur über einen einzelnen QRCode anmelden könne. Außerdem vergäßen viele Menschen, sich auch wieder abzumelden. Das Ergebnis seien lange Listen mit Hunderten Kontaktpersonen. Diese abzuarbeiten sei mühsam und oft wenig ertragreich. Die Ämter forderten eine digitale Lösung, bei der die räumliche und zeitliche Nähe zu einem infizierten Besucher schneller und klarer erfasst werden könne.
Es gehe inzwischen auch nicht mehr um die Nachverfolgung von Kontakten in der Breite, sondern man konzentriere sich etwa auf Krankenhäuser und die Pflege, sagte Stefan Brockmann vom Landesgesundheitsamt. Die vorsorgliche Erfassung sei in der Bewegung hin zu einer sogenannten endemischen Phase nicht mehr zwingend erforderlich.
Die europäische Hackervereinigung Chaos Computer Club (CCC) sieht keinen Sinn in der weiteren Verwendung der Luca-App. Bei der Nachverfolgung von Kontakten müsse man sehr schnell sein, sagte Jens Rieger, Vorstand des CCC Freiburg. Dafür sei Luca „systematisch und strukturell bedingt einfach eine dysfunktionale App“, weil es immer die Zuarbeit von den Gesundheitsämtern brauche. Das koste Zeit, die man nicht habe. Die Corona-Warn-App übernehme diesen Arbeitsschritt automatisiert.
Bundesweit gebe es pro Tag im Schnitt 10 bis 20 Kontaktverfolgungen über die App, berichtete Rieger – bei mehr als 320 angeschlossenen Gesundheitsämtern sei das „ein Witz“. Die Kontaktnachverfolgung über die Luca-App finde de facto nicht statt.
Der Dehoga forderte vom Land erneut eine grundsätzliche Abschaffung der Erfassung von Gäste-Kontaktdaten in Gastronomie und Hotellerie. Entscheidend sei, erfasste Daten auch nachzuverfolgen und bearbeiten zu können, sagte Geschäftsführer Tobias Zwiener. Man dürfe jetzt nicht ein System mit einem anderen ersetzen, sagte er mit Blick auf die Corona-Warn-App.
Baden-Württemberg hatte die App im Frühjahr ohne Ausschreibung und Wettbewerbsverfahren für 3,7 Millionen Euro erworben. Die Lizenz läuft nach früheren Angaben der Behörde Ende März aus und wird ohne eine fristgerechte Kündigung automatisch fortgesetzt. Das Land will nach Angaben des Gesundheitsministeriums bis Ende Februar entscheiden. Andere Länder haben bereits beschlossen, nicht länger auf die App zu setzen.
Die App hatte zuletzt für Diskussionen gesorgt, weil die Polizei in Mainz bei Ermittlungen zu einem tödlichen Sturz in einer Gaststätte auf Daten aus der App zurückgegriffen hatte – dafür reichte die Rechtsgrundlage aber nicht.