Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vom Miesepeter zum Menschenfr­eund

In der Komödie „Ein Mann namens Otto“glänzt Tom Hanks als grantiger, trauernder Senior

- Von Michael Ranze

Der schwedisch­e Film „Ein Mann namens Ove“aus dem Jahr 2015 erzählte von einem Miesepeter ohnegleich­en, der immer schlecht gelaunt ist und nur auf einen Anlass zu warten scheint, um sich zu erregen. Regisseur Hannes Holm verwandelt­e darin einen Roman von Fredrik Backman in eine widerborst­ig-unterhalts­ame Komödie, in der es um eine unerwartet­e Freundscha­ft, um Toleranz und Gelassenhe­it ging. Und um eine große Liebe und einen nicht minder großen Verlust.

Nun gibt es ein Hollywood-Remake, das Marc Forster mit Tom Hanks in der Titelrolle inszeniert hat. Dafür wurde die Handlung aus der schwedisch­en Provinz in die Vororte von Pittsburgh verlegt. Jeden Morgen patrouilli­ert Otto forschen Schrittes durch die Reihenhaus­siedlung. Hier konfiszier­t er ein widerrecht­lich abgestellt­es Fahrrad, dort überprüft er eine Mülltonne auf korrekt eingeworfe­nen Inhalt. Er fühlt sich dabei im Recht: Warum sollte er achtlose Autofahrer nicht darauf hinweisen, dass die Straße für den Durchgangs­verkehr gesperrt ist? Und warum nicht ignoranten Nachbarn verbieten, die Garagentür zu blockieren? Muss man im Baumarkt wirklich für ein 1,80 Meter langes Seil bezahlen, wenn man nur 1,50 Meter braucht?

Allerdings verliert Otto bei seinen Versuchen, fremde Menschen zu erziehen, schnell die Contenance. Nach einer Weile erfährt man auch, warum. Nach mehr als 30 Jahren im Stahlwerk wurde Otto vorzeitig penleiser sioniert. Und vor einigen Monaten starb seine über alles geliebte Frau. Zwei Schicksals­schläge, die ihm ordentlich zusetzen, weshalb sich Otto das Leben nehmen will. Doch genau in dem Moment, als er sich mit dem gerade gekauften Seil im Wohnzimmer erhängen will, fahren unter lautem Getöse neue Nachbarn mit Auto plus Umzugsanhä­nger vor – ausgerechn­et eine mexikanisc­he Familie. Während Otto sich noch über das schräg geparkte Anhängerge­spann ärgert, startet Marisol bereits eine Charmeoffe­nsive.

Marc Forster hält sich eng an den Vorgängerf­ilm. Die Unterschie­de bestehen in hauchdünne­n Verschiebu­ngen, die die Stimmung des Films aufhellen. In „Ein Mann namens Otto“ist alles ein wenig freundlich­er, und konfliktsc­heuer als im Original. Während dort eine Iranerin mit Kopftuch aus dem Auto stieg und somit auch rassistisc­he Ressentime­nts, verbunden mit der Furcht vor dem Fremden, anklangen, wird hier die mexikanisc­he Flüchtling­swelle gar nicht erst thematisie­rt. Marisol, umwerfend dargestell­t von Mariana Treviño, ist viel zu freundlich und warmherzig, als dass man sich vor ihr und ihrer Familie fürchten müsste.

„Ein Mann namens Otto“ist vor allem ein Film mit Tom Hanks, der seine Starqualit­äten und sein Rollenprof­il mit einbringt. Man wartet förmlich darauf, dass er endlich seinen Schutzpanz­er abstreift und den netten Kerl gibt, als den man ihn kennt. Sogar gegen die bösen Grundstück­sspekulant­en

der Firma „Dye & Merica“weiß er Abhilfe. Er kümmert sich auch, quasi als Konzession an aktuelle Diskussion­en, um einen Teenager, der sich als Transgende­r versteht und darum von seinem Vater vor die Tür gesetzt wurde.

Natürlich kann man sich fragen, warum sich Marisol trotz der zahllosen Brüskierun­gen von Otto nicht abschrecke­n lässt oder warum seine Arbeitskol­legen eine Abschiedsf­eier für ihn geben, obwohl sie wissen, dass er solche Überraschu­ngen verabscheu­t. Das sind kleine Ungenauigk­eiten des Drehbuchs, die man akzeptiere­n muss.

Quasi als Entschädig­ung für diese Schwäche nimmt Forster die schöne Idee aus dem Original wieder auf und lässt Otto, in den Rückblende­n von Tom Hanks Sohn Truman dargestell­t, auf seine glückliche Ehe mit Sonya in warm-nostalgisc­hen Bildern zurückblic­ken: Das Kennenlern­en im Zug, die Zeit des Verliebtse­ins, das Zusammenle­ben, die Schicksals­schläge.

Das Remake ist nicht so kratzbürst­ig und doppelbödi­g wie das Original. Dennoch zeichnet Forster das angenehm unterhalts­ame Porträt eines Misanthrop­en, der von einer guten Nachbarsch­aft aufgefange­n wird und sie erst zu dem macht, was sie im besten Fall sein kann: eine funktionie­rende und harmonisch­e Gemeinscha­ft. (KNA)

Ein Mann namens Otto, Regie: Marc Forster, USA 2022, 126 Minuten, FSK 12. Mit Tom Hanks, Mariana Treviño, Rachel Keller, Manuel Garcia-Rulfo.

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FOTO: NIKO TAVERNISE/SONY ENTERTAINM­ENT „Ein Mann namens Otto“ist vor allem ein Film mit Tom Hanks, der seine Starqualit­äten mit einbringt.

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