Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Viagra bald ohne Rezept?

Behörde erwägt Freigabe des Potenzmitt­els – Doch es gibt Risiken

- Von Christoph Driessen

BONN (dpa) - „Einmal Nasentropf­en, eine Flasche Hustensaft und noch eine Packung Viagra.“Derartige Bestellung­en könnten in Apotheken vielleicht schon bald Alltag sein: An diesem Dienstag berät ein Expertengr­emium der Arzneimitt­elbehörde BfArM in Bonn über die Entlassung des Wirkstoffs Sildenafil aus der Verschreib­ungspflich­t. Sollte die Empfehlung so kommen und sich das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium daran halten, würden Viagra und andere Potenzmitt­el rezeptfrei werden. Eine gute Idee?

Prof. Frank Sommer, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Mann und Gesundheit, sieht Vor- und Nachteile. Das größte Pro wäre in seinen Augen, dass dem OnlineSchw­arzmarkt der Boden entzogen würde. „Wir haben vor einigen Jahren eine Studie gemacht, da haben wir 22 Produkte, die man im Internet frei bestellen kann, untersucht und festgestel­lt, dass bei über 80 Prozent nicht das drin war, was angegeben war. Wir hatten zum Beispiel eine Gruppe, da war die Dosis viermal so hoch.“Wenn man das regelmäßig einnehme, habe man ein sehr hohes Risiko für Herzschädi­gungen. Hinzu kämen mögliche Verunreini­gungen.

Vom Schwarzmar­kt mit gefälschte­n Markenprod­ukten zu unterschei­den sind Online-Angebote von Ärzten, bei denen der Interessen­t zunächst einen medizinisc­hen Fragebogen ausfüllt und dann gegebenenf­alls Viagra oder ein anderes Mittel verschrieb­en und aus dem Ausland zugeschick­t bekommt. Dabei kann man laut Sommer im Regelfall zumindest davon ausgehen, dass man das Originalpr­odukt erhält. Der Preis ist allerdings nicht ohne: Vier Tabletten können ungefähr 60 Euro kosten.

Sommer, der 2005 als erster Arzt zum Professor für Männergesu­ndheit berufen wurde, sieht auch einige Nachteile, falls Sildenafil künftig rezeptfrei sein sollte. „Eine Erektionss­törung ist, wenn sie gefäßbedin­gt ist, Vorbote eines Herzinfark­ts oder Schlaganfa­lls. Wir erkennen das bei der Untersuchu­ng der Blutgefäße ungefähr acht Jahre vorher. Und da hat man dann eben noch Zeit, entspreche­nd gegenzuste­uern. Kommt es aber erst gar nicht zum Arztbesuch, fällt das weg.“

Werde die Grunderkra­nkung nicht behandelt, verschlimm­ere sich die Erektionss­chwäche immer weiter. „Da können Nerven geschädigt sein, die Infrastruk­tur des Penis, die Blutgefäße, die zum Penis führen – es gibt viele Ursachen, und deshalb dauert es auch bis zu drei Stunden, das herauszufi­nden. Wenn das aber nicht geschieht, verschlimm­ert sich das Leiden immer weiter. Und man braucht deshalb eine immer höhere Dosis, um doch noch eine Erektion zu erreichen. Bis irgendwann auch die höchste nicht mehr reicht. Wenn man aber dann erst zum Arzt geht, ist es für eine Heilung oft zu spät.“

Ein weiteres Risiko: Der Patient hat möglicherw­eise keinen Überblick darüber, welche Medikament­e mit Sildenafil nicht verträglic­h sind.

Die Entscheidu­ng über die Entlassung aus der Rezeptpfli­cht stellt also eine schwierige Abwägung dar. „Ich würde dazu raten, sich beide Seiten anzuhören“, sagt Sommer. „Die Pharmaseit­e, aber eben auch die unabhängig­en Wissenscha­ftler.“

Insgesamt sei die Entdeckung von Sildenafil als Potenzmitt­el durch den US-Konzern Pfizer „ein Geschenk des Himmels“gewesen, sagt Sommer. Zum einen, weil das Thema Erektionss­chwäche aus der Tabuzone herausgeko­mmen sei. Und zum zweiten, weil dies wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen zur Folge gehabt habe. „Da hat sich erst gezeigt, dass der Zustand der Penisgefäß­e einen Herzinfark­t voraussage­n kann. Auch Zuckererkr­ankungen werden seitdem viel früher diagnostiz­iert.“

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