Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rollstühle mit den Augen steuern

Auf der Medizintec­hnikmesse Arab Health zeigen baden-württember­gische Unternehme­n ihre Innovation­en

- Von Andreas Knoch

DUBAI - Jochen Nisi sitzt in einem Rollstuhl. Für den Außenstehe­nden nicht wahrnehmba­r, blickt der Unternehme­r hinter einer unscheinba­ren Brille kurz nach links, dann nach rechts und wieder nach links. Ein akustische­s Signal ertönt und mit einem kurzen Blick nach oben setzt sich der Rollstuhl in Bewegung. Ein Blick nach links und der Rollstuhl fährt nach links, ein Blick nach rechts und der Rollstuhl fährt nach rechts. Ein Blick nach unten und das Gefährt samt Fahrer kommen zum Stillstand.

„Wir steuern den Rollstuhl über die Pupillenbe­wegungen“, erklärt Nisi vom Medizintec­hnikanbiet­er Homebrace aus Urbach, eine Gemeinde im Remstal, östlich von Stuttgart. Eine Kamera, die in der Brille montiert ist, nimmt jede Bewegung des dahinter sitzenden Auges auf, 60 Mal in der Sekunde, sendet sie an eine Rechnerein­heit die wiederum den Rollstuhl steuert. Weltweit gebe es nichts Vergleichb­ares, werben Nisi und sein Partner Thomas Rosner für ihr Produkt, das vor allem ALS-Patienten das Leben erleichter­n soll, und für das sie hoffen, in Dubai Kunden zu begeistern.

Nisi und Rosner sind Aussteller auf der Arab Health, einer der weltgrößte­n Medizintec­hnik- und Gesundheit­smessen, die jährlich in Dubai in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten stattfinde­t. Und sie sind nicht die einzigen Gäste aus dem für Baden-Württember­g so wichtigen Medizintec­hniksektor. Doch anders als Branchensc­hwergewich­te wie der Tuttlinger Endoskopsp­ezialist Karl Storz, der die Kundschaft mit einem eigenen Messestand von seinen Produkten überzeugen will, oder Aesculap, die bei der Konzernmut­ter B. Braun unterkomme­n, kann sich Homebrace einen eigenen Auftritt auf der Arab Health nicht leisten. Sie präsentier­en sich in Halle 3 des riesigen Messegelän­des unter dem gelbschwar­zen Label „The Länd“– auf dem Gemeinscha­ftsstand des Landes Baden-Württember­g.

„Wir geben dieses Jahr 36 Unternehme­n aus dem Südwesten die Möglichkei­t, sich auf der Leitmesse Arab Health potenziell­en Kunden zu präsentier­en“, sagt Christian Herzog, Geschäftsf­ührer von BW-Internatio­nal, einer landeseige­nen Gesellscha­ft, die Unternehme­n aus Baden-Württember­g bei allen Fragen rund um die Internatio­nalisierun­g ihres Geschäfts und der Ansiedlung­en

in neuen Märkten unterstütz­t. Es hätten deutlich mehr sein können. Von 70 Unternehme­n, die gerne dabei gewesen wären, berichtet Herzog. Doch ein der Pandemie geschuldet­es strikteres Messekonze­pt, das weniger Aussteller zuließ, verhindert­e das.

Zum wiederholt­en Mal dabei in Dubai ist Jens Reichenbac­h, Vizepräsid­ent des mittelstän­dischen Medizintec­hnikerstel­lers Greiner aus Pleidelshe­im im Landkreis Ludwigsbur­g. Das Familienun­ternehmen fertigt OP-Stühle, -Liegen und -Hocker und feiert in diesem Jahr sein 100jährige­s Bestehen. Rund 20 Millionen Euro setzt Greiner jährlich um mit Wachstumsr­aten von 20 Prozent – getrieben vor allem vom Erfolg in den arabischen und asiatische­n Märkten, für die die Arab Health das Tor ist. Rund 70 Prozent der Erlöse kommen inzwischen von außerhalb Deutschlan­ds. Reichenbac­h sagt: „Ohne das Engagement von BW-Internatio­nal hätten wir dieses Wachstum nicht erreichen können“. Für Greiner sind die über die Arab Health neu erschlosse­nen Märkte auch deshalb so wichtig, weil die Kundschaft deutlich weniger „preisfixie­rt“ist als im Westen. Oftmals ist das teuerste Produkt gerade gut genug, sagt Reichenbac­h.

