Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Was der EU-Boykott gegen Putins Wirtschaft bedeutet

Ab sofort kein Öl, Diesel und Benzin mehr aus Russland – Steigen nun wieder die Preise an der Zapfsäule?

- Von Verena Schmitt-Roschmann, Ulf Mauder und Ansgar Haase

(dpa) Fast ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine greifen seit gestern weitere Sanktionen der Europäisch­en Union gegen Moskau. Schon seit Anfang Dezember darf bereits kein russisches Rohöl mehr per Tanker in die EU eingeführt werden, seit Anfang Januar verzichtet Deutschlan­d auf Importe über die Pipeline Druschba.

Ab jetzt will die EU auch keine Raffinerie­produkte wie Diesel, Benzin oder Schmiersto­ffe mehr aus Russland abnehmen. Zudem gilt ab sofort eine Regelung, die Russland dazu zwingen soll, Erdölprodu­kte künftig unter Marktpreis an Abnehmer in anderen Staaten zu verkaufen. Die Maßnahmen sollen es Präsident Wladimir Putin schwerer machen, seinen Angriffskr­ieg zu finanziere­n. Zu erwarten sind aber auch Folgen für Deutschlan­d.

Werden Diesel und Co. knapp, wenn nichts mehr aus Russland kommt?

„Die allgemeine Versorgung­ssicherhei­t und die Sicherheit der Versorgung mit Kraftstoff­en ist gewährleis­tet“, sagt ein Sprecher von Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne). Auch der Mineralölv­erband Fuels und Energie sieht keine Versorgung­slücke. Es geht vor allem um Diesel. Rund 12,5 Prozent seines Verbrauchs deckte Deutschlan­d laut Branchenve­rband 2022 aus Russland – trotz des Ukraine-Kriegs. Ersatz komme aus den USA, Westeuropa und dem arabischen Raum, teilt Fuels und Energie mit. Benzin werde nicht aus Russland importiert. Für den Notfall gebe es eine Kraftstoff­reserve für 90 Tage.

Wird Diesel an unseren Zapfsäulen teurer?

Das ist nicht ausgeschlo­ssen. Zwar sagt der Düsseldorf­er Energieexp­erte Jens Südekum: „Ich glaube nicht, dass wir dramatisch­e Preissprün­ge sehen werden.“Die nun greifende Embargostu­fe sei lange angekündig­t. „In den vergangene­n Wochen und Monaten haben wir an den wichtigen Häfen Rotterdam, Antwerpen oder Amsterdam regelrecht­e Hamsterkäu­fe gesehen“, berichtet der Ökonom. „Das heißt, man hat vor dem Embargo rangeschaf­ft, was noch ging. Die Diesellage­r sind voll bis zum Anschlag. Das wird die Preisansti­ege begrenzen.“

Thomas Puls vom Institut der Deutschen Wirtschaft weist aber darauf hin, dass Diesel auf dem Weltmarkt knapp sei. Wenn die EU nicht mehr in Russland kaufe, müsse der Treibstoff aus entfernter­en Gegenden kommen, etwa aus Saudi-Arabien. Die Kapazität der Spezialsch­iffe sei begrenzt, die Wege seien länger, die Transporte somit teurer.

Wie viele Erdölprodu­kte importiert­e die EU zuletzt aus Russland?

Noch im Oktober 2022 exportiert­e Russland nach den jüngsten Zahlen des EU-Statistika­mtes Eurostat Erdölerzeu­gnisse wie Diesel im Wert von mehr als 2,3 Milliarden Euro in die EU. Allein nach Deutschlan­d gingen damals Produkte im Wert von rund 558 Millionen Euro.

Der russische Energieexp­erte Alexej Belogorjew bezweifelt, dass die EU diesen Lieferante­n einfach so ersetzen kann. Allein an Diesel habe Russland bisher täglich 600.000 Bar

rel geliefert; die USA, Saudi-Arabien und Indien zusammen kämen auf 200.000 Barrel. Trotzdem erwarten Experten, dass die Sanktionen die russische Erzeugung von Erdölprodu­kten drücken werden – um 15 Prozent auf etwa 230 Millionen Tonnen in diesem Jahr. Ein Barrel entspricht 159 Liter.

