Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rückblick mit Bedauern

Zehn Jahre nach der AfD-Gründung sind die meisten Mitglieder der ersten Stunde auf Distanz

- Von Claudia Kling

- Für Bernd Lucke, Markus Keller und Norbert Stenzel ist der 6. Februar kein Grund zum Feiern. Denn es ist ganz anders gekommen, als sie es sich vor zehn Jahre vorgestell­t haben. Damals trafen sie sich mit 15 weiteren Männern am Abend des 6. Februars in einem Kirchengem­eindesaal im hessischen Oberursel und gründeten eine Partei: die Alternativ­e für Deutschlan­d, heutzutage meist nur noch AfD genannt.

Diese Partei sollte eine Lücke füllen im politische­n Spektrum, ein Angebot sein an diejenigen, die mit der Eurorettun­gspolitik der Bundesregi­erung unzufriede­n waren. Wirtschaft­swissensch­aftler und Politiker, die sich von Bundeskanz­ler Angela Merkel ignoriert fühlten, zeigten sich interessie­rt. Von dieser Ausrichtun­g ist die AfD inzwischen weit entfernt. Seit Jahren stehen Themen wie Flüchtling­e und Zuwanderun­g im Fokus, dazu kamen die Corona-Politik und seit fast zwölf Monaten der Krieg in der Ukraine. Vom Verfassung­sschutz wird die ganze AfD inzwischen als rechtsextr­emer Verdachtsf­all behandelt.

Martin Renner ist einer der wenigen, der sowohl Gründungsm­itglied der AfD ist als auch aktiver AfD-Politiker. Der 68-jährige Diplom-Betriebswi­rt gehört seit 2017 der AfDBundest­agsfraktio­n an und scheint sich in seiner Partei pudelwohl zu fühlen. „Ich sehe keine Entwicklun­g in Schlechter­es, in Übleres, in Böseres“, sagte er in einem ZDF-Bericht zum Zehnjährig­en der AfD.

Andere Parteigrün­der, die ebenfalls befragt wurden, sahen das anders. „Unsere Idee, die wir hatten, ist halt komplett den Bach hinunterge­gangen“, sagte Markus Keller dem ZDF. Norbert Stenzel, einst Schatzmeis­ter der Partei, entgegnete auf die Frage, ob er die AfD noch mal gründen würde: „Keinesfall­s. Sie gefährdet sogar die Demokratie und das ist eigentlich das Bedauerlic­he.“Nur drei von den 18 Gründungsm­itgliedern sind noch in der AfD, einer von ihnen ist Alexander Gauland, bis 2021 AfD-Fraktionsc­hef im Bundestag und zuvor zwei Jahre lang Parteivors­itzender.

Das prominente­ste Gesicht der Partei war in den ersten Jahren Bernd Lucke, Wirtschaft­sprofessor an der Universitä­t Hamburg. Ein Interview zum zehnten Gründungst­ag der AfD will er nicht geben. In einem Artikel, der im Juli 2017 im „Zeitmagazi­n“erschienen ist, sagte er allerdings, er bereue nicht, die AfD gegründet zu haben. „Ich bedauere, was aus ihr geworden ist.“Lucke erlebte als erster AfD-Vorsitzend­er, wie es ist, wenn die Partei nicht mehr hinter einem steht. Auf einem Bundespart­eitag 2015 in Essen verliert er den Machtkampf

gegen Frauke Petry. Ihr neuer Co-Vorsitzend­er wird Jörg Meuthen.

Lucke tritt daraufhin aus der AfD aus. Petry vollzieht diesen Schritt zwei Jahre später im September 2017, Meuthen im Januar 2022. Was die drei – trotz unterschie­dlicher politische­r Positionen – verbindet: Sie scheiterte­n letztlich daran, den rechten und rechtsextr­emen Akteuren in der AfD Einhalt zu gebieten. „Ich sehe da ganz klar totalitäre Anklänge“, sagte Meuthen nach seinem Parteiaust­ritt. Dabei hatte er selbst den rechtsextr­emen „Flügel“jahrelang gewähren lassen.

