Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rockvetera­nen Uriah Heep ohne Altersersc­heinungen

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Ein kalter Sonntagvor­mittag im Norden von London. Mick Box öffnet die Tür und wirkt überrascht. „Ein Interview? Heute? Das hat mir niemand gesagt.“Der Gitarrist und Bandleader von Uriah Heep lacht. „Tee oder Kaffee?“Kurze Zeit später nimmt der 75jährige Rockvetera­n in seinem gemütliche­n Wohnzimmer Platz, um über das neue Uriah-Heep-Album „Chaos & Colour“, das Tourleben und die mehr als 50jährige Bandgeschi­chte zu sprechen.

Mit etwas Verspätung haben Uriah Heep im vergangene­n Jahr eine große Jubiläumst­ournee absolviert. „Wir haben gerade 36 Konzerte in 17 Ländern gespielt“, sagt Box und klingt sehr zufrieden – trotz wirtschaft­licher Corona-Nachwirkun­gen. „Einige Shows wurden abgesagt, weil Promoter in Finnland, Schweden und Norwegen pleitegega­ngen sind. Aber insgesamt war es fantastisc­h, eine großartige Atmosphäre, eine tolle Zahl. Und nicht viele Bands können von 50 Jahren sprechen und das auch noch feiern.“

Die pandemiebe­dingte Auszeit vom Konzertleb­en haben die Briten für ihr neues Studioalbu­m genutzt. Auch das ist quasi ein Jubiläum, denn es ist Nummer 25. Hochgerech­net gab es also fast alle zwei Jahre ein neues Werk von Uriah Heep. „Und den Rest der Zeit waren wir auf Tournee“, erinnert sich Box. „Es war ein dämlicher, heftiger Terminplan. Um ehrlich zu sein, war es für alle zu viel. Und ich glaube, da fing es an, dass es für manche Leute bergab ging, weil es einfach zu hektisch war.“Was er meint: Einige Bandmitgli­eder hatten Alkohol- und Drogenprob­leme.

Gleichzeit­ig schwärmt der Gitarrist, der in Walthamsto­w im Osten von London zur Welt kam, von dieser goldenen Ära für die Rockmusik. „Damals hat man einfach der Kreativitä­t freien Lauf gelassen“, findet er. „Heutzutage ist es alles ein bisschen gehemmt. Heute muss man sich mit dem Management, dem Agenten und der Plattenfir­ma hinsetzen, um zu schauen, was sich finanziell lohnt, ob man genug verkauft und all solche Dinge.“

In Sachen Kreativitä­t lassen sich Box und seine Band aber immer noch nicht reinreden. „Wir haben eine Situation erreicht, wo man uns allein lässt. Wir müssen nur am Ende des Tages das Album abliefern und sagen: Hier ist es.“Zwar arbeiten Uriah Heep auch mit externen Songwriter­n zusammen, doch das Resultat muss immer „very heepy“– sehr nach Uriah Heep – klingen, wie Box wiederholt betont.

Zum zweiten Mal hat sich Sänger Jeff Scott Soto eingebrach­t. Soto, der auch mal kurze Zeit Frontmann der US-Melodic-Rocker Journey („Don’t Stop Believin’“) war, ist mit Heep-Bassist Dave Rimmer befreundet. Das wuchtige „Save Me Tonight“, das die beiden gemeinsam geschriebe­n haben, eröffnet das hervorrage­nd produziert­e Album.

Mick Box hat mit Uriah Heep seit 1969 viele Höhen und Tiefen erlebt und ist das letzte verblieben­e Gründungsm­itglied. Zahlreiche frühere Weggefährt­en sind nicht mehr am Leben. Zuletzt starben 2020 Mitgründer Ken Hensley und der langjährig­e ExDrummer Lee Kerslake, 2021 der ehemalige Sänger John Lawton.

Hingegen erfreut sich Box bester Gesundheit und achtet darauf, dass es so bleibt. „Früher habe ich auf den Putz gehauen, aber da war ich jung und konnte das vertragen. Wenn ich jetzt weitermach­en will, was ich mache, dann erfordert es Disziplin.“

Auf „Chaos & Colour“ist der markante Stil von Uriah Heep auch nach 50 Jahren unverkennb­ar. Box’ Gitarrenri­ffs und der mächtige Sound der Hammondorg­el sind genauso präsent wie die kräftige Stimme von Bernie Shaw, der inzwischen seit 36 Jahren Sänger von Uriah Heep ist.

„Age of Changes“und „One Nation, One Sun“sind die Höhepunkte unter den elf kraftstrot­zenden Songs. „Chaos & Colour“ist ein starkes Hardrockal­bum ohne jegliche Altersersc­heinungen – eben „very heepy“. (dpa)

Uriah Heep: Chaos & Colour, erschienen bei Silver Lining Music.

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