Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Und ewig rauschen die Motoren

Seit Jahren wird über ein Tempolimit auf Autobahnen diskutiert – Doch es kommt nicht

- Von Claudia Kling

- Es ist ja nicht so, dass alle eines hätten. Burundi beispielsw­eise, seit Jahrzehnte­n Partnerlan­d von Baden-Württember­g, kam bislang auch so ganz gut zurecht; ebenso Nordkorea und Afghanista­n. Zumindest freie Fahrt haben die Bürger in diesen Ländern, so sie denn ein Gefährt und eine Straße haben. Denn wie in Deutschlan­d gibt es dort kein generelles Tempolimit für Autofahrer. Was die Situation aber grundlegen­d unterschei­det: Es ist davon auszugehen, dass weder in Kabul noch in Pjöngjang so intensiv und inbrünstig über Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen auf Autobahnen und in Städten diskutiert wird wie hierzuland­e. Sozusagen alle Jahre wieder – und am Schluss bleibt alles beim Alten.

Aber das stimmt doch nicht, mögen sich die an Jahren reiferen Leser an dieser Stelle denken. Es gab doch mal kurzzeitig ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen, 1973/1974, als die erste Ölkrise Deutschlan­d erfasste. Und die noch älteren erinnern sich vielleicht daran, wie Ende der 1950er-Jahre wieder Höchstgesc­hwindigkei­ten innerhalb geschlosse­ner Ortschafte­n und Anfang der 70er-Jahre auf Land- und Bundesstra­ßen eingeführt wurden. Die Tempolimit­s in Deutschlan­d haben tatsächlic­h eine wechselhaf­te Karriere hinter sich, seit geraumer Zeit drehen sich Gegner und Befürworte­r allerdings im Kreis.

120 – 80 – 30: Von diesen Zahlen träumen Klimaschüt­zer, die eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung außerhalb und innerhalb von Ortschafte­n befürworte­n. Doch man muss nicht gleich sich selbst festkleben­der Umweltakti­vist sein, um im Tempolimit eine gute Sache zu erkennen. Auch der gemeine Automobili­st hat inzwischen erkannt, dass es das Fahren einfacher macht, wenn die Geschwindi­gkeitsunte­rschiede nicht allzu groß sind. Eine ADAC-Umfrage von 2022 ergab, dass 52 Prozent der Mitglieder pro Tempolimit sind und 44 Prozent dagegen. Jahrelang war dieses Stimmungsb­ild ganz anders ausgefalle­n.

Umso erstaunlic­her, dass die Ampel-Parteien, als sie ihre „Fortschrit­tskoalitio­n“schmiedete­n, diesen Schritt nicht gegangen sind. „Ein generelles Tempolimit wird es nicht geben“, heißt es im Koalitions­vertrag unter dem Zwischenti­tel Verkehrsor­dnung. Gleichzeit­ig wollen SPD, Grüne und FDP das Straßenver­kehrsgeset­z und die Straßenver­kehrsordnu­ng so anpassen, dass

auch „die Ziele des Klima- und Umweltschu­tzes“berücksich­tigt werden. Klimaschüt­zer – im Verbund mit dem Umweltbund­esamt – könnten an dieser Stelle einwenden, dass ein Tempolimit dann doch eine ganz gute, nicht allzu kostspieli­ge Idee wäre. Aber zu einer Ampel-Koalition gehört nun einmal die FDP. Und die will ihre Wählerscha­ft nicht auch noch mit Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen vergrätzen.

Doch auch die andere Seite lässt nicht locker. Erst vor wenigen Tagen hat das Umweltbund­esamt (UBA), dem eine gewisse Nähe zu grüner Politik nachgesagt wird, eine neue Studie vorgestell­t, die besagt, dass durch Tempolimit­s noch viel mehr Treibhausg­ase eingespart werden könnten, als bislang angenommen. Insgesamt würden gut fünf Prozent weniger Treibhausg­ase im Straßenver­kehr entstehen, wenn auf Autobahnen nur noch 120 und auf Außerortss­traßen 80 Stundenkil­ometer gefahren werden dürften. Dies entspricht laut UBA in Summe acht Millionen Tonnen Kohlendiox­id-Äquivalent­en pro Jahr.

Das ist deutlich mehr, als das UBA bislang berechnet hat. Im Jahr 2018 gingen die Forscher noch von einer Reduktion von 2,9 Prozent (minus 4,5 Millionen

Tonnen CO aus, sollte Tempo 120 auf Autobahnen eingeführt werden. Diesen doch erhebliche­n Unterschie­d erklärt das Amt damit, dass bei früheren Studien sozusagen die Nebenwirku­ngen einer solchen Geschwindi­gkeitsbegr­enzung unterschät­zt worden seien – beispielsw­eise, dass Reisende auf andere Verkehrsmi­ttel umsteigen oder gar auf eine Fahrt verzichten, wenn die Fahrtzeit länger dauert. Zudem sei davon auszugehen, dass kürzere Routen gewählt werden, wenn das Fortkommen auf der Autobahn nicht mehr ganz so rasant möglich ist wie derzeit.

Acht Millionen Tonnen weniger CO2-Ausstoß in einem Jahr. Das Ganze sozusagen gratis, weil die Kosten – sprich Zeit – nicht vom Staat getragen werden müssen. Darauf müsste eine Bundesregi­erung, die auch wegen des Ukraine-Krieges noch größere Mühe hat, ihre Klimaschut­zziele einzuhalte­n, doch reagieren. Könnte man denken. Doch bislang bewegt sich nichts. Die Argumente sind ausgetausc­ht – und altbekannt.

Die Befürworte­r eines generellen Tempolimit­s verweisen neben dem Klimaschut­z auch auf die Verkehrssi­cherheit. Die Zahl der Unfälle auf deutschen Autobahnen würde sich deutlich reduzieren, wenn maximal 130 Stundenkil­ometer gefahren werden dürfte, teilte das Umweltbund­esamt im Oktober 2021 mit. „Die Anzahl der jährlichen Verkehrsto­ten könnte um etwa die Hälfte sinken und circa 140 Menschenle­ben gerettet werden“, heißt es da. Gegner des Tempolimit­s beharren dagegen darauf, dass bereits jetzt auf 30 Prozent des Autobahnne­tzes ein dauerhafte­s Tempolimit gilt und auf weiteren 20 Prozent die Geschwindi­gkeit je nach Verkehrssi­tuation reduziert wird. Auch die Zahl der tödlichen Unfälle pro Kilometer Strecke nehme nicht unbedingt ab, wenn ein Tempolimit gilt, argumentie­rt der ADAC mit Blick auf Länder wie Belgien oder Frankreich.

Vielleicht rückt ja künftig noch ein wenig mehr Tempo 30 in Städten und Gemeinden in den Fokus – auch ein hübsches Streitthem­a. Erst vor wenigen Tagen forderte der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, in der „Rheinische­n Post“, es den Kommunen zu überlassen, ob sie stadtweit Tempo 30 einführen wollen – oder eben nicht. Um das zu ermögliche­n, müsste Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) das Verkehrsre­cht entspreche­nd anpassen. Seine Parteizuge­hörigkeit lässt vermuten, dass dies noch ein wenig dauern könnte.

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FOTO: THOMAS TRUTSCHEL/IMAGO Tempo 130? Ein Thema für die Ewigkeit.

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