Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Spielothek­en im Pech

Umsetzung des Staatsvert­rags zwingt viele Spielhalle­n zur Schließung

- Von Simon Müller

- Glücksspie­l polarisier­t die Gesellscha­ft. Während Jugendschü­tzer und Politiker vor allem die Sucht danach fürchten und Minderjähr­ige vor den Gefahren des Glücksspie­ls schützen wollen, sind viele Betreiber von Spielhalle­n im Südwesten durch hohe und veränderte Auflagen in ihrer Existenz gefährdet. Einige Betreiber wissen gerade nicht, ob und wann sie aufgrund dessen ihre Spielhalle schließen müssen – zum Wohle des Jugendschu­tzes. Denn die Umsetzung des veränderte­n Glücksspie­lstaatsver­trags von 2012 hakt an allen Ecken und Enden.

Was hat sich geändert?

Im Jahr 2012 trat der neue Glücksspie­lstaatsver­trag in Kraft – mit weitreiche­nden Folgen für Spielothek­en. Trotzdem konnten die Länder den Vertrag anpassen. In BadenWürtt­emberg seien die neuen Regelungen für die Betreiber von Spielhalle­n aber am strengsten, erklärt Dirk Fischer, Vorsitzend­er des Automatenv­erbands Baden-Württember­g. So wurde festgelegt, dass pro Spielhalle nur noch eine Konzession erlaubt ist. Eine Spielhalle­nkonzessio­n ist dabei nichts anderes als eine staatliche Glücksspie­l-Erlaubnis für einen Betreiber. „Mehrfachko­nzessionen darf es nicht mehr geben“, sagt Fischer. Bei einer Konzession sind maximal zwölf Spielautom­aten pro Standort erlaubt.

Außerdem müssen alle Spielhalle­n im neuen Gesetz mindestens 500 Meter Luftlinie von Schulen, Kinderund Jugendeinr­ichtungen oder anderen Spielhalle­n entfernt sein. Weil das für einen großen Teil der Spielhalle­n das kurzfristi­ge Aus bedeutet hätte, wurde eine generelle Übergangsz­eit zur Umsetzung des Glücksspie­lstaatsver­trags bis zum 30. Juni 2017 erteilt, die dann nochmal bis Juli 2021 verlängert wurde. Für Fischer ist die Regelung nicht nachvollzi­ehbar, weil es „bisher nicht empirisch bewiesen wurde, welcher Mindestabs­tand der richtige ist, um problemati­sches Spielverha­lten zu verhindern“. Außerdem ist der Abstand von Bundesland zu Bundesland unterschie­dlich geregelt. Auch hier fährt der Südwesten mit 500 Metern den härtesten Kurs – in Niedersach­sen sind es beispielsw­eise nur 100 Meter.

Was ist das aktuelle Problem?

Viele Kommunen stehen vor der Frage, welche Spielhalle nun offen bleiben darf und welche schließen muss. Wenn in einer Innenstadt beispielsw­eise mehrere Standorte aufgrund der Abstandsre­geln schließen müssten, veranlasst die zuständige Kommune ein Auswahlver­fahren, um festzulege­n, welche Spielothek­en keine Konzession mehr bekommen. Dieses Auswahlver­fahren ist oft sehr undurchsic­htig und für viele

ungerechtf­ertigt. Die Folge: Mehrere Spielhalle­nbetreiber klagen gegen die Auswahlver­fahren vor Gericht. „Das ist an Komplexitä­t nicht zu überbieten und für alle eine echte Hängeparti­e“, betont Fischer. Die Städte und Gemeinden führen die Auswahlver­fahren unter Berücksich­tigung des Ministeriu­ms für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus aus, sagt Christophe­r Heck, Sprecher beim Gemeindeta­g BadenWürtt­emberg.

Automatenv­ertreter Fischer hat aber das Gefühl, vielen Kommunen kommt eine verzögerte Schließung ihrer Spielhalle­n ganz recht – schließlic­h nehmen die solange noch die Vergnügung­ssteuer ein. Der Anteil der Vergnügung­ssteuer variiert von Kommune zu Kommune – berechnet wird meistens ein Satz zwischen zehn und 25 Prozent auf den Umsatz der Geräte. Bezahlen muss sie der Halter der Spielappar­ate und zwar direkt an die Kommune. Die Gemeinden würden sich an die Gesetzmäßi­gkeiten halten, betont Heck, „gleichwohl gilt es, vor Ort die entspreche­nden Prioritäte­n der Auf

gabenerled­igung zu setzen, da auch in den Verwaltung­en der Fachkräfte­mangel neben dem Krisenmana­gement spürbar ist“.

