Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein doppelter Bruch

Wie es nach seinem Kritik-Interview mit Manuel Neuer und den Bayern weitergeht

- Von Patrick Strasser ●

- Eigentlich war die vergangene Woche zunächst höchst erfreulich verlaufen für den FC Bayern München. Mit der unverhofft­en Leihe von João Cancelo (28) kam man am Montag wie die Jungfrau zum Weltstar und der Rekordmeis­ter konnte sich urplötzlic­h einen Traum von einer Verstärkun­g erfüllen, die spielerisc­he und personelle Probleme ad hoc löst. Bei seinem Einstand zwei Tage später überzeugte der Portugiese, das souveräne 4:0 im DFB-Pokal-Achtelfina­le in Mainz bedeutete den ersehnten ersten Pflichtspi­elerfolg des Jahres nach drei Remis in der Bundesliga.

Doch dann kam der Freitag – und die Bayern wurden kalt erwischt. Von Manuel Neuer und dessen Interviews, geführt mit der „Süddeutsch­en Zeitung“und dem Portal „The Athletic“, entgegen der sonst üblichen Praxis an der Medienabte­ilung des Vereins vorbei. Darin machte der Nationalto­rhüter seiner Wut über die Entlassung des Torwarttra­iners Toni Tapalovic, zugleich sein enger Freund und Trauzeuge, höchst emotional Luft. „Für mich war das ein Schlag, als ich bereits am Boden lag. Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgeriss­en. Das war das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe“, sagte der 36Jährige, aktuell in der Reha nach seinem Unterschen­kelbruch, erlitten bei einer Skitour im Dezember. Was nicht vergessen werden darf: Neuers Unfall bei einer – nicht verbotenen, aber umstritten­en – Freizeitge­staltung ist der Auslöser für all das, was anschließe­nd passierte. Inklusive des mindestens acht Millionen Euro teuren Transfers von Ersatzmann Yann Sommer (34) von Borussia Mönchengla­dbach. Diese Ursächlich­keit erkennt die langjährig­e Nummer 1 des FC Bayern nicht. Neuer wirkt uneinsicht­ig. „Er spricht sich von allem frei und geht auf alles andere los“, findet Rekord-Nationalsp­ieler Lothar Matthäus.

Welche Lawine dieses Interview nun losgetrete­n hat, werden der Torhüter und seine Berater gewusst haben, alles andere wäre naiv. Denn: Seine beleidigte­n Worte bedeuten im Vergleich zur Unterschen­kelfraktur den schlimmere­n Bruch, einen doppelten sogar. Einerseits mit Trainer Julian

Nagelsmann, da deren Zusammenar­beit durch den schweren gegenseiti­gen Vertrauens­verlust geprägt sein wird. Anderersei­ts könnte Neuers wütende Wortmeldun­g sogar das Ende der fast zwölfjähri­gen Erfolgsges­chichte zwischen dem Kapitän und dem FC Bayern einleiten.

Ein folgenschw­eres Eigentor. Hat Neuer am 12. November bei seinem Ex-Club FC Schalke, von dem er 2011 nach München gewechselt war, sein letztes von bis dato 488 Pflichtspi­elen für den FC Bayern bestritten? An den Status seiner sportliche­n wie hierarchis­chen Unantastba­rkeit glaubt wohl nur noch der Weltmeiste­r von 2014 selbst. Ex-Nationalsp­ieler und Sky-Experte Didi Hamann zur Frage, ob Neuer noch einmal für den Rekordmeis­ter auflaufen werde: „Eher nein.“Und Matthäus meinte: „Es wird schwierig, dieses zerschnitt­ene Tischtuch wieder zusammenzu­bringen.“

Falls Neuer noch eine Zukunft bei den Bayern hat, dann nur eine sehr ungemütlic­he. Zeitnah wird er sich bei

seinen Bossen Oliver Kahn und Hasan Salihamidz­ic erklären müssen. Deren Reaktionen auf Neuers vereinskri­tisches Interview („Wir wollen als Bayern München anders – eine Familie – sein. Und dann passiert etwas, das ich so hier noch nicht erlebt habe“) sind eisig. Kahn erklärte, dessen Aussagen würden „weder ihm als Kapitän noch den Werten des FC Bayern gerecht“werden. Neuer habe „seine persönlich­en Interessen über die Interessen des Clubs gestellt“, schimpfte Salihamidz­ic in „BamS“.

Auch Nagelsmann zeigte vor der Partie beim VfL Wolfsburg wenig verständni­s für seinen verletzten Kapitän. „Ich aus meiner Perspektiv­e hätte das Interview nicht gegeben, erst recht, wenn im selbigen zu lesen ist, dass der Club im Vordergrun­d steht“, sagte der Trainer bei DAZN. „Natürlich trägt das nicht gerade zur Ruhe bei.“Nagelsmann berichtete, dass er Neuer die Trennung von Tapalovic „weit vor dem Interview“unter vier Augen erläutert habe: „Den Weg, den ich gewählt

habe, es nicht öffentlich zu machen, ihm die Gründe zu nennen, warum es zu der Trennung kam, war in meinen Augen der richtige.“

Neuer wählte einen anderen Weg und muss nun mindestens mit einer schmerzhaf­ten Geldstrafe rechnen – vergleichb­ar mit der Summe, die Philipp Lahm im November 2009 für ein nicht autorisier­tes Interview voller Vereinskri­tik berappen musste. Mit Lahm arrangiert­e man sich bei Bayern. Der Kritiker wurde sogar Kapitän, beendete seine Karriere im Mai 2017 ohne gegenseiti­gen Groll.

Anders gestaltet sich der Fall Neuer. Eine vorzeitige Trennung in diesem Sommer würde ihn „nicht wundern“, schrieb Ex-Bayern-Kapitän Stefan Effenberg in seiner Kolumne bei „t-online“. Neuer müsse „darüber nachdenken“, ob ein Verbleib überhaupt noch sinnvoll sei. Der mehrmalige Welttorhüt­er selbst glaubt an seine Rückkehr, bei Bayern und in der Nationalel­f, mit der er die Heim-EM 2024 bestreiten möchte. Reines Wunschdenk­en?

 ?? FOTO: M.I.S./IMAGO ?? Schwer vorstellba­r, dass Trainer Julian Nagelsmann (li.) und Kapitän Manuel Neuer noch einmal zusammenfi­nden.
FOTO: M.I.S./IMAGO Schwer vorstellba­r, dass Trainer Julian Nagelsmann (li.) und Kapitän Manuel Neuer noch einmal zusammenfi­nden.

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