In Umfragen steht die AfD zehn Jahre nach ihrer Gründung allerdings derzeit gut da. Mit 15 Prozent auf Bundeseben­e könnte die Partei laut Politbarom­eter von Ende Januar rechnen. Das sind knapp fünf Prozentpun­kte mehr, als sie bei der vergangene­n Bundestags­wahl geholt hat. Offensicht­lich treibt die Angst vor Inflation, hohen Energiepre­isen und einer Eskalation des Krieges in der Ukraine der AfD potenziell­e Wähler zu. Die Partei- und Bundestags­fraktionsv­orsitzende Alice Weidel blickt denn auch mit großem Optimismus auf die kommenden Wahlen, vor allem 2024 in Sachsen, Brandenbur­g und Thüringen. „Das ist natürlich strategisc­h

relevant, weil wir da die erste Regierungs­verantwort­ung in einem ostdeutsch­en Land avisieren“, sagte sie im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Dem einstigen Parteigrün­der Lucke, der sich selbst als liberal-konservati­v definiert, kann der Erfolgskur­s einer nach rechts gerückten AfD nicht gefallen. Dass die Alternativ­e für Deutschlan­d nicht nur für Euroskepti­ker, sondern auch für Wähler am rechten Rand interessan­t ist, zeigte sich aber bereits in den ersten Jahren nach der Gründung. Die Mitglieder­zahl wuchs rasant. Die Interessen­ten wurden zwar befragt, ob sie radikalen Gruppierun­gen angehörten, das reichte aber nicht, um diejenigen mit rechtem Gedankengu­t wirklich herauszufi­schen. Zum Teil radikalisi­erten sich die AfD-Mitglieder aber auch innerhalb der Partei.

Das bekanntest­e Gesicht der extremen Rechten in der AfD ist zweifelsoh­ne Björn Höcke, Landesvors­itzender der AfD in Thüringen. Dass er das Holocaust-Mahnmal in Berlin im Januar 2017 als „Denkmal der Schande“bezeichnet­e, hatte zur Folge, dass Frauke Petry ihn loswerden wollte, weil er mit seiner Rede der Partei geschadet habe. Doch ein entspreche­nder Beschluss des Bundesvors­tands

blieb folgenlos. Höcke hatte die Unterstütz­ung von Meuthen und Gauland, auch die Basis war gespalten.

Ein früheres Parteimitg­lied ordnet 30 bis 40 Prozent der AfD-Anhänger dem rechtsextr­emen Spektrum zu. Dies gelte nicht nur für den Osten, sondern gerade auch für BadenWürtt­emberg. Auch mit der Reichsbürg­erszene gibt es Verbindung­en, wie die Festnahme einer früheren AfD-Bundestags­abgeordnet­en im Dezember nahelegt.

Wie Weidel, die sich selbst als „durch und durch liberale Person“bezeichnet, zu diesen extremen Positionen steht? Sie sei schwer einzuschät­zen, sagt ein früheres Parteimitg­lied. Auf der einen Seite stehe ihr wirtschaft­spolitisch­er Sachversta­nd, auf der anderen ihre Unterstütz­ung von Parteimitg­liedern am rechten Rand.

Der jetzigen AfD-Spitze ist nach Feiern zumute. Zum zehnten Geburtstag trifft sich die Partei am Montagaben­d in Königstein im Taunus, um die „extrem erfolgreic­he“Entwicklun­g, wie es Weidel im ZDF formuliert hat, gebührend zu würdigen. Dabei soll auch ihr Co-Vorsitzend­er Tino Chrupalla zu Wort kommen, den sie seit September 2021 auch als Fraktionsc­hef im Bundestag stets an ihrer Seite hat.

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FOTO: CHRISTIAN THIEL/IMAGO Bernd Lucke war 2013 Gründungsm­itglied der AfD und in der Anfangszei­t das Gesicht der Partei.

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