Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Chinesischer Chery oder unversicherter BMW
Russland mogelt sich mit allerlei Import- und Export-Tricks und nicht ohne Erfolg durch westliche Sanktionen – Aber das ist teuer
- Wladimir, Lebensmittelhändler aus Twer, fährt in seinem neuen chinesischen Parkettjeep vor. Aber er macht kein Siegergesicht. „Ich wollte einen BMW X5. Aber der hätte elf Millionen Rubel (umgerechnet 145.000 Euro) gekostet. Die sind durchgedreht. Da habe ich mir einen Chery für 2,6 Millionen (34.000 Euro) gekauft. Auch zu teuer.“
Seit einem knappen Jahr kämpft Wladimir Putins halbstaatliche Marktwirtschaft gegen die westlichen Sanktionen. Auf ihre Art. Die deutschen Automarken haben Russland verlassen, trotzdem stehen in den russischen Autosalons neuwertige Mercedes- oder BMW-Limousinen. Aber ohne Garantie des Herstellers. Und viel kostspieliger als vor dem Februar 2022. Es sind Grauoder „Parallelimporte“, wie die Russen sagen.
Die vaterländische Wirtschaft versucht, Boykotte und Sanktionen mit allen möglichen Tricks zu unterlaufen, hat ganz neue Handelsketten geknüpft. Über diese kauft Russland weiter Hightech und Konsumgüter ein, verkauft auch Rohöl unter Umgehung des westlichen Preisdeckels. Import- und Export-Russland funktionieren weiter, aber dafür bezahlen beide teuer.
Nach dem 24. Februar schossen die Preise für Smartphones oder Pkw-Ersatzteile in die Höhe, im Fachhandel wurden MacBooks oder Markenuhren knapp. Aber inzwischen sind die teilweise um über 80 Prozent gestiegenen Preise wieder gefallen, russische Internethändler bieten auch die neuesten iPhones wieder an. Kein Zufall, im zentralasiatischen Nachbarland Kasachstan wuchsen die Handy-Exporte nach Russland im ersten Halbjahr 2022 laut Amtsstatistik um über 2000 Prozent.
Der Pkw-Export vervierfachte sich in den ersten neun Monaten 2022 gegenüber dem Vorjahr von 0,3 Milliarden auf 1,2 Milliarden Dollar. Auch in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken wie Armenien oder Kirgistan explodierten die Ausfuhren von Waschmaschinen, Computerchips oder Schmierölen Richtung Russland. Ohne Wissen und Erlaubnis der Hersteller. Und zollfrei, weil man wie Russland zur Eurasischen Wirtschaftsunion gehört. Auf den Märkten in Almaty oder Astana verstauen Privathändler aus dem nahen Sibirien bar bezahlte iPhones in Koffer, während Moskauer Internethändler ganze Containerladungen Unterhaltungsindustrie bestellen.
Laut der BBC importierte Russland 2022 „parallel“Waren für mehr als 20 Milliarden Dollar, etwa sechs Prozent seiner Gesamteinfuhren. Und die Kanäle, die auch über China, die Vereinigten Emirate oder die
Türkei laufen, gelten als ausbaufähig. Aber die längeren Transportwege und das Einschalten von Zwischenhändlern erhöhen die Endkosten um zehn bis 20 Prozent. Ohne Herstellergarantie.
Russland mogelt sich durch, auch als Exporteur. Der Anfang Dezember eingeführte westliche Preisdeckel für die russische Rohölmarke Urals von 60 Dollar pro Barrel hält bisher. Urals lag gestern bei 57,61 Dollar, 28 Dollar unter dem Preis für ein Barrel Brent. Aber Russland will das Transportund Versicherungsverbot für Urals-Öl umgehen, das mehr als 60 Dollar pro Barrel kosten soll. Dazu transportiert es offenbar nach dem Vorbild des Irans sein Rohöl auf einer eilig aufgestockten Flotte von insgesamt 360 meist gebrauchten Tankern, so „The Economist“, an Käufer, die die Sanktionen nicht mittragen. Oft füllt man das Urals auch auf offener See in andere Tanker um, um es unter falschen Markenzeichen doch an Endkunden im Westen verkaufen zu können. Aber solche Praktiken erhöhen die Frachtkosten, oft müssen jetzt russische Banken die vaterländischen Öltransporte vorfinanzieren. Die ersten Havarien werden Aufschluss geben, wie gut sie versichert sind.
Und ab dem 5. Februar boykottiert die EU auch Russlands Ölprodukte. Dann könnten China und Indien, eigentlich Moskaus neue Rohstoffhauptabnehmer, seine Konkurrenten werden: Sie selbst exportieren eifrig Ölprodukte, Russlands Raffinerien aber droht Stillstand. „Es wird weniger Hartwährung ins Land kommen, also weniger Einnahmen für den Staatshaushalt“, sagt der Energieexperte Michail Krutichin, ein Skeptiker. Wladimir aus Twer wird jedenfalls nicht der letzte russische Autofahrer sein, der von BMW auf Chery umsteigt.