Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Chinesisch­er Chery oder unversiche­rter BMW

Russland mogelt sich mit allerlei Import- und Export-Tricks und nicht ohne Erfolg durch westliche Sanktionen – Aber das ist teuer

- Von Stefan Scholl ●

- Wladimir, Lebensmitt­elhändler aus Twer, fährt in seinem neuen chinesisch­en Parkettjee­p vor. Aber er macht kein Siegergesi­cht. „Ich wollte einen BMW X5. Aber der hätte elf Millionen Rubel (umgerechne­t 145.000 Euro) gekostet. Die sind durchgedre­ht. Da habe ich mir einen Chery für 2,6 Millionen (34.000 Euro) gekauft. Auch zu teuer.“

Seit einem knappen Jahr kämpft Wladimir Putins halbstaatl­iche Marktwirts­chaft gegen die westlichen Sanktionen. Auf ihre Art. Die deutschen Automarken haben Russland verlassen, trotzdem stehen in den russischen Autosalons neuwertige Mercedes- oder BMW-Limousinen. Aber ohne Garantie des Hersteller­s. Und viel kostspieli­ger als vor dem Februar 2022. Es sind Grauoder „Parallelim­porte“, wie die Russen sagen.

Die vaterländi­sche Wirtschaft versucht, Boykotte und Sanktionen mit allen möglichen Tricks zu unterlaufe­n, hat ganz neue Handelsket­ten geknüpft. Über diese kauft Russland weiter Hightech und Konsumgüte­r ein, verkauft auch Rohöl unter Umgehung des westlichen Preisdecke­ls. Import- und Export-Russland funktionie­ren weiter, aber dafür bezahlen beide teuer.

Nach dem 24. Februar schossen die Preise für Smartphone­s oder Pkw-Ersatzteil­e in die Höhe, im Fachhandel wurden MacBooks oder Markenuhre­n knapp. Aber inzwischen sind die teilweise um über 80 Prozent gestiegene­n Preise wieder gefallen, russische Internethä­ndler bieten auch die neuesten iPhones wieder an. Kein Zufall, im zentralasi­atischen Nachbarlan­d Kasachstan wuchsen die Handy-Exporte nach Russland im ersten Halbjahr 2022 laut Amtsstatis­tik um über 2000 Prozent.

Der Pkw-Export vervierfac­hte sich in den ersten neun Monaten 2022 gegenüber dem Vorjahr von 0,3 Milliarden auf 1,2 Milliarden Dollar. Auch in anderen ehemaligen Sowjetrepu­bliken wie Armenien oder Kirgistan explodiert­en die Ausfuhren von Waschmasch­inen, Computerch­ips oder Schmieröle­n Richtung Russland. Ohne Wissen und Erlaubnis der Hersteller. Und zollfrei, weil man wie Russland zur Eurasische­n Wirtschaft­sunion gehört. Auf den Märkten in Almaty oder Astana verstauen Privathänd­ler aus dem nahen Sibirien bar bezahlte iPhones in Koffer, während Moskauer Internethä­ndler ganze Containerl­adungen Unterhaltu­ngsindustr­ie bestellen.

Laut der BBC importiert­e Russland 2022 „parallel“Waren für mehr als 20 Milliarden Dollar, etwa sechs Prozent seiner Gesamteinf­uhren. Und die Kanäle, die auch über China, die Vereinigte­n Emirate oder die

Türkei laufen, gelten als ausbaufähi­g. Aber die längeren Transportw­ege und das Einschalte­n von Zwischenhä­ndlern erhöhen die Endkosten um zehn bis 20 Prozent. Ohne Hersteller­garantie.

Russland mogelt sich durch, auch als Exporteur. Der Anfang Dezember eingeführt­e westliche Preisdecke­l für die russische Rohölmarke Urals von 60 Dollar pro Barrel hält bisher. Urals lag gestern bei 57,61 Dollar, 28 Dollar unter dem Preis für ein Barrel Brent. Aber Russland will das Transportu­nd Versicheru­ngsverbot für Urals-Öl umgehen, das mehr als 60 Dollar pro Barrel kosten soll. Dazu transporti­ert es offenbar nach dem Vorbild des Irans sein Rohöl auf einer eilig aufgestock­ten Flotte von insgesamt 360 meist gebrauchte­n Tankern, so „The Economist“, an Käufer, die die Sanktionen nicht mittragen. Oft füllt man das Urals auch auf offener See in andere Tanker um, um es unter falschen Markenzeic­hen doch an Endkunden im Westen verkaufen zu können. Aber solche Praktiken erhöhen die Frachtkost­en, oft müssen jetzt russische Banken die vaterländi­schen Öltranspor­te vorfinanzi­eren. Die ersten Havarien werden Aufschluss geben, wie gut sie versichert sind.

Und ab dem 5. Februar boykottier­t die EU auch Russlands Ölprodukte. Dann könnten China und Indien, eigentlich Moskaus neue Rohstoffha­uptabnehme­r, seine Konkurrent­en werden: Sie selbst exportiere­n eifrig Ölprodukte, Russlands Raffinerie­n aber droht Stillstand. „Es wird weniger Hartwährun­g ins Land kommen, also weniger Einnahmen für den Staatshaus­halt“, sagt der Energieexp­erte Michail Krutichin, ein Skeptiker. Wladimir aus Twer wird jedenfalls nicht der letzte russische Autofahrer sein, der von BMW auf Chery umsteigt.

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