Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zurück auf der Wohlfühlposition
Kimmich kann beim FC Bayern endlich wieder im Mittelfeld glänzen – Tolisso blüht auf
BERLIN - Dass die Bayern in Thomas Müller einen Spieltrainer auf dem Platz haben, der Motivator, PressingKommandeur und Lautsprecher in einem ist, dürfte hinlänglich bekannt sein. Dass es den Münchnern hilft, wenn dieser Müller auf dem Platz nicht alleine auf Sendung geht, ist nur logisch. Nach dem überzeugenden 4:1 der Bayern beim Hertha BSC erklärte Sprecher Müller: „Was mir super gefallen hat bei uns, war nicht nur, dass ich zu hören war, sondern: Wir haben uns auch gegenseitig gehört. Es haben auch Spieler die Initiative ergriffen und Kommandos gegeben, die sonst nicht so laut sind.“Gemeint waren wohl Corentin Tolisso und Leroy Sané, die ebenfalls im Zentrum agierten, jedoch generell eher introvertiert sind.
Ein stiller Vertreter seiner Zunft ist Joshua Kimmich ganz und gar nicht. Im Berliner Olympiastadion war der 26-Jährige wieder zurück an seinem bevorzugten „Büroplatz“im Mittelfeld. Seine frühere Rolle als Rechtsverteidiger, die Kimmich mangels Alternativen nach mehreren Corona-Infektionen im Kader der Bayern in den ersten beiden Rückrundenpartien gegen Borussia Mönchengladbach (1:2) und beim 1. FC Köln (4:0) einnehmen musste, entsprach eher dem Wirken eines Außendienstmitarbeiters mit verminderten Einflussmöglichkeiten auf die Belange der gesamten Belegschaft. In Berlin demonstrierte Kimmich eindrucksvoll, dass er wieder da ist, wo er seines Erachtens hingehört: ab in die Mitte! Als Sechser mit Übersicht und Spielkontrolle, als Fixpunkt und Ballverteiler. 149 Ballaktionen, 125 Pässe (91 Prozent davon gelangen ihm) spielte er, beinahe so viele wie der hilflos unterlegene Gegner Hertha (153 Pässe) in Summe. Sieben Schlüsselpässe wurden bei Kimmich registriert, er verbuchte zwei Torvorlagen – herausragend die punktgenaue Flanke zu Müllers 2:0. „Er hat drei herausragende Bälle in die Tiefe gespielt“, lobte ihn Trainer Julian Nagelsmann und betonte das Profil von Kimmichs Rolle: „Es ist ganz wichtig, dass du einen Sechser hast, der den Ball auch will und die nötige Ballsicherheit hat.“Wollen heißt fordern. Fordern heißt brüllen. Laut, lauter, Joshua. Die Bayern drehen (den Regler) wieder auf.
„Wir haben ein gutes Spiel gezeigt und das Spiel 90 Minuten kontrolliert. Es hätte auch höher ausgehen können. Es macht Spaß, wieder auf dem Platz zu stehen“, sagte Kimmich nach der Partie und aus seinen Augen war zu lesen: Auf dem Platz, in meinem Revier. Von den Folgen seiner Corona-Erkrankung in den Lungen, die ihn im Dezember nicht trainieren ließen, spüre er nichts mehr. Er bestätigte: „Alles ist wieder völlig in Ordnung.“12,57 Kilometer Laufleistung
(Bestwert aller Spieler) sprechen eine deutliche Sprache.
Insgesamt acht Spiele hatte Kimmich seit Anfang November wegen diverser Quarantäne-Maßnahmen als Ungeimpfter und der eigenen Ansteckung verpasst. Zwischenzeitlich wurde er wegen seiner Impfskepsis zur landesweiten Reizfigur. Er habe „noch ein paar Bedenken, was fehlende Langzeitstudien angeht“, erklärte er damals. Sein Zögern löste heftige Debatten aus. Mitte Dezember die Kehrtwende: Kimmich bereute angesichts seiner eigenen Infektion seine Skepsis und kündigt an, sich 2022 impfen lassen zu wollen.
Und eine Rückkehr auf die Rechtsverteidiger-Position? „Josh ist auf beiden Positionen Weltklasse. Ich weiß, dass er lieber innen spielt als außen, aber das muss er mir nicht jede Woche sagen“, sagte Nagelsmann und fügte mit einem Lächeln hinzu: „Das habe ich mir in mein Notizbuch geschrieben und merke mir das auch.“Bei Bundestrainer Hansi Flick steht es ebenfalls dick und fett in seinen Unterlagen. In diesem Jahr will Kimmich, der seinen Vertrag bis 2025 verlängert hat, keine Debatten mehr führen. Nicht um seine Position und auch nicht was Corona betrifft.