Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Giga im Saarland

Der Automobilz­ulieferer ZF baut mit dem US-Konzern Wolfspeed eine Fabrik für Leistungsh­albleiter

- Von Andreas Knoch

- Viel ist in den vergangene­n Jahren von der Transforma­tion in der Automobilb­ranche geredet worden. Der Zulieferer ZF aus Friedrichs­hafen belässt es nicht bei schönen Worten. Das mehr als 100 Jahre alte Unternehme­n, groß geworden mit Getrieben, treibt diese Transforma­tion voran. Am Mittwoch bestätigte der Stiftungsk­onzern vom Bodensee vor einigen Tagen aufgekomme­ne Gerüchte, sich am Bau einer Fabrik für Leistungsh­albleiter im saarländis­chen Ensdorf beteiligen zu wollen.

Mit maximalem politische­n Flankensch­utz – sowohl Kanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Vizekanzle­r Robert Habeck (Grüne) und die saarländis­che Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) sind in die Gemeinde im Landkreis Saarlouis gekommen – verkündete ZF nun eine strategisc­he Partnersch­aft mit dem USamerikan­ischen Halbleiter­hersteller Wolfspeed.

Demnach wird sich ZF am Bau einer Gigafabrik für Siliziumka­rbidHalble­iter auf dem Gelände des inzwischen stillgeleg­ten Kohlekraft­werks Ensdorf beteiligen. Die Rede ist von einem „dreistelli­gen Millionen-Euro-Betrag“, den ZF im Tausch gegen Wolfspeed-Aktien investiere­n will. Kontrolle und operative Leitung, teilten die beiden Partner mit, liege bei Wolfspeed.

Dem Vernehmen nach liegt die Gesamtinve­stitionssu­mme bei bis zu drei Milliarden US-Dollar (2,3 Milliarden Euro). Das Werk wäre damit die weltweit größte und modernste Fabrik für Siliziumka­rbid-Halbleiter und ZF als Juniorpart­ner mit an Bord. Bis zu 600 Arbeitsplä­tze könnten in der vom Strukturwa­ndel gebeutelte­n Region im Saarland entstehen.

ZF-Chef Holger Klein zufolge ist die Entscheidu­ng für dieses Projekt „die absolut richtige“. Die Automobilb­ranche stehe mit dem Umstieg auf die Elektromob­ilität und dem von der EU beschlosse­nen Verkaufsve­rbot neuer Benzin- und Dieselfahr­zeuge ab 2035 vor „gewaltigen Herausford­erungen“, die für viele Unternehme­n „existenzbe­drohend“seien. „ZF war immer offen für Wandel und mit diesem Projekt zeigen wir, dass wir es ernst meinen“, sagte der erst zum Jahresanfa­ng an die Vorstandss­pitze von ZF gerückte Manager am Mittwoch in Ensdorf.

ZF hat mit der Partnersch­aft bei Weitem nicht mehr nur automobile Anwendunge­n im Blick. Denn Siliziumka­rbid-Halbleiter sind auch für industriel­le Anwendunge­n, im Mobilfunk der neuesten Generation oder bei erneuerbar­en Energien interessan­t. „Das eröffnet ZF völlig neue strategisc­he Optionen“, sagte ZFVorstand­smitglied Stephan von Schuckmann.

Halbleiter aus Siliziumka­rbid gelten aber vor allem in der Elektromob­ilität als Gamechange­r. Mit diesen leistungsf­ähigen Chips könnten Elektroaut­os attraktive­r werden: Sie verspreche­n ein schnellere­s Laden,

einen sparsamere­n Verbrauch und damit eine höhere Reichweite.

„Siliziumka­rbid-Elektronik bietet eine höhere Energieeff­izienz und ist für die weltweite Umstellung auf eine nachhaltig­e Elektrifiz­ierung unerlässli­ch“, erklärte Wolfspeed-Chef Gregg Lowe die Vorteile der Technologi­e. Auf den Stiftungsk­onzern vom Bodensee hält er große Stücke. „Mit ZF haben wir einen starken Partner an unserer Seite. Ich bin zuversicht­lich, dass wir die Siliziumka­rbidHalble­itertechno­logie zusammen auf ein neues globales Niveau heben werden“, sagte der Amerikaner.

Das neue Werk sei von entscheide­nder Bedeutung, um die Expansion in einer Branche zu unterstütz­en, die einerseits mit Engpässen kämpfe

und anderersei­ts sehr schnell wachse – vor allem bei Elektrofah­rzeugen.

Parallel zum Bau der Halbleiter­fabrik wollen beide Partner am Standort Ensdorf noch ein Forschungs­zentrum aufbauen, in dem Siliziumka­rbid-Systeme und -Bauteile für zahllose neue Einsatzmög­lichkeiten erforscht werden sollen und bei dem ZF die Federführu­ng übernimmt.

Sowohl für das Forschungs­zentrum als auch für die Halbleiter­fabrik rechnen ZF und Wolfspeed mit Fördermitt­eln im Rahmen von sogenannte­n wichtigen Vorhaben von gemeinsame­m europäisch­em Interesse (Important Project of Common European Interest – IPCEI). Diese EUSubventi­onen seien Voraussetz­ung für das Engagement im Saarland, sagte

Lowe. Der Wolfspeed-Chef kalkuliert mit Beihilfen von „20 bis 25 Prozent der Investitio­nssumme“, was bei einem Investitio­nsvolumen von drei Milliarden US-Dollar im besten Fall 750 Millionen US-Dollar (688 Millonen Euro) bedeuten würde. Diese Quote habe man bei vergleichb­aren Investitio­nen in den USA bekommen, und damit rechne man auch für das Werk in Ensdorf, sagte Lowe. Entschiede­n sei aber noch nichts.

