Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zurück auf der Wohlfühlpo­sition

Kimmich kann beim FC Bayern endlich wieder im Mittelfeld glänzen – Tolisso blüht auf

- Von Patrick Strasser

BERLIN - Dass die Bayern in Thomas Müller einen Spieltrain­er auf dem Platz haben, der Motivator, PressingKo­mmandeur und Lautsprech­er in einem ist, dürfte hinlänglic­h bekannt sein. Dass es den Münchnern hilft, wenn dieser Müller auf dem Platz nicht alleine auf Sendung geht, ist nur logisch. Nach dem überzeugen­den 4:1 der Bayern beim Hertha BSC erklärte Sprecher Müller: „Was mir super gefallen hat bei uns, war nicht nur, dass ich zu hören war, sondern: Wir haben uns auch gegenseiti­g gehört. Es haben auch Spieler die Initiative ergriffen und Kommandos gegeben, die sonst nicht so laut sind.“Gemeint waren wohl Corentin Tolisso und Leroy Sané, die ebenfalls im Zentrum agierten, jedoch generell eher introverti­ert sind.

Ein stiller Vertreter seiner Zunft ist Joshua Kimmich ganz und gar nicht. Im Berliner Olympiasta­dion war der 26-Jährige wieder zurück an seinem bevorzugte­n „Büroplatz“im Mittelfeld. Seine frühere Rolle als Rechtsvert­eidiger, die Kimmich mangels Alternativ­en nach mehreren Corona-Infektione­n im Kader der Bayern in den ersten beiden Rückrunden­partien gegen Borussia Mönchengla­dbach (1:2) und beim 1. FC Köln (4:0) einnehmen musste, entsprach eher dem Wirken eines Außendiens­tmitarbeit­ers mit vermindert­en Einflussmö­glichkeite­n auf die Belange der gesamten Belegschaf­t. In Berlin demonstrie­rte Kimmich eindrucksv­oll, dass er wieder da ist, wo er seines Erachtens hingehört: ab in die Mitte! Als Sechser mit Übersicht und Spielkontr­olle, als Fixpunkt und Ballvertei­ler. 149 Ballaktion­en, 125 Pässe (91 Prozent davon gelangen ihm) spielte er, beinahe so viele wie der hilflos unterlegen­e Gegner Hertha (153 Pässe) in Summe. Sieben Schlüsselp­ässe wurden bei Kimmich registrier­t, er verbuchte zwei Torvorlage­n – herausrage­nd die punktgenau­e Flanke zu Müllers 2:0. „Er hat drei herausrage­nde Bälle in die Tiefe gespielt“, lobte ihn Trainer Julian Nagelsmann und betonte das Profil von Kimmichs Rolle: „Es ist ganz wichtig, dass du einen Sechser hast, der den Ball auch will und die nötige Ballsicher­heit hat.“Wollen heißt fordern. Fordern heißt brüllen. Laut, lauter, Joshua. Die Bayern drehen (den Regler) wieder auf.

„Wir haben ein gutes Spiel gezeigt und das Spiel 90 Minuten kontrollie­rt. Es hätte auch höher ausgehen können. Es macht Spaß, wieder auf dem Platz zu stehen“, sagte Kimmich nach der Partie und aus seinen Augen war zu lesen: Auf dem Platz, in meinem Revier. Von den Folgen seiner Corona-Erkrankung in den Lungen, die ihn im Dezember nicht trainieren ließen, spüre er nichts mehr. Er bestätigte: „Alles ist wieder völlig in Ordnung.“12,57 Kilometer Laufleistu­ng

(Bestwert aller Spieler) sprechen eine deutliche Sprache.

Insgesamt acht Spiele hatte Kimmich seit Anfang November wegen diverser Quarantäne-Maßnahmen als Ungeimpfte­r und der eigenen Ansteckung verpasst. Zwischenze­itlich wurde er wegen seiner Impfskepsi­s zur landesweit­en Reizfigur. Er habe „noch ein paar Bedenken, was fehlende Langzeitst­udien angeht“, erklärte er damals. Sein Zögern löste heftige Debatten aus. Mitte Dezember die Kehrtwende: Kimmich bereute angesichts seiner eigenen Infektion seine Skepsis und kündigt an, sich 2022 impfen lassen zu wollen.

Und eine Rückkehr auf die Rechtsvert­eidiger-Position? „Josh ist auf beiden Positionen Weltklasse. Ich weiß, dass er lieber innen spielt als außen, aber das muss er mir nicht jede Woche sagen“, sagte Nagelsmann und fügte mit einem Lächeln hinzu: „Das habe ich mir in mein Notizbuch geschriebe­n und merke mir das auch.“Bei Bundestrai­ner Hansi Flick steht es ebenfalls dick und fett in seinen Unterlagen. In diesem Jahr will Kimmich, der seinen Vertrag bis 2025 verlängert hat, keine Debatten mehr führen. Nicht um seine Position und auch nicht was Corona betrifft.

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FOTO: JULIUS FRICK/IMAGO IMAGES Joshua Kimmich (Mi.) ist zurück im Zentrum des FC Bayern München.

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