Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Giga im Saarland
Der Automobilzulieferer ZF baut mit dem US-Konzern Wolfspeed eine Fabrik für Leistungshalbleiter
- Viel ist in den vergangenen Jahren von der Transformation in der Automobilbranche geredet worden. Der Zulieferer ZF aus Friedrichshafen belässt es nicht bei schönen Worten. Das mehr als 100 Jahre alte Unternehmen, groß geworden mit Getrieben, treibt diese Transformation voran. Am Mittwoch bestätigte der Stiftungskonzern vom Bodensee vor einigen Tagen aufgekommene Gerüchte, sich am Bau einer Fabrik für Leistungshalbleiter im saarländischen Ensdorf beteiligen zu wollen.
Mit maximalem politischen Flankenschutz – sowohl Kanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) sind in die Gemeinde im Landkreis Saarlouis gekommen – verkündete ZF nun eine strategische Partnerschaft mit dem USamerikanischen Halbleiterhersteller Wolfspeed.
Demnach wird sich ZF am Bau einer Gigafabrik für SiliziumkarbidHalbleiter auf dem Gelände des inzwischen stillgelegten Kohlekraftwerks Ensdorf beteiligen. Die Rede ist von einem „dreistelligen Millionen-Euro-Betrag“, den ZF im Tausch gegen Wolfspeed-Aktien investieren will. Kontrolle und operative Leitung, teilten die beiden Partner mit, liege bei Wolfspeed.
Dem Vernehmen nach liegt die Gesamtinvestitionssumme bei bis zu drei Milliarden US-Dollar (2,3 Milliarden Euro). Das Werk wäre damit die weltweit größte und modernste Fabrik für Siliziumkarbid-Halbleiter und ZF als Juniorpartner mit an Bord. Bis zu 600 Arbeitsplätze könnten in der vom Strukturwandel gebeutelten Region im Saarland entstehen.
ZF-Chef Holger Klein zufolge ist die Entscheidung für dieses Projekt „die absolut richtige“. Die Automobilbranche stehe mit dem Umstieg auf die Elektromobilität und dem von der EU beschlossenen Verkaufsverbot neuer Benzin- und Dieselfahrzeuge ab 2035 vor „gewaltigen Herausforderungen“, die für viele Unternehmen „existenzbedrohend“seien. „ZF war immer offen für Wandel und mit diesem Projekt zeigen wir, dass wir es ernst meinen“, sagte der erst zum Jahresanfang an die Vorstandsspitze von ZF gerückte Manager am Mittwoch in Ensdorf.
ZF hat mit der Partnerschaft bei Weitem nicht mehr nur automobile Anwendungen im Blick. Denn Siliziumkarbid-Halbleiter sind auch für industrielle Anwendungen, im Mobilfunk der neuesten Generation oder bei erneuerbaren Energien interessant. „Das eröffnet ZF völlig neue strategische Optionen“, sagte ZFVorstandsmitglied Stephan von Schuckmann.
Halbleiter aus Siliziumkarbid gelten aber vor allem in der Elektromobilität als Gamechanger. Mit diesen leistungsfähigen Chips könnten Elektroautos attraktiver werden: Sie versprechen ein schnelleres Laden,
einen sparsameren Verbrauch und damit eine höhere Reichweite.
„Siliziumkarbid-Elektronik bietet eine höhere Energieeffizienz und ist für die weltweite Umstellung auf eine nachhaltige Elektrifizierung unerlässlich“, erklärte Wolfspeed-Chef Gregg Lowe die Vorteile der Technologie. Auf den Stiftungskonzern vom Bodensee hält er große Stücke. „Mit ZF haben wir einen starken Partner an unserer Seite. Ich bin zuversichtlich, dass wir die SiliziumkarbidHalbleitertechnologie zusammen auf ein neues globales Niveau heben werden“, sagte der Amerikaner.
Das neue Werk sei von entscheidender Bedeutung, um die Expansion in einer Branche zu unterstützen, die einerseits mit Engpässen kämpfe
und andererseits sehr schnell wachse – vor allem bei Elektrofahrzeugen.
Parallel zum Bau der Halbleiterfabrik wollen beide Partner am Standort Ensdorf noch ein Forschungszentrum aufbauen, in dem Siliziumkarbid-Systeme und -Bauteile für zahllose neue Einsatzmöglichkeiten erforscht werden sollen und bei dem ZF die Federführung übernimmt.
