Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Schock lässt nicht nach

Tochter ist Nebenkläge­rin in Mordprozes­s gegen ihre eigene Mutter

- Von Barbara Baur

- Verschwind­en wird der Schmerz nie. Doch jetzt, kurz bevor die Gerichtsve­rhandlung neu aufgerollt wird, erlebt ihn eine 54 Jahre alte Frau aus dem Bodenseekr­eis wieder intensiver. Denn sie ist Nebenkläge­rin. In dem Verfahren geht es um ihre Mutter – die ihren Vater grausam ermordet hat. Das Landgerich­t Konstanz hatte die Mutter im August 2020 wegen Mordes zu einer Freiheitss­trafe von elf Jahren verurteilt. Nachdem sie in Revision gegangen war, hob der Bundesgeri­chtshof im Februar 2021 das Urteil auf und ordnete eine erneute Verhandlun­g an.

Die Mutter, damals 83 Jahre alt, hat ihrem zehn Jahre jüngeren ExMann im Januar 2020 zuerst mit einem Fleischham­mer auf den Kopf geschlagen. Als er ihr den Hammer abnahm und den Notruf wählte, schüttete sie Benzin in seine Richtung und entzündete es. Der Mitschnitt des Notrufs dauert sechs Minuten und dokumentie­rt, wie qualvoll sein Tod war. Die Aufzeichnu­ng war Beweismitt­el bei der ersten Verhandlun­g am Landgerich­t Konstanz, dessen Urteil der Bundesgeri­chtshof später aufgehoben hat.

Für die gemeinsame Tochter war die Nachricht vom Tod ihres Vaters, vor allem aber, wie er zu Tode kam, ein schwerer Schock: Schlaflosi­gkeit, Herzrasen, Angstattac­ken. „Man fängt an sich vorzustell­en, wie es geschehen ist. Kopfkino ohne Ende“, sagt sie etwa ein Jahr nach der Tat gegenüber der SZ. Sie holte sich Hilfe bei der Opferschut­zorganisat­ion Weißer Ring, aber auch bei einem Traumather­apeuten.

Obwohl sie seither schon einen weiten Weg zurückgele­gt hat, holt das Gewaltverb­rechen sie wieder ein. Sie ist immer noch in Therapie, wacht nach wie vor nachts auf, kämpft mit Angstzustä­nden. „Ich rieche den Rauch, weil ich mit meinem Mann ein halbes Jahr lang das verwüstete Haus ausräumen musste und somit x-mal über die Tatortstel­le steigen musste“, sagt sie heute. Das zehre an ihren Nerven.

Trotz der Belastung wird sie beim Prozess als Nebenkläge­rin anwesend sein. Verhandelt wird dieses Mal aus Rücksicht auf den Gesundheit­szustand der Angeklagte­n, die in

der Justizvoll­zugsanstal­t Schwäbisch Gmünd in Haft ist, vor dem dortigen Amtsgerich­t. Wie bei der ersten Verhandlun­g wird die Tochter auch als Zeugin aussagen.

Allein der Gedanke daran belastet sie. Schließlic­h muss sie sich alles wieder in Erinnerung rufen. Bei der ersten Verhandlun­g war es viel um die Lebensumst­ände ihrer Eltern gegangen. Obwohl sie schon viele Jahre geschieden waren, lebten sie in einer Art Wohngemein­schaft wieder unter einem Dach in einem kleinen Dorf im westlichen Bodenseekr­eis.

Beide waren bei schlechter Gesundheit. Sie war lungenkran­k, sah und hörte schlecht. Der psychiatri­sche Gutachter hatte ihr bei der ersten Verhandlun­g außerdem eine beginnende Demenz attestiert, aber eine

Schuldunfä­higkeit ausgeschlo­ssen, ebenso wie eine Tat im Affekt. Dafür fehle der Auslöserei­z, darüber hinaus sei die Handlungsk­ette viel zu komplex. Doch auch dem 73-Jährigen ging es schlecht. Er war schwach und depressiv. Laut der Aussage des Hausarztes, der beide behandelt hatte, habe der Vater im Rahmen einer Therapie nach neuen Perspektiv­en gesucht – und entschiede­n, das Lebensmode­ll mit seiner Ex-Frau aufzugeben. Die Tochter hatte sich schon bei Pflegeeinr­ichtungen erkundigt, doch davon habe die Mutter nichts wissen wollen.

