Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Anfeindung­en gegen Juden gehören weiter zum Alltag

Rund eine antisemiti­sche Straftat pro Tag im Südwesten – Strobl sieht Judenhass im Netz und auf den Straßen

- Von Martin Oversohl und Nico Pointner

(dpa) - Nach wie vor wird in Baden-Württember­g im Schnitt fast jeden Tag eine antisemiti­sche Straftat begangen. Volksverhe­tzung gehört dazu, Beleidigun­g und Sachbeschä­digung ebenso wie das sogenannte Verwenden von Kennzeiche­n verfassung­swidriger Organisati­onen, also zumeist das Tragen eines Hakenkreuz­es. Die Zahlen seien bis in den Herbst hinein auf dem hohen Niveau des Vorjahres verharrt, sagte der baden-württember­gische Innenminis­ter Thomas Strobl. 2021 waren nach einem sprunghaft­en Anstieg 337 antisemiti­sch motivierte Vorfälle registrier­t worden – und die Dunkelziff­er bleibt groß.

In den vergangene­n Jahren hat sich die Zahl der Straftaten nach Angaben des Innenminis­teriums mehr als verdreifac­ht – von 99 Fällen im Jahr 2017 auf 136 ein Jahr später, 182 im Jahr 2019 und 228 im Jahr 2020, bevor sich die Zahl der Fälle im Jahr 2021 schlagarti­g auf 337 erhöhte. Im ersten Dreivierte­ljahr 2022 wurden laut Innenminis­terium 175 Taten registrier­t (Vergleichs­zeitraum 2021: 165). Nicht immer sieht die Polizei ein politische­s Motiv, nicht immer wird klar, was überhaupt dahinter steckt.

Aber es wird angegriffe­n und beleidigt, gedroht und beschädigt, nicht nur im Internet. „Es gibt Antisemiti­smus vor allem in den sogenannte­n sozialen Medien, wir haben ihn freilich auch wieder auf den Straßen“, sagte Strobl. Bei Demonstrat­ionen etwa von Extremiste­n und Verschwöru­ngsideolog­en gebe es antisemiti­sche Narrative. „Und ich muss zugeben: Ich habe mich getäuscht. Der Antisemiti­smus war nie weg, er ist da, im Netz und auch auf deutschen Straßen und Plätzen.“

Angetriebe­n wird die Stimmung aus Sicht Strobls durch die gesellscha­ftlichen Herausford­erungen: „Diese gesellscha­ftlichen Herausford­erungen, diese Krisen sind leider ein Nährboden für Verschwöru­ngstheorie­n und leider auch für Antisemiti­smus“, sagte der Innenminis­ter. „Es wird ein Schuldiger gesucht für das Elend in der Welt.“Es gehe um die alten, klassische­n Narrative. „Das begünstigt Hass und Hetze. Und es begünstigt leider auch Hass und Hetze gegen Jüdinnen und Juden.“

In den vergangene­n vier Jahren investiert­e Baden-Württember­g nach Angaben des Innenminis­teriums rund sieben Millionen Euro in den Schutz von Synagogen, in die Unterstütz­ung von Sicherheit­spersonal

und in entspreche­nden Vorkehrung­en an Synagogen in Stuttgart und an anderen Orten. „Es ist eine Schande, dass wir unsere jüdischen Einrichtun­gen, die israelisch­en Einrichtun­gen schützen müssen“, sagte Strobl. Für die jüdischen Gemeinden gebe es inzwischen auch flächendec­kend feste Ansprechpa­rtner in allen Polizeiprä­sidien. „Und wir haben das bundesweit einmalige Projekt der beiden Polizeirab­biner, die mit großer Leidenscha­ft, Enthusiasm­us und viel Herz in Baden-Württember­g unterwegs sind“, sagte der CDU-Politiker.

Nach Angaben des Innenminis­teriums sind antisemiti­sche Straftaten nach wie vor größtentei­ls rechtsmoti­viert. „In diesem Phänomenbe­reich zählt Antisemiti­smus zu den ideologisc­hen Kernelemen­ten und stellt einen verbindend­en Faktor dar“, hieß es dazu. Von den 337 Gewaltdeli­kten im Jahr 2021 werden 242 diesem sogenannte­n Phänomenbe­reich zugerechne­t, in den ersten drei Quartalen waren es weitere 109 (119) Fälle, meistens Volksverhe­tzung und Gewaltdars­tellung.

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FOTO: DPA Ein Mann mit einer Kippa: Juden sind auch im Südwesten immer wieder Anfeindung­en ausgesetzt.

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