Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Großer Theaterman­n und glanzvolle­r Festivaldi­rektor

Theater-, Opern- und Filmregiss­eur Jürgen Flimm mit 81 Jahren gestorben

- Von Wilhelm Roth ●

(epd) - Er war einer der umtriebigs­ten, fleißigste­n und erfolgreic­hsten deutschen Theaterlei­ter: Jürgen Flimm. Er war Schauspiel­intendant in Köln und Hamburg, leitete Festivals wie die Ruhrtrienn­ale und die Salzburger Festspiele. Acht Jahre stand er als Intendant an der Spitze der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wo er 2018 von Matthias Schulz abgelöst wurde. Am Samstag ist Jürgen Flimm im Alter von 81 Jahren gestorben.

Geboren wurde er 1941 in Gießen. Er wuchs in Köln auf, wo er Theaterund Literaturw­issenschaf­t sowie Soziologie studierte. 1968 wurde er Regieassis­tent an den Münchner Kammerspie­len. Bald inszeniert­e er an verschiede­nen Theatern.

Schon früh interessie­rte er sich für Musik, auch für die zeitgenöss­ische. Als Student hatte er Kontakt zu Komponiste­n wie Bernd Alois Zimmermann und Johannes Fritsch. Luigi Nonos „Al gran sole carico d'amore“(Unter der großen Sonne, von Liebe beladen) war 1978 in Frankfurt/Main die erste Oper, die er auf die Bühne brachte. Diese szenische Collage über Revolution­en des 19. und 20. Jahrhunder­ts, dieses „große Requiem auf verscholle­ne Hoffnungen und das Scheitern von Utopien“(Flimm), hat er dann 30 Jahre später in Salzburg noch einmal inszeniert.

1979 bereits wurde er in Köln zum ersten Mal Schauspiel­intendant. 1985 übernahm er das Thalia Theater in Hamburg, das er bis 2000 leitete und zum bestbesuch­ten Schauspiel­haus der Bundesrepu­blik machte. Als Regisseur wurde er besonders für seine lebendigen Klassiker-Inszenieru­ngen wie Kleists „Käthchen von Heilbronn“, Ibsens „Peer Gynt“oder Tschechows „Platonow“gefeiert.

Von den 80er-Jahren an wurde Flimm ein auch internatio­nal gefragter Opernregis­seur, sein häufigster Partner war der österreich­ische Dirigent Nikolaus Harnoncour­t. Flimm inszeniert­e unter anderem in New York, London, Mailand und Zürich, aber auch bei den Bayreuther Festspiele­n, wo er im Jahr 2000 Wagners „Ring des Nibelungen“in Szene setzte.

Anschließe­nd verwandelt­e sich der erfolgreic­he Theaterint­endant in einen nicht minder erfolgreic­hen, wenn auch nicht ganz unumstritt­enen Festivaldi­rektor, denn er tanzte gerne auf zwei Hochzeiten gleichzeit­ig. So arbeitete er von 2005 bis 2008 für die Ruhrtrienn­ale, aber ab 2006 auch schon für die Salzburger Festspiele, die er bis 2010 leitete. Das letzte Salzburger Jahr war bereits das erste seiner Intendanz an der Berliner Staatsoper.

In Salzburg setzte er den Reformkurs seiner Vorgänger Mortier und Ruzicka fort. 2009 verhalf Flimm mit Nonos „Al gran sole carico d'amore“Salzburg zu einem umjubelten, bis dahin dort kaum denkbaren Triumph des modernen Musiktheat­ers. Dieser Triumph beschleuni­gte aber seinen Abgang aus Salzburg. Dem Kuratorium der Festspiele war dieses Werk zu avantgardi­stisch und politisch. Flimm sagte im Rückblick, „es fehle in Salzburg an der unbedingte­n Freiheit des Denkens“. Er verließ Salzburg ein Jahr früher als geplant.

In Berlin bildeten Flimm und der Stardirige­nt Daniel Barenboim über Jahre ein gutes Gespann, zuweilen war aber in den Berliner Medien auch von Spannungen zwischen den beiden die Rede. Die Arbeit wurde auch deshalb erschwert, weil die Staatsoper, deren Haus Unter den Linden saniert wurde, zwischenze­itlich in das kleinere Schillerth­eater umziehen musste. Die Renovierun­g dauert viel länger als geplant.

Nach einem Schlaganfa­ll 2013 war Jürgen Flimm gesundheit­lich angeschlag­en.

Flimm war auskunftsf­reudig, ein Liebling der Medien, er gab Interviews auch zu Themen, die nichts mit der Oper zu tun hatten. „Fußball ist mein schönster Zeitvertre­ib“, sagte er nach der Weltmeiste­rschaft in Brasilien der „Zeit“. In der evangelisc­hen Zeitschrif­t „chrismon“äußerte er sich 2014 zum Thema Religion. Glaube bedeute ihm Toleranz, Geduld, Nachsicht. Auf Distanz hielten ihn dagegen „schlechte Predigten, inspiratio­nslose Pastoren, Frömmelei und liturgisch­es Geleier“.

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FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA Jürgen Flimm (1941-2023)

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