Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie die Inflation das Bier verteuert
Brauer von Albstadt bis Leutkirch erwarten steigende Preise – 7,50 Euro für die Halbe sind aber übertrieben
- „Zwei Halbe und eine belegte Semmel – das macht dann 18,50 Euro.“So oder so ähnlich könnte es schon bald beim Bezahlen in der Kneipe heißen, zumindest wenn es nach dem Brauereiverband Berlin-Brandenburg geht. Denn dessen stellvertretender Vorsitzender Stefan Fritsche hat jüngst via „Bild“-Zeitung verlauten lassen, dass durch die Inflation und die hohen Energiepreise schon zum Jahresende ein Bierpreis von 7,50 Euro drohen könnte – wohlgemerkt nicht für den Kasten Oettinger Export, sondern für ein einziges 0,5er-Glas in der Gaststätte. Wenig überraschend, dass das Springer-Blatt umgehend den „Bier-Alarm“ausrief und auch andere Medien sich die Frage stellen, ob der beliebte Gerstensaft bald zum „Luxusgetränk“mutiert.
So weit will Gottfried Härle, Traditionsbrauer aus Leutkirch im Allgäu, dann doch nicht gehen. „Typische ,Bild’-Zeitungs-Meldung“, kommentiert er lapidar. Einen Bierpreis von 7,50 Euro müsse niemand befürchten – zumindest nicht im Allgäu, versichert der Geschäftsführer der Brauerei Clemens Härle, die bereits seit 1897 Hopfen und Malz veredelt. Aber um eine Preiserhöhung werde man aufgrund der extrem gestiegenen Kosten – etwa für Braugerste, Glasflaschen und insbesondere Energie – nicht herumkommen. Eine Kiste Härle (20-mal 0,5 Liter), die derzeit 19,80 Euro koste, werde sich zum 1. März um 1,50 Euro verteuern müssen. Nicht erfreulich für die Kunden, aber laut Gottfried Härle keineswegs ausreichend, um die enormen Kostensteigerungen auszugleichen.
Anderen Brauereien geht es da ganz ähnlich. Manche haben bereits an der Preisschraube gedreht, wie etwa die Brauerei Zoller-Hof in Sigmaringen. Ein Kasten Export (ebenfalls 20-mal 0,5 Liter) kostet schon seit dem 1. Februar 19,90 Euro, zuvor waren es noch knapp 17 Euro. Andere planen die Verteuerung ihrer Produkte. Selbst Oettinger, traditionell der Preisführer der Branche, denkt aufgrund der „dramatischen Kostenexplosion“über höhere Preise nach und nimmt zugleich etliche Sorten ganz aus dem Programm – um sich künftig auf ein kleineres „Kernsortiment“zu konzentrieren. Zudem will die Brauerei aus dem schwäbischen Teil Bayerns etliche Regionen in Nord- und Ostdeutschland künftig gar nicht mehr beliefern – wegen der enorm gestiegenen Transportkosten. „Wir werden es auch nicht umgehen können, den Bierpreis zu erhöhen“, teilt schließlich auch die bekannte Berg Brauerei aus der „Bierkulturstadt“Ehingen auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit.
Die Gründe für die Preiserhöhungen sind recht einfach: Praktisch alles rund ums Brauen ist teurer geworden
– vieles sogar extrem: Hopfen um bis zu 35 Prozent, Braumalz um bis zu 90, Neuglas um 70 und Kohlensäure ebenfalls um bis zu 90 Prozent. Der Preis für Kronkorken legte sogar um 120 Prozent zu. Die infolge des Ukraine-Kriegs explodierenden Energiepreise kommen noch obendrauf. Und Brauen verbraucht viel Energie: Es wird gegoren und gefiltert, gepresst, erhitzt, gekocht und gekühlt – und das alles mit jeder Menge Strom und Gas. Die allgemeine Preissteigerung wird schließlich noch durch eine äußerst geringe Hopfenernte (minus 28 Prozent) in Deutschland verstärkt. Der Grund dafür: Der Sommer 2022 war viel zu heiß und zu trocken.
„Bei uns steht zum nächsten Monat auch eine Bierpreis-Erhöhung an“, berichtet folglich Dominik Reger, Geschäftsführer beim Brauhaus Zollernalb in Albstadt-Ebingen. Die Mehrkosten könne dies aber nicht auffangen. Im Einzelhandel werde für die regionalen und lokalen Biere die 20-Euro-Grenze pro Kiste „auf breiter Front überschritten“, prognostiziert er. Die recht kleine Brauerei hat eigentlich noch immer mit den Nachwirkungen des langen Corona-Lockdowns zu kämpfen. Da sie knapp die Hälfte ihres Umsatzes mit der eigenen Gastronomie in Albstadt erwirtschaftet, war dieser 2021 um 70 Prozent eingebrochen. 2022 konnte
man sich dann wieder auf 95 Prozent des Vor-Corona-Niveaus hocharbeiten. Nun explodieren die Kosten. Auf das bereits laufende Jahr blickt Reger trotzdem positiv – allerdings mit vielen „Ungewissheitsfaktoren“, wie er sagt. Immerhin ist die Nachfrage der Bier-Liebhaber im Zollernalbkreis stabil: Der Absatz des Brauhauses legte 2022 sogar leicht auf nun 900.000 Liter zu.
