Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Rollstühle mit den Augen steuern
Auf der Medizintechnikmesse Arab Health zeigen baden-württembergische Unternehmen ihre Innovationen
DUBAI - Jochen Nisi sitzt in einem Rollstuhl. Für den Außenstehenden nicht wahrnehmbar, blickt der Unternehmer hinter einer unscheinbaren Brille kurz nach links, dann nach rechts und wieder nach links. Ein akustisches Signal ertönt und mit einem kurzen Blick nach oben setzt sich der Rollstuhl in Bewegung. Ein Blick nach links und der Rollstuhl fährt nach links, ein Blick nach rechts und der Rollstuhl fährt nach rechts. Ein Blick nach unten und das Gefährt samt Fahrer kommen zum Stillstand.
„Wir steuern den Rollstuhl über die Pupillenbewegungen“, erklärt Nisi vom Medizintechnikanbieter Homebrace aus Urbach, eine Gemeinde im Remstal, östlich von Stuttgart. Eine Kamera, die in der Brille montiert ist, nimmt jede Bewegung des dahinter sitzenden Auges auf, 60 Mal in der Sekunde, sendet sie an eine Rechnereinheit die wiederum den Rollstuhl steuert. Weltweit gebe es nichts Vergleichbares, werben Nisi und sein Partner Thomas Rosner für ihr Produkt, das vor allem ALS-Patienten das Leben erleichtern soll, und für das sie hoffen, in Dubai Kunden zu begeistern.
Nisi und Rosner sind Aussteller auf der Arab Health, einer der weltgrößten Medizintechnik- und Gesundheitsmessen, die jährlich in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindet. Und sie sind nicht die einzigen Gäste aus dem für Baden-Württemberg so wichtigen Medizintechniksektor. Doch anders als Branchenschwergewichte wie der Tuttlinger Endoskopspezialist Karl Storz, der die Kundschaft mit einem eigenen Messestand von seinen Produkten überzeugen will, oder Aesculap, die bei der Konzernmutter B. Braun unterkommen, kann sich Homebrace einen eigenen Auftritt auf der Arab Health nicht leisten. Sie präsentieren sich in Halle 3 des riesigen Messegeländes unter dem gelbschwarzen Label „The Länd“– auf dem Gemeinschaftsstand des Landes Baden-Württemberg.
„Wir geben dieses Jahr 36 Unternehmen aus dem Südwesten die Möglichkeit, sich auf der Leitmesse Arab Health potenziellen Kunden zu präsentieren“, sagt Christian Herzog, Geschäftsführer von BW-International, einer landeseigenen Gesellschaft, die Unternehmen aus Baden-Württemberg bei allen Fragen rund um die Internationalisierung ihres Geschäfts und der Ansiedlungen
in neuen Märkten unterstützt. Es hätten deutlich mehr sein können. Von 70 Unternehmen, die gerne dabei gewesen wären, berichtet Herzog. Doch ein der Pandemie geschuldetes strikteres Messekonzept, das weniger Aussteller zuließ, verhinderte das.
Zum wiederholten Mal dabei in Dubai ist Jens Reichenbach, Vizepräsident des mittelständischen Medizintechnikerstellers Greiner aus Pleidelsheim im Landkreis Ludwigsburg. Das Familienunternehmen fertigt OP-Stühle, -Liegen und -Hocker und feiert in diesem Jahr sein 100jähriges Bestehen. Rund 20 Millionen Euro setzt Greiner jährlich um mit Wachstumsraten von 20 Prozent – getrieben vor allem vom Erfolg in den arabischen und asiatischen Märkten, für die die Arab Health das Tor ist. Rund 70 Prozent der Erlöse kommen inzwischen von außerhalb Deutschlands. Reichenbach sagt: „Ohne das Engagement von BW-International hätten wir dieses Wachstum nicht erreichen können“. Für Greiner sind die über die Arab Health neu erschlossenen Märkte auch deshalb so wichtig, weil die Kundschaft deutlich weniger „preisfixiert“ist als im Westen. Oftmals ist das teuerste Produkt gerade gut genug, sagt Reichenbach.
Auf eine solche Erfolgsgeschichte hofft auch Marius Buchta, Vertriebschef des Emminger Medizintechnikherstellers Medical Bees. Mit zwei weiteren Unternehmen aus dem Tuttlinger Raum teilt sich Buchta einen Messestand.
Ausgestellt sind chirurgische Instrumente wie Kopfhalterungen für schwierige Eingriffe am menschlichen Gehirn, oder Wundspreizer, die das Unternehmen am Stammsitz in Emmingen bei Tuttlingen herstellt. Die größere Sichtbarkeit von kleineren Unternehmen wie Medical Bees unter dem Schirm von BW-International und Messekosten, die zu schultern seien, seien die Vorteile, sagt Buchta. Auch für ihn ist klar: Um von den Wachstumsmärkten der Region zu profitieren, muss man auf der Arab Health Flagge zeigen. Das gleiche Motiv hat auch Jan Dinkelmann, Geschäftsführer des Tuttlinger Medizintechnik-Großhändlers ProMed nach Dubai getrieben. Er gesteht aber auch ein: Messen sind Marathons. Man müsse länger dranbleiben, dass sich aus dem Messeauftritt auch ein messbarer wirtschaftlicher
Erfolg einstelle. Unter dem Strich lohnt sich das Engagement für die Unternehmen. „Umfragen bei den beteiligten Unternehmen im Nachgang der Messe bestätigen uns das“, sagt Herzog von BW-International. Viele Teilnehmer kommen mit konkreten Geschäftsabschlüssen zurück nach Baden-Württemberg. Gut angelegte Steuergelder möchte man meinen, die kleinen und mittelständischen Unternehmen aus dem Südwesten eine Eintrittskarte für den Weltmarkt bieten und so Arbeitsplätze in Deutschland sichern.
Darauf hoffen auch Jochen Nisi und Thomas Rosner von Homebrace. Rund 150 ihrer Rollstuhlsysteme haben die beiden in Deutschland bereits verkauft – auch, weil die Krankenkassen die nicht unerheblichen Kosten von 25 000 Euro übernehmen. Für die Unternehmer ein Beweis, dass sie mit ihrem Produkt auf dem richtigen Weg sind, dass es einen Markt für ihre augengesteuerte Rollstühle gibt. Diesen Markt wollen sie nun auch außerhalb Deutschlands erschließen. Der Messeauftritt in Dubai soll der Türöffner sein.