Sowohl für das Forschungszentrum als auch für die Halbleiterfabrik rechnen ZF und Wolfspeed mit Fördermitteln im Rahmen von sogenannten wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Project of Common European Interest – IPCEI). Diese EUSubventionen seien Voraussetzung für das Engagement im Saarland, sagte
Lowe. Der Wolfspeed-Chef kalkuliert mit Beihilfen von „20 bis 25 Prozent der Investitionssumme“, was bei einem Investitionsvolumen von drei Milliarden US-Dollar im besten Fall 750 Millionen US-Dollar (688 Millonen Euro) bedeuten würde. Diese Quote habe man bei vergleichbaren Investitionen in den USA bekommen, und damit rechne man auch für das Werk in Ensdorf, sagte Lowe. Entschieden sei aber noch nichts.
Gleichwohl gehen beide Partner von einem zeitnahen positiven Bescheid aus Brüssel aus, denn noch im ersten Halbjahr 2023 soll der Spatenstich erfolgen. 2027, so heißt es von Wolfspeed, solle die Produktion anlaufen. 2030 planen die beiden Partner mit voller Kapazität.
Nach Einschätzung des saarländischen Wirtschaftsministers Jürgen Barke realistische Planungen: „Die Entscheidung über die Förderung der EU steht zum Ende des ersten Quartals an“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch.
Branchenexperten äußerten sich am Mittwoch positiv zu dem Vorhaben von ZF und Wolfspeed. „Das ist eine große Sache. Ich finde klasse, was ZF da macht“, sagte Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Siliziumkarbid-Halbleiter seien „Schlüsselkomponenten“. Die Partnerschaft mit Wolfspeed helfe dem Konzern, in der Elektromobilität weiter voranzugehen. Dudenhöffer lobte insbesondere die Strategie von ZF, mithilfe von Partnerschaften neue Geschäftsfelder zu erschließen. Dass man solche Investitionen nicht alleine stemme, sei „völlig richtig“.
Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen, verwies auf das zukunftsträchtige Geschäftsmodell: „Der Bedarf an Computerchips für Fahrzeuge wird in den kommenden Jahren angesichts des Marktwachstums für batterieelektrische Fahrzeuge stark ansteigen. Die Siliziumkarbid-Halbleiter, auf die sich die Kooperation mit Wolfspeed bezieht, gelten als leistungsfähig – insbesondere bezüglich des Lademanagements sowie im Hinblick auf Fahrerassistenzsysteme.“
Beide Partner sind sich nicht fremd. ZF und Wolfspeed arbeiten schon seit 2019 bei der Entwicklung elektrischer Antriebsstränge mit Siliziumkarbid-Invertern zusammen. Im Frühjahr 2021 sei man mit den Plänen für eine Halbleiterfertigung auf die saarländische Landesregierung zugegangen; Ende 2021 gab es nach Aussagen von Ministerpräsidentin Rehlinger ein belastbares Interesse am Standort Ensdorf. „Seit einem Jahr nehmen wir eine Hürde nach der anderen, um das Projekt ins Ziel zu bringen“, sagte Rehlinger am Mittwoch.
Sie sprach von einem „Leuchtturmbeispiel für erfolgreichen Strukturwandel“und äußerte die Hoffnung, dass eine solche Hochtechnologie-Ansiedlung das Saarland zu einem begehrten Standort der E-Mobilität in Europa mache. Das neue Werk sichere „die Arbeitsplätze von morgen“, das Forschungsund Entwicklungszentrum „die Arbeitsplätze von übermorgen“.
Dass die Wahl für den möglichen Standort auf das Saarland gefallen ist, dürfte vor allem mit ZF zu tun haben. Der Zulieferer beschäftigt in seinem Getriebewerk in Saarbrücken, das zum Elektro-Leitwerk umgebaut wird und in dem 2024 die Serienfertigung von elektronischen Achsen starten soll, mehr als 9000 Mitarbeiter und könnte dringend benötigtes Personal für die neue Fabrik stellen.
Olaf Scholz wollte die Investitionsentscheidung als Beispiel verstanden wissen, dass Deutschland ein Industrieland bleibt und im internationalen Standortwettbewerb bestehen kann. Mit der Großinvestition kehre „die industrielle Revolution ins Saarland zurück“, sagte der Kanzler am Mittwoch in Ensdorf. Die neue Chipfabrik werde einen deutlichen Beitrag dazu leisten, dass die europäische Wirtschaft verlässlich mit Halbleitern versorgt wird.
Auch Wirtschaftsminister Habeck verwies auf die jüngsten Lieferengpässe bei Halbleitern und äußerte die Hoffnung, dass die Produktion in Ensdorf möglichst bald beginnt. „Wir brauchen die Halbleiter. Schnell“, sagte Habeck.