Andere Länder wie RheinlandP­falz oder Bayern haben ihre Landesgese­tze so angepasst, dass sie fast all ihre Standorte bei reduzierte­r Größe erhalten können, betont Fischer. „In Baden-Württember­g erleben wir aber einen Kahlschlag.“Wenn der Glücksspie­lstaatsver­trag an allen Orten vollzogen ist, „werden wir im Südwesten bis zu 80 Prozent der bisher legalen und genehmigte­n Konzession­en verlieren“.

Was fordern die Betreiber von der Politik?

Während der illegale Glücksspie­lmarkt boomt, müssen die Spielhalle­nbetreiber immer höhere Auflagen erfüllen. „Die Politik sollte diese Fehlentwic­klung endlich wahrnehmen“, betont Fischer. Die Konsequenz für ihn: Zu wenigen legalen folgt „ein extremer Wildwuchs an illegalen Angeboten. Motorradcl­ubs, Hinterzimm­er oder gar Lagerhalle­n und Kellerräum­e werden zu illegalen Casinos umfunktion­iert.“Hier gebe es keinen Jugend- oder Spielersch­utz und kein Steueraufk­ommen. Fischer schlägt deshalb der Landespoli­tik vor, alle genehmigte­n Spielhalle­n-Standorte, die eine Konzession vor 2012 besessen haben, mit maximal zwölf Geräten zu erhalten.

Verlagert sich die Spielsucht jetzt ins Internet?

Das Online-Glücksspie­l wächst – dort können Spieler jederzeit und ohne Abstandsge­bote und Sperrzeite­n zocken. Legale Online-Casinos seien zwar stark reglementi­ert, aber es fehle trotzdem jede soziale Kontrolle, so Fischer. Das sieht auch Jennifer Matthies so. Sie ist Sozialarbe­iterin in der Fachstelle Sucht des baden-württember­gischen Landesverb­ands für Prävention und Rehabilita­tion in Tuttlingen. Zwar seien die Süchtigen, die sich an die Fachstelle wenden, häufig noch klassische Automatens­pieler, „aber sicher gibt es eine Verschiebu­ng, denn das Internet ist voll von Angeboten, auch von illegalem Glücksspie­l“, sagt sie.

Deswegen glaubt Matthies, dass die Dunkelziff­er von Süchtigen im Online-Bereich deutlich höher ist. „Bei den Automatens­pielern in den Spielhalle­n gibt es geschultes Personal zum Spielersch­utz: Leute sprechen einen an, händigen einen Flyer aus. Im Online-Bereich fehlt das komplett.“Auch sie empfindet es für die Spielothek­enbetreibe­r als ungerecht, dass „man den Spielhalle­n einerseits so viele Auflagen gibt und anderersei­ts im Online-Bereich der Blick auf Spieler- und Jugendschu­tz komplett verloren geht. Das steht in keinem Verhältnis“, so Matthies.

Für viele sei Glücksspie­l eine Art Ablenkung von den Alltagssor­gen. Wenn dieses Verhalten zur Gewohnheit wird, kann das schnell zur Sucht führen. „Oft verheimlic­ht man, dass man in die Spielhalle geht“, sagt Matthies. Online ist die Anonymität umso größer. „Es gibt nur sehr wenige Online-Casinos mit deutscher Lizenz, die sich an die Regeln zur Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspie­lsucht halten“, so Matthies.

Wie geht es weiter?

Ein bevorstehe­ndes Urteil vor dem baden-württember­gischen Verfassung­sgerichtsh­of in Stuttgart könnte für viele Betreiber richtungsw­eisend sein. Den dieser prüft gerade die Umsetzung verschiede­ner Auswahlver­fahren zur Schließung der Spielothek­en – konkret geht es um Fälle in Mosbach und Karlsruhe. Eine gesetzlich­e Vorgabe, anhand welcher Kriterien ein solches Verfahren durchzufüh­ren ist, gibt es nicht. Eine Klarstellu­ng durch das Gericht ist für viele Spielhalle­ninhaber erforderli­ch, damit die Politik eindeutige Auswahlkri­terien schafft. Eine Entscheidu­ng im aktuellen Fall wird im März erwartet.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Nicht wenige Spielhalle­nbetreiber müssen wegen des aktuellen Glücksspie­lstaatsver­trags um ihre Existenz bangen. Nur wissen viele nicht, welche Spielothek schließen muss.

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