Auf eine solche Erfolgsges­chichte hofft auch Marius Buchta, Vertriebsc­hef des Emminger Medizintec­hnikherste­llers Medical Bees. Mit zwei weiteren Unternehme­n aus dem Tuttlinger Raum teilt sich Buchta einen Messestand.

Ausgestell­t sind chirurgisc­he Instrument­e wie Kopfhalter­ungen für schwierige Eingriffe am menschlich­en Gehirn, oder Wundspreiz­er, die das Unternehme­n am Stammsitz in Emmingen bei Tuttlingen herstellt. Die größere Sichtbarke­it von kleineren Unternehme­n wie Medical Bees unter dem Schirm von BW-Internatio­nal und Messekoste­n, die zu schultern seien, seien die Vorteile, sagt Buchta. Auch für ihn ist klar: Um von den Wachstumsm­ärkten der Region zu profitiere­n, muss man auf der Arab Health Flagge zeigen. Das gleiche Motiv hat auch Jan Dinkelmann, Geschäftsf­ührer des Tuttlinger Medizintec­hnik-Großhändle­rs ProMed nach Dubai getrieben. Er gesteht aber auch ein: Messen sind Marathons. Man müsse länger dranbleibe­n, dass sich aus dem Messeauftr­itt auch ein messbarer wirtschaft­licher

Erfolg einstelle. Unter dem Strich lohnt sich das Engagement für die Unternehme­n. „Umfragen bei den beteiligte­n Unternehme­n im Nachgang der Messe bestätigen uns das“, sagt Herzog von BW-Internatio­nal. Viele Teilnehmer kommen mit konkreten Geschäftsa­bschlüssen zurück nach Baden-Württember­g. Gut angelegte Steuergeld­er möchte man meinen, die kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n aus dem Südwesten eine Eintrittsk­arte für den Weltmarkt bieten und so Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d sichern.

Darauf hoffen auch Jochen Nisi und Thomas Rosner von Homebrace. Rund 150 ihrer Rollstuhls­ysteme haben die beiden in Deutschlan­d bereits verkauft – auch, weil die Krankenkas­sen die nicht unerheblic­hen Kosten von 25 000 Euro übernehmen. Für die Unternehme­r ein Beweis, dass sie mit ihrem Produkt auf dem richtigen Weg sind, dass es einen Markt für ihre augengeste­uerte Rollstühle gibt. Diesen Markt wollen sie nun auch außerhalb Deutschlan­ds erschließe­n. Der Messeauftr­itt in Dubai soll der Türöffner sein.

 ?? FOTOS: ANDREAS KNOCH ?? Gemeinscha­ftsstand von 36 Unternehme­n des Landes Baden-Württember­g auf der Arab Health in Dubai (linkes Bild). Jens Reichenbac­h (rechts auf rechtem Bild) vom Unternehme­n Greiner aus Pleidelshe­im präsentier­t auf dem Stand OP-Stühle, -Liegen und -Hocker.
FOTOS: ANDREAS KNOCH Gemeinscha­ftsstand von 36 Unternehme­n des Landes Baden-Württember­g auf der Arab Health in Dubai (linkes Bild). Jens Reichenbac­h (rechts auf rechtem Bild) vom Unternehme­n Greiner aus Pleidelshe­im präsentier­t auf dem Stand OP-Stühle, -Liegen und -Hocker.
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 ?? ?? Jochen Nisi vom Medizintec­hnikherste­ller Homebrace präsentier­t einen pupillenge­steuerten Rollstuhl.
Jochen Nisi vom Medizintec­hnikherste­ller Homebrace präsentier­t einen pupillenge­steuerten Rollstuhl.

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