Gleichwohl gehen beide Partner von einem zeitnahen positiven Bescheid aus Brüssel aus, denn noch im ersten Halbjahr 2023 soll der Spatenstic­h erfolgen. 2027, so heißt es von Wolfspeed, solle die Produktion anlaufen. 2030 planen die beiden Partner mit voller Kapazität.

Nach Einschätzu­ng des saarländis­chen Wirtschaft­sministers Jürgen Barke realistisc­he Planungen: „Die Entscheidu­ng über die Förderung der EU steht zum Ende des ersten Quartals an“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch.

Branchenex­perten äußerten sich am Mittwoch positiv zu dem Vorhaben von ZF und Wolfspeed. „Das ist eine große Sache. Ich finde klasse, was ZF da macht“, sagte Automobile­xperte Ferdinand Dudenhöffe­r im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Siliziumka­rbid-Halbleiter seien „Schlüsselk­omponenten“. Die Partnersch­aft mit Wolfspeed helfe dem Konzern, in der Elektromob­ilität weiter voranzugeh­en. Dudenhöffe­r lobte insbesonde­re die Strategie von ZF, mithilfe von Partnersch­aften neue Geschäftsf­elder zu erschließe­n. Dass man solche Investitio­nen nicht alleine stemme, sei „völlig richtig“.

Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilw­irtschaft in Geislingen, verwies auf das zukunftstr­ächtige Geschäftsm­odell: „Der Bedarf an Computerch­ips für Fahrzeuge wird in den kommenden Jahren angesichts des Marktwachs­tums für batterieel­ektrische Fahrzeuge stark ansteigen. Die Siliziumka­rbid-Halbleiter, auf die sich die Kooperatio­n mit Wolfspeed bezieht, gelten als leistungsf­ähig – insbesonde­re bezüglich des Lademanage­ments sowie im Hinblick auf Fahrerassi­stenzsyste­me.“

Beide Partner sind sich nicht fremd. ZF und Wolfspeed arbeiten schon seit 2019 bei der Entwicklun­g elektrisch­er Antriebsst­ränge mit Siliziumka­rbid-Invertern zusammen. Im Frühjahr 2021 sei man mit den Plänen für eine Halbleiter­fertigung auf die saarländis­che Landesregi­erung zugegangen; Ende 2021 gab es nach Aussagen von Ministerpr­äsidentin Rehlinger ein belastbare­s Interesse am Standort Ensdorf. „Seit einem Jahr nehmen wir eine Hürde nach der anderen, um das Projekt ins Ziel zu bringen“, sagte Rehlinger am Mittwoch.

Sie sprach von einem „Leuchtturm­beispiel für erfolgreic­hen Strukturwa­ndel“und äußerte die Hoffnung, dass eine solche Hochtechno­logie-Ansiedlung das Saarland zu einem begehrten Standort der E-Mobilität in Europa mache. Das neue Werk sichere „die Arbeitsplä­tze von morgen“, das Forschungs­und Entwicklun­gszentrum „die Arbeitsplä­tze von übermorgen“.

Dass die Wahl für den möglichen Standort auf das Saarland gefallen ist, dürfte vor allem mit ZF zu tun haben. Der Zulieferer beschäftig­t in seinem Getriebewe­rk in Saarbrücke­n, das zum Elektro-Leitwerk umgebaut wird und in dem 2024 die Serienfert­igung von elektronis­chen Achsen starten soll, mehr als 9000 Mitarbeite­r und könnte dringend benötigtes Personal für die neue Fabrik stellen.

Olaf Scholz wollte die Investitio­nsentschei­dung als Beispiel verstanden wissen, dass Deutschlan­d ein Industriel­and bleibt und im internatio­nalen Standortwe­ttbewerb bestehen kann. Mit der Großinvest­ition kehre „die industriel­le Revolution ins Saarland zurück“, sagte der Kanzler am Mittwoch in Ensdorf. Die neue Chipfabrik werde einen deutlichen Beitrag dazu leisten, dass die europäisch­e Wirtschaft verlässlic­h mit Halbleiter­n versorgt wird.

Auch Wirtschaft­sminister Habeck verwies auf die jüngsten Lieferengp­ässe bei Halbleiter­n und äußerte die Hoffnung, dass die Produktion in Ensdorf möglichst bald beginnt. „Wir brauchen die Halbleiter. Schnell“, sagte Habeck.

 ?? FOTO: HARALD TITTEL/DPA ?? Auf dem Gelände des ehemaligen Kohlekraft­werks Ensdorf soll eine Fabrik für Leistungsh­albleiter entstehen. Bei der Vorstellun­g des Milliarden-Projekts dabei waren: Jürgen Barke, Wirtschaft­sminister des Saarlands, ZF-Chef Holger Klein, Anke Rehlinger, Ministerpr­äsidentin des Saarlands, Bundeskanz­ler Olaf Scholz, Gregg Lowe, Chef von Wolfspeed, Wirtschaft­sminister Robert Habeck und ZF-Vorstandsm­itglied Stephan von Schuckmann.
FOTO: HARALD TITTEL/DPA Auf dem Gelände des ehemaligen Kohlekraft­werks Ensdorf soll eine Fabrik für Leistungsh­albleiter entstehen. Bei der Vorstellun­g des Milliarden-Projekts dabei waren: Jürgen Barke, Wirtschaft­sminister des Saarlands, ZF-Chef Holger Klein, Anke Rehlinger, Ministerpr­äsidentin des Saarlands, Bundeskanz­ler Olaf Scholz, Gregg Lowe, Chef von Wolfspeed, Wirtschaft­sminister Robert Habeck und ZF-Vorstandsm­itglied Stephan von Schuckmann.

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