Auch bundesweit sind die Absatzzahlen 2022 durchaus positiv – allerdings nur im Vergleich zu 2021, dem historisch schwächsten Bierjahr: Die in Deutschland ansässigen Brauereien und Bierlager haben ihren Absatz im Inland im vergangenen Jahr um vier Prozent auf 7,2 Milliarden Liter gesteigert. Dieser lag damit jedoch immer noch fünf Prozent niedriger als in 2019 – dem Jahr vor Corona.
Doch wie entwickelt sich die Biernachfrage bei deutlich steigenden Preisen? Haben die Biertrinker eine Schmerzgrenze? „Das ist schwer zu sagen“, meint Reger, der freilich auf seine treue Kundschaft setzt, die ein qualitativ hochwertiges Bier mit Rohstoffen aus der Region schätze. In der Gastronomie vermutet der Brauer die Schmerzgrenze der Menschen in seiner Region im Bereich von 4,50 bis fünf Euro für die Halbe. Von Preisen Richtung 7,50 Euro geht er – ebenso wie der Leutkircher Brauer Gottfried Härle – nicht aus.
Auch Matthias Schürer, Präsident des Baden-Württembergischen Brauerbunds, erwartet nicht, dass der Bierpreis in absehbarer Zeit auf 7,50 Euro klettern wird. „Der Preis für einen halben Liter Bier in der Kneipe wird sich bei rund fünf Euro einpendeln“, prognostiziert er.
„Die Wirtinnen und Wirte im Land wissen sehr wohl, welche Bedeutung der Bierpreis für die Gäste hat und wie genau die Preisentwicklung beim Bier beobachtet und verglichen wird“, sagt Daniel Ohl, Pressesprecher des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Baden-Württemberg. Zu Preisprognosen will er sich aber nicht hinreißen lassen. Die Preisgestaltung liege immer im Ermessen des jeweiligen Gastronomen und hänge von zahlreichen Faktoren ab, sagt er – neben den Einkaufskosten sind das die Kategorie der Gastronomie, die Personalkosten und die Lage des Betriebs, sprich: die Höhe der Pacht. Viele Kunden seien durchaus preissensibel, weshalb die mögliche Auswirkung auf die Biernachfrage einen erheblichen Einfluss auf die Preisgestaltung habe. Nach 7,50 Euro klingt das nicht.
Nichtsdestotrotz stecken die Gastronomen – ähnlich wie die Brauer –
in der Zwickmühle, denn die gestiegenen Kosten lassen sind ja nicht wegdiskutieren. Hier setzt DehogaSprecher Ohl auf die Politik: Die bis zum Jahresende von 19 auf sieben Prozent reduzierte Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie sollte – möglichst unbefristet – verlängert und zudem auch auf Getränke ausgeweitet werden, so sein Wunsch. Ansonsten befürchtet der Dehoga, dass die Zahl der gastwirtschaftlichen Betriebe in BadenWürttemberg weiter sinken wird. Diese sei durch Corona von mehr als 30.000 auf nur noch gut 27.200 zurückgegangen. Vor zehn Jahren waren es noch mehr als 31.000. Einen „Bier-Gipfel“, wie vom Brauerbund gefordert, sieht Ohl aber als wenig zielführend an. Vielmehr brauche man einen Gipfel zum Thema „faire Rahmenbedingungen für mittelständische Familienbetriebe“, sagt er.
Dagegen dürften auch die mittelständischen Brauereien in der Region wenig einzuwenden haben. Bis dahin weiß man sich aber auch selbst zu helfen: Ähnlich wie der umtriebige Albstadter Brauer Reger setzt auch der Allgäuer Braumeister Härle vornehmlich auf „Qualität, Nachhaltigkeit und Regionalität“sowie auf die enorme Treue und Verbundenheit seiner Kundschaft. Ein Pfund, mit dem viele Brauer – gerade im Süden der Republik – glücklicher weise
noch immer wuchern können. Ein Bierfreund, der schon jetzt an die 20 Euro für eine Kiste Gerstensaft bezahlt, tut dies bewusst und wird deshalb eine Preiserhöhung vermutlich eher akzeptieren als ein Sparfuchs, der ohnehin nur Konzernbiere im Sonderangebot oder gleich das billige Oettinger kauft. Wie beim Albstadter Brauer Heger ging im Vorjahr auch Härles Absatz nach oben – und zwar recht deutlich um zehn Prozent auf 3,2 Millionen Liter Bier und 1,2 Millionen Liter „Seezüngle“-Limonade. Um die Brauereien im Allgäu hat Härle keine Angst: „Die sind gut aufgestellt und haben ihre Hausaufgaben gemacht.“
Und was machen die Gastronomen? Viele hoffen freilich ebenfalls auf eine verständnisvolle und treue Kundschaft – sobald die Preiserhöhungen kommen. Andere versuchen kreativ zu werden: So verkaufen erste Kneipen und Gaststätten mittlerweile nur noch 0,33er-Flaschen oder sie „verkleinern“ihre Gläser, wie zu hören ist. Bier vom Fass gibt es dann nur noch im 0,4er-Glas – freilich zum gleichen Preis wie zuvor der halbe Liter. Das erinnert dann doch sehr an den bekannten Tresen-Witz vom Autofahrer, dem der Spritpreis völlig egal ist – weil er ja ohnehin immer nur für 50 Euro tankt. Eine gute Prise Galgenhumor hat gerade im Kneipen-Geschäft noch nie geschadet.