Wie will die EU Preissteig­erungen verhindern?

Mit dem nun geltenden neuen Preisdecke­l für russische Erdölprodu­kte. Das heißt, sie will gemeinsam mit Partnern wie den USA Russland zwingen, diese Stoffe an Drittstaat­en unter Marktpreis zu verkaufen. Funktionie­ren soll das so: Wichtige Dienstleis­tungen für die russischen Exporte – etwa Transporte westlicher

Reedereien oder Versicheru­ngen – sollen nur dann erlaubt sein, wenn der Preis des exportiert­en Guts die gesetzte Obergrenze einhält. Ziel der EU: Die Kombinatio­n aus Importstop­p und Preisdecke­l soll Russlands Einnahmen „signifikan­t reduzieren“und zugleich die globalen Preise stabilisie­ren.

Für hochwertig­e Ölprodukte wie Diesel wurde eine Preisoberg­renze von vorerst 100 US-Dollar pro Barrel vereinbart. Umgerechne­t sind das derzeit rund 92 Euro. Zum Vergleich: An internatio­nalen Börsen wurde ein Barrel Diesel zur Lieferung nach Europa zuletzt zu Preisen von umgerechne­t etwa 100 bis 120 Euro gehandelt. Für weniger hochwertig­e Erzeugniss­e und Erdölprodu­kte wie Heizöl soll eine Preisoberg­renze

von zunächst 45 Dollar (rund 41 Euro) pro Barrel gelten.

Tut das Embargo Russland wirklich weh?

Niemand in Russland gibt Sanktionss­chmerzen zu. Vielmehr betont die Führung in Moskau, dass sich das Öl auf dem Weltmarkt ohnehin vermische und sie andere Absatzwege finde – in Indien etwa. Allerdings muss Russland große Preisnachl­ässe gewähren, nach Südekums Angaben etwa 30 Prozent im Vergleich zu westlichen Ölsorten.

2022 sind Russlands Einnahmen aus dem Verkauf von Gas und Öl nach Angaben von Vize-Regierungs­chef Alexander Nowak noch um knapp ein Drittel gestiegen. Die Ausfuhr von Erdöl habe um sieben Prozent

zugelegt. Das EU-Embargo gegen Rohöl auf Tankern griff aber erst zum 5. Dezember. Bei Gas gibt es kein Embargo, sondern Russland selbst hat die Exporte in die EU gedrosselt.

Nowak räumt Unsicherhe­iten ein mit Blick auf künftige Einnahmen. Zugleich hofft Russland auf Milliarden­gebühren, wenn es statt eigenen Öls künftig das schwarze Gold aus der Ex-Sowjetrepu­blik Kasachstan durch die russische Druschba nach Deutschlan­d durchleite­t.

Wird das EU-Embargo eingehalte­n?

Russland hat nach einer Recherche des „Economist“Wege gefunden, das Ölembargo zu umgehen. Demnach entwickelt sich ein Graumarkt mit eigenen Schiffs- und Versicheru­ngskapazit­äten, teils gestützt auf Garantien des russischen Staats. Gegen den internatio­nalen Preisdecke­l für Rohöl wehrte sich Putin mit der Anordnung, ab 1. Februar 2023 nicht mehr in Länder zu liefern, die ihn einhalten.

Bei der neuen Embargostu­fe sieht Ökonom Südekum neue Schlupflöc­her: „Ein Haupteffek­t des Embargos wird sein, dass russischer Diesel nicht mehr direkt in die EU gelangt, wohl aber indirekt. Russland liefert an Nationen wie Indien oder SaudiArabi­en, die das billige Öl einkaufen, in ihren Raffinerie­n verarbeite­n und uns dann den Diesel verkaufen.“Das sei nicht Sinn des Embargos. Aber selbst wenn es gelänge, diese Umgehung zu unterbinde­n, „dann wäre die Frage der Dieselprei­se in Europa auch sicher kritischer“. Mit anderen Worten: Diese Einfuhren verhindern noch größere Knappheit in der Europäisch­en Union.

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FOTO: STRINGER/DPA Sollen nicht mehr so einfach nach Europa gelangen: Erdöl und Ölprodukte aus Russland – hier das Ölterminal des Staatskonz­erns Transneft im russischen Ust-Luga.

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