Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Kein unbeschwertes Erlebnis“
Waldseer Narrenzunft sagt alle Präsenzveranstaltungen ab
BAD WALDSEE - Die Narrenzunft hat alle Präsenzveranstaltungen der diesjährigen Fasnet abgesagt. Die Hintergründe dieser Entscheidung hat Wolfgang Heyer bei Zunftmeister Roland Haag erfragt – und: welche Veranstaltungen nun online mitgefeiert werden können.
Herr Haag, warum hat sich die Narrenzunft dazu entschlossen, alle Veranstaltungen der diesjährigen Fasnet abzusagen?
Die aktuelle und die zu erwartende Situation bis Februar rund um Corona lassen es einfach nicht zu eine Veranstaltung in Präsenz, wie wir es uns wünschen, durchzuführen. Im Sinne des Gemeinwohls und der Solidarität bei der Bekämpfung der Pandemie sind solche Veranstaltungen nicht passend zur Situation. Wir wollen hier als Veranstalter auch unserer Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft nachkommen
Wie schwer ist der Zunft diese Entscheidung gefallen und wer hat sie getroffen?
Natürlich ist diese Entscheidung schweren Herzens vom Zunftrat in seiner Rolle als Vorstandschaft der Narrenzunft getroffen worden. Keinem fällt eine derartige Entscheidung leicht, vor allem wenn das schon das zweite Jahr in Folge so passieren musste. Wir alle sehnen uns wieder nach mehr sozialem Miteinander und Fröhlichkeit, da wäre die Fasnet natürlich genau die richtige Zeit dafür.
Warum sind Fasnetsbälle unter „2G-plus“-Bedingungen keine Option für die Waldseer Zunft?
Unter 2G-plus Bedingungen bedeutet ja nicht zwangsweise, dass man alle Aspekte wie unter Normalbedingungen an einem Ball erleben kann. Ein Ball unter 2G-plus kann kein unbeschwertes Erlebnis, wie wir es wünschen würden, sein. Freies Tanzen und Feiern, was so einen Ball eben ausmacht, ist nicht möglich. Und bevor wir eine große Hockete mit Sitztänzern auf Stühlen machen, lassen wir es lieber sein.
Zuletzt war bei der VSAN-Sitzung in Aulendorf aufgekommen, dass abgespeckte Schülerbefreiungen eventuell möglich sein könnten. Warum ist die Waldseer Zunft davon abgerückt?
In unserer Bewertung der einzelnen Veranstaltungen kamen wir zu den gleichen Rückschlüssen wie bei den anderen Veranstaltungen auch und haben uns deswegen gegen eine Durchführung der Schulstürmung entschieden. Aber wir werden natürlich unser wertvolles Gut, den Narrensamen sicher nicht vergessen. Wir werden die Kinder mit nochmals neu überarbeiteten Malbüchern versorgen. Auch sollen alle Kinder sich besonders in der Hochfasnetszeit natürlich verkleiden und ihr Häs zeigen.
In anderen Städten steht im Raum, die Umzüge im Sommer nachholen zu wollen. Wie stehen die Waldseer Narren dazu?
Dass ist absolut keine Option und derartige Bestrebungen können wir auf keinen Fall gut heißen. Die Fasnet ist Brauchtum und keine Veranstaltung, die man im Sinne von Kommerz und Party mal einfach in den Sommer verschiebt. Die Fasnet ist die Zeit vor der Fastenzeit von Dreikönig bis Aschermittwoch und auch nur da sollte sie gefeiert werden.
Letztes Jahr war schon unsere Aussage, dass man Ostern ja auch nicht nach Belieben verschiebt und wer sich mit den Zusammenhängen auskennt, versteht auch wo der Platz der Fasnet im Kalender ist.
Öffnet die Zunft nun doch die äußerst beliebte digitale Narrentruhe aus dem vergangenen Jahr?
Die Narrentruhe aus dem letzten Jahr wird es in diesem Jahr in der gleichen Form nicht geben. So etwas ist aus unserer Sicht in der Qualität und Ausprägung etwas Einmaliges gewesen. Nicht wiederholbar. Letztes Jahr war die Situation auch früher klar und man hatte mehr Vorbereitungszeit. Da muss man einfach auch verstehen, dass die Narrentruhe ein sehr großer Aufwand war – mit letztendlich circa 300 mitarbeitenden Närrinnen und Narren. Dafür war dieses Jahr die Zeit nicht mehr gegeben.
Welche Veranstaltungen und Fasnetsbräuche werden dennoch online zu sehen sein?
Der Zunftball am 19. Februar wird unser virtuelles Highlight sein. Dieser wird auch umfangreicher als im letzten Jahr sein und ein buntes, kreatives Programm zaubern. Der Zunftball daheim soll unter Beteiligung vom Gruppen, die vom Zunftball bekannt sind, etwas Fasnet im Herzen anwärmen. Weiterhin sind aktuell das Narrenrechtabholen sowie das Fasnetsvergraben virtuell in Vorbereitung. Uns ist bewusst, dass diese virtuellen Formate kein Ersatz für die wahre Fasnet sein können. Dass wird auch mit derartigen Inhalten gar nicht angestrebt. Aber eine komplette Abwesenheit von Fasnet und gar nichts zu tun, ist auch überhaupt keine Option. So sollen diese virtuellen Termine in Kombination mit Schmücken der Stadt, mit dem Stellen des Narrenbaums, mit Geschenken für den Narrensamen dazu beitragen, dass zumindest die Fasnet im Herzen gespürt werden kann.
Sie haben es angesprochen, viele Waldseer tragen die Fasnet im Herzen und sind nun sehr traurig, dass es erneut keine Präsenz-Veranstaltungen geben wird. Welche positive Botschaft kann die Zunft den Waldseer Narren in dieser schwierigen Corona-Zeit mit auf den Weg geben?
Die Fasnet im Herzen kann in jeder Stube oder im kleinen Kreis in den Waldseer Wirtschaften zum Leben erweckt werden. Wenn man unter den gegebenen Regularien in der Kneipe sitzt, wenn der heimische Narrenbaum steht und man Fasnetstraditionen auch dort weiterhin lebt, dann ist das etwas Schönes. Fasnet im Herzen ist mehr als nur ein Spruch, es ist eine Haltung und ein Gefühl. Fasnet im Herzen ist Mut, Kreativität und Gemeinschaft. Lasst uns dies in jedem kleinsten Augenblick genauso leben.
Zum Abschluss noch der Blick in die Glaskugel: Wird es 2023 eine Live-Fasnet auf den Straßen der Waldseer Altstadt geben?
Die Fasnet zeichnet sich dadurch aus, dass man unabhängig von Alter, von Herkunft, von Geschlecht zusammenhält. Es ist eine große Gemeinschaft, in der auch mal kontrovers diskutiert werden darf, aber am Schluss immer das Miteinander überwiegt. Wenn wir diesen Gedanken des Miteinanders folgen, dann sollten die Chancen gut stehen, dass wir uns nächstes Jahr wieder im Häs auf der Gass treffen.