Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Niederlande gedenken Opfer der Jahrhundertflut vor 70 Jahren
1836 Menschen kamen damals am 1. Februar 1953 im Südwesten des Landes ums Leben
(dpa) Die Niederlande haben der Opfer der verheerenden Sturmflut vor 70 Jahren gedacht. 1836 Menschen kamen im Südwesten des Landes durch die schwerste Nordseesturmflut des 20. Jahrhunderts am 1. Februar 1953 ums Leben.
Rückblick: In der Nacht zu jenem Februarsamstag zieht ein kräftiger Sturm aus Nordwesten auf. Der Wind peitscht die Wellen hoch. Eine gigantische Wasserfront rollt auf die südniederländische Küste zu. Es ist der Vorbote einer Katastrophe. Vor 70 Jahren werden die Niederlande und Großbritannien getroffen.
Der Orkan und die Springtide an dem Tag sind eine gefährliche Kombination. Stehen Sonne, Mond und Erde in einer Linie, verstärken sich die Gezeiten. Das ist bei Neu- und Vollmond der Fall. Dann ist der Unterschied zwischen Ebbe und Flut extremer. Etwa 2500 Menschen sterben. Allein in den Niederlanden sind es 1836, an der englischen Küste mehr als 300. Auf See verlieren viele Seeleute ihr Leben.
Augenzeugen in den Niederlanden sprechen zunächst von einem „wahnsinnigen Naturschauspiel“. „Wir standen da und schauten zu“, erinnert sich Wachtmeister Jan van de Velde. „Das Verrückte war, die Leute gingen danach einfach wieder nach Hause, ins Bett.“Als die Flutwelle um drei Uhr in der Nacht das Land erreicht, schlafen die meisten. Niemand hat sie gewarnt.
Die Flut trifft vor allem die Provinz Zeeland im Südwesten. Unter der Gewalt des Wassers brechen die Deiche, die Wassermassen verschlingen Felder und Dörfer. „Es war, als waren wir Zuschauer beim Untergang der Welt“, erinnert sich Bootsmann Piet Saman später.
80 Prozent der Deiche bis nach Rotterdam werden in dieser Nacht zerstört oder beschädigt. Viele retten sich auf Dächer und Bäume. Hunderte werden mitgerissen von den Fluten, sie klammern sich an entwurzelte Bäume oder Bruchstücke von Häusern.
Fischer retten Menschen. Aber nicht alle. Sturm und Wasser zerstören Strom- und Telefonleitungen. Bei der zweiten Flutwelle am Nachmittag brechen auch noch die letzten Häuser und Deiche zusammen.
Erst am Montag darauf erreichen Hilfskräfte das Katastrophengebiet. Eine beispiellose internationale Hilfsaktion setzt ein. Gut 100.000 Menschen werden evakuiert, viele von ihnen werden nie zurückkehren.
Die Gedenkfeier am gestrigen Mittwoch fand in Ouwerkerk beim nationalen Monument für die Opfer statt. „1953 ist in unser kollektives Gedächtnis gemeißelt“, sagte der Minister für Infrastruktur und Wasserwirtschaft, Mark Harbers. Er betont, dass Hochwasserschutz vor allem angesichts der Folgen des Klimawandels eine bleibende Aufgabe sei. „Die Niederlande sind heute das am besten geschützte Delta der Welt, aber die Verteidigung des Landes vor dem Wasser ist nie abgeschlossen.“
An mehreren Orten in der damals verwüsteten Region gedachten die Menschen der Opfer mit Schweigeminuten, Musik und Trauerkränzen. Augenzeugen berichteten von den dramatischen Ereignissen, als sie zusehen mussten, wie ihre Angehörigen ertranken.
„Das Trauma ist groß, sehr groß, und der Verlust bleibt“, sagte die Bürgermeisterin von Goeree-Overflakkee, Ada Grootenboer-Dubbelman, bei der Gedenkfeier im Dorf Oude-Tonge im Beisein der früheren Königin Beatrix (85). Oude-Tonge wurde am schwersten getroffen, 305 Menschen starben. „Das Wasser war erbarmungslos“, sagte die Bürgermeisterin.
Bis heute hat die Katastrophe in der Urlaubsregion Zeeland tiefe Narben hinterlassen. Der 1. Februar 1953 macht vielen Niederländern klar: Das Wasser kann alle verschlingen. Gut ein Viertel des Landes liegt unter dem Meeresspiegel. Das macht das Land verletzlich.
Der Regierungsbeauftragte für den Wasserschutz, Deltakommissar Peter Glas, mahnt zu Eile. „Das Klima verändert sich schneller, als wir dachten. Wir haben viel weniger Zeit, um uns darauf vorzubereiten.“
Zurzeit werden alle Deiche von insgesamt 3500 Kilometern Länge kontrolliert und verstärkt, sodass sie den vorhergesagten Wasserständen bis 2050 standhalten können.