Sowohl die Tochter als auch ihr Halbbruder – die Mutter bekam später mit einem anderen Mann noch zwei Söhne – sagten vor Gericht aus, dass die Beziehung schwierig war.

Laut der Darstellun­g der Kinder war der Vater ein gütiger, hilfsberei­ter Mensch, dem die Kinder und Enkelkinde­r wichtig waren. Die Mutter hingegen sei böse und manipulati­v gewesen, habe sich hauptsächl­ich mit sich selbst beschäftig­t und andere Menschen erniedrigt. Sie sei aber auch exzentrisc­h gewesen, habe sich als Künstlerin verstanden, sei ins Fitnessstu­dio gegangen und sich von ihrem Ex-Mann zum Friseur nach München fahren lassen.

Die Angeklagte selbst sagte vor Gericht kaum etwas. Einmal verlas ihre Pflichtver­teidigerin eine schriftlic­he Einlassung. Darin räumte sie die Tat ein, wehrte sich aber gegen den Vorwurf, sie habe ihren ExMann anzünden wollen. Vielmehr habe sie, als er mit der Rettungsle­itstelle

telefonier­te, Panik bekommen und das Haus anzünden wollen.

Für die Gewalttat hat das Landgerich­t Konstanz im Sommer 2020 die damals 84-Jährige wegen Mordes und Brandstift­ung mit Todesfolge zu elf Jahren Haft verurteilt. Die Pflichtver­teidigerin legte Revision ein – und der Bundesgeri­chtshof kippte das Urteil. Für die Tochter war vor allem die Begründung ein schwerer Schlag: Der BGH sieht das Mordmerkma­l einer „Tötung mit einem gemeingefä­hrlichen Mittel“nicht als erfüllt an.

Seit der Verurteilu­ng habe die Tochter ihre Mutter nicht mehr gesehen, sagt sie. Sie werde zwar von der JVA regelmäßig über ihren Gesundheit­szustand unterricht­et, doch ein Treffen habe es nicht gegeben. Einmal

habe ein Sozialarbe­iter aus der JVA sie kontaktier­t und mitgeteilt, dass ihre Mutter mit ihr skypen wolle. „Ich konnte und wollte sie nicht mehr sehen, nachdem ich mich immer wieder bemüht hatte, auf menschlich­er Basis eine Ebene aufzubauen“, sagt die Tochter.

Jetzt, wo die 54-Jährige sich wieder auf den Prozess und ihre Zeugenauss­age vorbereite­t, kommen viele schmerzhaf­te Erinnerung­en hoch. „Klar bin ich aufgewühlt“, sagt sie. „Durch diese Sache muss ich aber durch.“Das sei das Letzte, was sie für ihren Vater tun könne. Und sie wolle für ihn alles tun, was in ihrer Möglichkei­t stehe.

Weil die Tochter mit der Gewalttat nicht in Verbindung gebracht werden möchte, wird ihr Name nicht genannt.

 ?? ARCHIVFOTO: VON DITFURTH/DPA ?? Das Foto von der ersten Verhandlun­g am Landgerich­t Konstanz zeigt die damals 84 Jahre alte Angeklagte (Mitte), die im Januar 2020 ihren zum Tatzeitpun­kt 73 Jahre alten Ex-Mann ermordet haben soll.
ARCHIVFOTO: VON DITFURTH/DPA Das Foto von der ersten Verhandlun­g am Landgerich­t Konstanz zeigt die damals 84 Jahre alte Angeklagte (Mitte), die im Januar 2020 ihren zum Tatzeitpun­kt 73 Jahre alten Ex-Mann ermordet haben soll.

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